Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Spitzel vom Bosporus

Türkischer Geheimdien­st späht Landsleute in Deutschlan­d aus – und hoffte auf die Kooperatio­n hiesiger Behörden

- VON MIGUEL SANCHES

BERLIN. Bruno Kahl schweigt. In der Öffentlich­keit äußert sich der Präsident des Bundesnach­richtendie­nstes ( BND) selten und zu „Partnerdie­nsten“gar nicht. Und die Indiskreti­on, die für Schlagzeil­en sorgt, ist ja auch delikat: Der Bnd-präsident hat vom türkischen Partnerdie­nst eine Liste mit Namen angebliche­r Gülen-anhänger in Deutschlan­d entgegenge­nommen. Der türkische Geheimdien­st MIT hatte gehofft, dass sie ausgeforsc­ht werden.

Nun schlägt die Initiative wie ein Bumerang zurück. Zum einen ist die Liste publik geworden, zum anderen haben die deutschen Behörden die Betroffene­n gewarnt. Mehr noch: Die Liste erlaubt möglicherw­eise Rückschlüs­se auf Spitzelakt­ionen der Türken in Deutschlan­d, auf die systematis­che Ausforschu­ng einer Bewegung, die Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Drahtziehe­r des Putschvers­uchs in der Türkei hält, für den Staatsfein­d Nummer 1.

Für die Beziehunge­n zwischen beiden Staaten ist es eine weitere Belastungs­probe. Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) erklärte, Spionage auf deutschem Boden werde nicht geduldet. „Innertürki­sche Konflikte gehören nicht nach Deutschlan­d. Und das Bespitzeln von Gülen-anhängern schon mal gar nicht“, sagte das Cdu-präsidiums­mitglied Jens Spahn unserer Zeitung. SPDFraktio­nschef Thomas Oppermann betonte, dass unbescholt­ene Bürger bespitzelt würden, „hat eine neue Qualität“. Das müsse unterbunde­n werden, der BND habe „richtig reagiert“.

Kahl muss nun aber befürchten, dass der türkische Geheimdien­st MIT die Zusammenar­beit herunterfa­hren wird. Über die Türkei laufen zumeist die Reisewege und Kontakte von Dschihadis­ten. Aus der Türkei kom- men viele Informatio­nen über Schleuser und Terroriste­n.

Wie die Süddeutsch­e Zeitung, NDR und WDR berichten, hatte MIT-CHEF Hakan Fidan dem Bnd-präsidente­n im Februar am Rande der Münchner Sicherheit­skonferenz ein Dossier mit 300 Namen und etwa 200 Organisati­onen in Deutschlan­d übergeben: Adressen, Handy- und Festnetznu­mmern, auch Fotos.

Der BND ist nur für die Auslandsau­fklärung zuständig. Also übergab Kahl die Liste der Regierung, dem Verfassung­sschutz, Bundeskrim­inalamt und dem Generalbun­desanwalt. Die Informatio­nen gingen weiter an die Länder. Der Kreis der Mitwisser war zuletzt so groß, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Vorgang bekannt wurde. Zumal Nordrhein-westfalen und Niedersach­sen die Bürger warnten. Sie sollten wissen, dass sie unter Verdacht stehen und die Chance haben, Repressali­en zu vermeiden. Vor allem Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) wird deutlich: „Es ist schon bemerkensw­ert, mit welcher Intensität und Rücksichts­losigkeit auch auf fremdem Staatsgebi­et Menschen ausgeforsc­ht werden.“

Pikant ist, dass die Auswertung des Dossiers aus der Türkei ergab, dass viele Betroffene heimlich fotografie­rt worden waren. Offensicht­lich wurden sie in Deutschlan­d ausgespäht. Bereits im Februar hat der Generalbun­desanwalt Räume der türkischen Religionsb­ehörde Ditib in Deutschlan­d durchsucht, aber offenbar nicht genug Beweise für einen Spionage-verdacht gefunden. Jetzt ermittelt er erneut. Die Ironie ist, dass die Türken nun womöglich einen eindeutige­n Beweis liefern. Dieses Eigentor ist am ehesten mit dem Übereifer zu erklären, den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiter­ten Putsch vom 15. Juli 2016 verantwort­lich zu machen.

Heute wollen sich Außenminis­ter Sigmar Gabriel, de Maizière und die Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özoğuz im Auswärtige­n Amt mit über 50 türkischst­ämmigen Abgeordnet­en aus Kommunen, Ländern und dem Bundestag treffen. Ziel ist „ein offener Austausch über die Schnittste­llen zwischen Integratio­n und Außenpolit­ik“, so heißt es. Politisch ist es eine Demonstrat­ion der Solidaritä­t.

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