Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Kleinfahner glaubt an Sicklers Kirschen
Der wahre Wanderer aus Thüringen oder Übersee hat schon einmal die Fahner Höhe erklommen, in schattigem Wäldchen genussvoll Kirschkerne verteilt und dabei andächtig an den Pfarrer Johann Volkmar Sickler gedacht. An diesen berühmten Sickler, dessen Museumsstübchen die Menschen des Dorfes Kleinfahner noch immer in ihrem „Rautenkranz“herbei sehnen.
In Lexika wird der 1742 in Günthersleben geborene Sickler würdevoll als „Ponologe“geehrt. Die Liebe zum Obstanbau erwuchs nicht nur daraus, dass der Vater ein erfolgreicher Schnapsbrenner war. Der Knabe durfte auf Kosten seines Herzogs Friedrich III. von Sachsengothaaltenburg in Jena Theologie studieren. Er ging da nach zunächst als Hofmeister zum Konsistorialrat Seebach nach Altenburg. 1771 bekam er mit Seebachs Hilfe die Stelle als Pfarrer in Kleinfahner und behielt sie bis zu seinem Tode am 31. März 1820. Fünfzig Jahre als Pastor am Rande der Fahner Höhe. Obst gab es da schon genug, aber keinerlei Ordnung in den Sorten, jeder konnte Äpfel mit Birnen verwechseln. Sickler startete erste Versuche, System in das Wirrwarr zu bringen. Er legte zugleich Baumschulen an und begründete den bald danach berühmten Fahnerschen Süßkirschenanbau.
Sickler begriff seine Liebe zu den Äpfelchen oder Kirschen als Gott gefälliges Geschäftsmodell. Also verband er die kreative Ponologie in Kleinfahner mit dem Prgewaltigen Medienmogul Friedrich Justin Bertuch in Weimar. In unzähligen Veröffentli chungen, Büchern oder Zeitschriften streute er von 1794 bis 1819 das Obst nicht nur über die Wiesen um die Fahner Höhe, sondern unter ein deutsches und internationales Publikum.
Seine Emsigkeit traf den Zeitgeist, da das erwachende Bürgertum und reformfähige Landesfürsten wie jene in Gotha, Weimar oder Dessau erkannten, es kommt nicht nur auf idyllische englische Landschaftsgärten mit kulinarischem Schauwert an. Grund und Boden müssen wirtschaftlichen Nutzen bringen! Daher auch die schönen Obstalleen, die das Land durchziehen und zumindest in Weimar wieder einmal den wohltätigen Händen Maria Pawlownas zugeordnet werden, obwohl die nur dankbar den Vorbildern Bertuchs und Sicklers folgte: Fürst Leopold III. von Anhaltdessau konnte das mit seinen Obstplantagen rund um das romantische Wörlitzer Gartenreich bestätigen.
Gemeinsam mit Bertuch ließ Pastor Sickler von seinem Zeichner Ernst Heinrich Gebhard, der sinnigerweise auch Konditor war, Früchte naturtreu nachbilden und sammelte die Wachsmodelle in einem „Ponologischen Kabinett“. Die naturgetreuen Muster ruhen noch heute mit zahlreichen Exemplaren im Gothaer Naturkundemuseum und würden sich auch im bereits vorgeförderten Museum zu Kleinfahner prächtig ausmachen.
Sie belegen die Fantasie und den von wechselndem Erfolg begleiteten Geschäftssinn Sicklers. In den 22 Bänden des von Bertuch verlegten „Teut schen Obstgärtners“wurden insgesamt 432 Obstsorten beschrieben. Die kolorierten Abbildungen fertigte Gebhard. Doch die Zeitschrift musste 1804 eingestellt werden. Das allgemeine Interesse am Obstbau und der Drang zu einem Zeitschriftenabonnement waren nicht immer identisch.
Die Erfahrung machte auch Bertuch. Doch weder er noch Sickler ließen sich entmutigen. Von 1804 bis 1810 gab Sickler das „Allgemeine Teutsche Gartenmagazin“heraus, das ebenfalls im Verlag des „Landesindustriecomptoirs“von Bertuch verlegt wurde. Beide zusammen verwirklichen auch die Idee mit den Musterfrüchten, die nach dem Tod Gebhards durch den Gothaer Por zellanmaler Ch. M. Sundhausen vervollständigt wurden.
Sicklers Publikationsliste ist lang: Ein Gartenmemorandum für Liebhaber des Gartenbaues (1808) und ein Lexikon für Laien in der Gartenkunst (1811). Zwischen 1802 und 1812 gab er ein Sammelwerk unter dem Titel „Die deutsche Landwirthschaft in ihrem ganzen Umfange“heraus. Sickler erfuhr hohe Ehren. Er wurde zum auswärtigen Mitglied der Royal Horticultural Society zu London, der ökonomischen Societät zu Leipzig und zum Mitglied der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt ernannt.
Sickler ist von der Fahner Region nie vergessen worden. 1992 ehrten die Bewohner der „Fahnerschen Kirschdörfer“ihn anlässlich seines 250. Geburtstages. Da wird das mit dem Museum in Kleinfahner auch noch werden.