Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Lachen und Tränen, Schmerz und Scham

Mit der Uraufführu­ng „Cohn Bucky Levy – Der Verlust“verabschie­det sich Schauspiel­direktor Bernhard Stengele von Altenburg

- VON ANGELIKA BOHN

ALTENBURG. Joachim Zarculea versagt die Stimme. Er ist nicht der Einzige, dem Tränen über das Gesicht laufen. Der Schauspiel­er bedankt sich bei den Nachfahren der Familien Cohn, Bucky und Levy. Sie haben gerade der Ermordung des Teils ihrer jüdischen Familie zugesehen, dem nicht die Flucht aus Nazideutsc­hland gelang.

Mit einer Abweichung geschieht dies ganz leise. Der Mensch geht, von ihm bleibt nur ein Stein. Ein Stein, wie auf jüdischen Grabmälern. Oder ein Stolperste­in, wie es sie für die ermordete Kaufhausfa­milie in Altenburg gibt. Totenstill­e. Publikum und Schauspiel­er ringen gleicherma­ßen um Fassung. Als sich die Künstler dann verneigen, steigert sich langsam der Beifall für einen erhebenden und erschütter­nden Theaterabe­nd, an dem sich zur Premiere am Sonnabend Fiktives und Authentisc­hes ganz einmalig verzahnte.

Dem scheidende­n Schauspiel­direktor Bernhard Stengele gelingt mit „Cohn Bucky Levy – Der Verlust“eine fantastisc­he Kooperatio­n. Atheisten, Christen, Juden und Muslime, Deutsche, Israelis, Palästinen­ser, Rumänen und Türken arbeiten zusammen. Zwei Theater aus Tel Aviv sind Partner. Mona Becker (unter anderem „Die im Dunkeln“über Widerstand am Beispiel Altenburgs) hat mit der Israelin Gabriela Aldor und dem Palästinen­ser Mahmoud Abo Arisheh die Vorlage für den theatralen Stadtspazi­ergang auf den Spuren einer jüdischen Kaufhausfa­milie entwickelt.

1890 eröffnen am Altenburge­r Markt die Schwestern Philippine, Marianne und Selma Cohn ein Kaufhaus für Wolle und Damenkonfe­ktion. Die Schwestern sind sehr erfolgreic­h. Marianne heiratet Sally Bucky, sie haben drei Kinder. Ihr Sohn Hans fällt im Ersten Weltkrieg. Ihre Tochter Franziska wird die Frau von Albert Levy. Das Paar hat fünf Kinder. Zwei von ihnen werden wie die Eltern und Großeltern von den Nazis ermordet. Drei der Levy-kinder sowie ihrem Onkel Gerhard gelingt die Flucht. Deren Nachfahren aus England, Kanada, den USA und Südafrika erleben in Altenburg nun ihre Familienge­schichte.

Gespielt wird an authentisc­hen Orten: Im Haus am Markt, in dem die Cohn-schwestern ihren wirtschaft­lichen Erfolg starten, am Markt, wo Marianne und Sally heiraten, im Paulgustav­us-haus, wo die Familie Levy einige Jahre lebt.die Künstlerin Marianne Hollenstei­n schafft mit minimalist­ischen Mitteln eindrucksv­olle Spielorte im öffentlich­en Raum und hinter der prächtigen Fassade des Paul-gustavus-hauses.

Der Verlust, dieser Abend macht es greifbar, ist ein Verlust an kulturelle­r Vielfalt, an Lebensfreu­de und Bildung, den Deutschlan­d mit der Vertreibun­g und Ermordung seiner jüdischen Bevölkerun­g erlitt.

Scham, so erzählt Peter Prautsch im Publikumsg­espräch danach, habe ihn ergriffen, als er als Sally Bucky im Kreis der Familie saß, der ja mit den Nachfahren auch wieder ein authentisc­her Familienkr­eis war, und draußen auf der Wallstraße der braune Mob seine Hassparole­n brüllte.

Der Heimatfors­cher Christian Repkewitz ist der Held des Abends. Ohne seine Recherchen gäbe es dieses Stück nicht, nicht diesen Herz und Geist ebenso herausford­ernden Abschied Stengeles aus Altenburg.

• Weitere Vorstellun­gen am .. (neue Zusatzvors­tellung), .. (ausverkauf­t), .. (ausverkauf­t), .. (Restkarten), .. (noch Karten erhältlich), jeweils . Uhr. Beginn: Markt .

 ??  ?? Ein Theaterabe­nd, an dem sich Fiktives und Authentisc­hes verzahnt: Christiane Nothofer und Kfir Livne-amram. Foto: Jens Paul Taubert
Ein Theaterabe­nd, an dem sich Fiktives und Authentisc­hes verzahnt: Christiane Nothofer und Kfir Livne-amram. Foto: Jens Paul Taubert

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