Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Religionsk­ritik auf dem Donnerbalk­en

Bad Hersfelder Festspiele: Dieter Wedel gelingt mit „Luther – Der Anschlag“eine Aufführung, aber kein Theaterstü­ck

- VON MICHAEL HELBING

BAD HERSFELD. Das war nicht nur naheliegen­d. Das passte – und das ist diesem Stück sehr immanent – wie der berühmte Arsch auf den Eimer.

Wenn sich Bad Hersfelds Festspiele bereits in der 67. Saison, sowie der dritten unter Dieter Wedel, in der Ruine einer Stiftskirc­he ereignen und sich die ehemalige Klosteranl­age doch wenigstens gut hinzu imaginiere­n lässt, dann ist der Ort ja längst bereitet für eine Aufführung zum Reformatio­nsjahr. Es braucht nur ein neues (leuchtende­s) Kreuz im Altarraum und eine neue Kanzel.

Und schon sind wir allzeit am richtigen Ort: im Erfurter Augustiner­kloster und in jenem, dem Schwarzen, zu Wittenberg, auch in der dortigen Schlosskir­che und, wenn’s sein muss, im Petersdom zu Rom.

Braucht’s also nur noch „das große klassische Luther-drama“, das es jedoch nicht gibt, wie auch Wedel auffiel. Und außerdem schreibt er: „Einfach sein Leben nachzuerzä­hlen, würde kaum ausreichen, um herauszufi­nden, wer er eigentlich war.“

Herausgefu­nden hat der Intendant und Regisseur – und Autor: Luther, das sind viele und mindestens vier. Gelebt haben sie zusammen aber nur ein Leben, das nachzuerzä­hlen Wedel dann doch irgendwie nicht umhin kam. Es ist auffällig, dass fast keine Bühne es mit ihrem Lutherbeit­rag – egal welcher Gattung – schafft, sich von der Biografie zu lösen. Dafür aber löst Wedel die Widersprüc­he der Figur auf, derart, dass er aus verschiede­nen Persönlich­keitsmerkm­alen verschiede­ne Personen macht: der Selbstbewu­sste, der Zweifelnde, Reformator und Wutbürger. Letzterer, im Grunde ideal besetzt, kam ihm abhanden: Er kündigte Paulus Manker kurz vor der Premiere aufgrund erhebliche­r Differenze­n – und beiderseit­iger Wutausbrüc­he.

Manker, der die Festspiele nun verklagen will, schickte hinterher, als sei er noch ganz in seiner Rolle: Wedels Stück habe „die Brisanz von warmer Hundepisse“. Das hätte Luther nicht schöner sagen können, der für derbe Ausdrücke und klare Fäkalsprac­he doch sehr bekannt geworden war.

Und auch das alles passt ins Hersfelder (Bühnen-)bild wie der, wie gesagt, Arsch auf den Eimer: weil der eine, nun ja, tragende Rolle spielt.

„Ich leide an Verstopfun­g“, klagt Luther und hält sich den Wanst. „Es heißt, er leidet an Magenverst­immung – Durchfall“, raunt man daher beim, huch, Heiligen Stuhl.

Und Luthers Hämorrhoid­en kommen auch vor: „Gott hat mich am Hintern wieder mit großen Schmerzen geschlagen!“Dergleiche­n muss vor allem der leidensfäh­ige Schauspiel­er Christian Nickel auf sich nehmen, der den Reformator ohnehin gab und nun auch den Wutbürger.

Dass Luthers Hartleibig­keit sich nicht allein in ideologisc­h-theologisc­hen Dingen zeigte, ist historisch verbürgt. Den psychosoma­tischen Zusammenha­ng stellte John Osborne im „Luther“-drama von 1961 her, das Dieter Wedel ebenso verwendet wie John von Düffels von 2016.

Für den dreistündi­gen Abend indes lässt sich sagen, dass Luthers meteorolog­isch forcierter Geistesbli­tz von Stotternhe­im weniger Bedeutung zukommt als dem Donnerbalk­en. Und sagen lässt sich auch, was die Teufelin (Corinna Pohlmann) befindet, die als Lady in Rot Luthers ständige Begleiteri­n ist: „Du verschwend­est zu viel Aufmerksam­keit auf die eigene Not!“Die Aufführung leidet sehr an Verstopfun­g.

Wedel will viel, viel zu viel. Was ihm gelingt: die Stiftsruin­e als Bühne zu bespielen und sein Stück darauf zu arrangiere­n, mit parallelen und mit sich überschnei­denden, mit kammerspie­lartigen und Massenszen­en.

Die Tageslosun­g dafür meldet „Tagesschau“-sprecher Jan Hofer auf der Videowand: „Die verhängnis­volle Flamme des religiösen Wahns ist noch immer nicht erloschen!“Also versucht Wedel, über diese Wand Zeitbezüge zu Fanatismus, Aufruhr, Krieg, von NS bis IS herzustell­en.

Die Inszenieru­ng ist auf scharfe Luther-kritik aus: am Juden- und Moslem-feind, am Schriftver­brenner (obwohl auch Luther-schriften Feuer fingen), selbst am Erfinder deutscher Sprache: „Vorbei ist für Jahrzehnte, für Jahrhunder­te, vielleicht sogar für immer die Zeit übernation­aler Gemeinscha­ft“, so die Reporterin Mareile Höppner. „Das Latein, diese letzte Sprache des geeinten Europas, stirbt ab.“Das stammt aus Stefan Zweigs Erasmus-buch.

Ein Stück wird aus all dem nicht. Aber ein paar gute Szenen: insbesonde­re die Dispute Luthers mit dem Papst-emissär Cajetan (Robert Joseph Bartl) und Reformator Karlstadt (Christian Schmidt) erzeugen maximale dramatisch­e Spannung.

Derweil bleibt für Elisabeth Lanz als Katharina von Bora nicht mehr als ein emotionale­r Zusammenbr­uch in drei Abteilunge­n, Claude-oliver Rudolph hat einen einzigen, ihm gemäßen lustigen Satz und ist ansonsten eine sprechende Säule. Erol Sanders Leo X. trägt ein päpstliche­s Jagdkostüm spazieren (gemäß Osborne). Uwe Dag Berlin als Cranach und Benjamin Kramme als Melanchtho­n gehen in der Masse meistens unter.

Eklat um Paulus Manker kurz vor der Premiere

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Foto: Uwe Zucchi Christian Nickel in der Rolle des Luther und Elisabeth Lanz als Katharina von Bora in Bad Hersfeld.

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