Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Großherzog Carl Friedrich und die Wartburg
Viele Menschen lieben historische Fälschungen oder Irrtümer. Wer ein Buch über die „größten Lügen der Geschichte“auf den Markt bringt, findet sein gläubiges Publikum – auch wenn er noch so großen Unsinn verzapft. Wo das Wort „Lügenpresse“geschrien wird, werden dankbare Freudentänze aufgeführt. Wenn in Weimar der Großherzog Carl Friedrich (17831853) als alberner Tropf im Schatten seiner tüchtigen Gemahlin Maria Pawlowna karikiert wird, wollen ihn nur wenige der nach Aufklärung dürstenden Weimarer von dieser historischen Bürde befreien. Ein Beispiel: Was steht die Wartburg 2017 im Mittelpunkt des deutschen öffentlichen Interesses! Jubiläen über Jubiläen rütteln an den so hübsch sanierten alten Gemäuern und lassen sie erzittern. Der Vormarsch autoritärer politischer Kräfte ist so massiv, dass alle Register nationaler Traditionspflege gezogen werden, um den Geist der geschmähten „politischen Korrektheit“wieder im europäischdemokratischen Sinne salonfähig zu machen. Luther, der religiöse und politische Alleskönner, wird es wieder einmal richten! Ja bitte, wenn man ihn nicht auf der Wartburg versteckt hätte, wann hätte er denn sonst beim Übermaß seines Jahrtausendwerkens das Neue Testament übersetzen sollen? Und die deutschen Studenten hätten 1817 keinen Anlass gehabt, sich im Oktober auf der Wartburg im Rausch nationaler Ideen selbst an honorigen Büchern zu vergreifen.
Die Legende lebt unverdrossen weiter, Weimars Großherzogin Maria Pawlowna hätte in reifster Erkenntnis der historischen Bedeutung dieses nationalen Symbols der Deutschen für das Ansehen des Hauses Sachsenweimareisenach 1838 bei einem gelegentlichen Besuch auf der Wartburg ihrem Sohn Carl Alexander anvertraut, er solle aus der damals ziemlich wackeligen Bausubstanz „etwas machen“. Und hastdunichtgesehen, hat sich Carl Alexander an sein Lebenswerk gemacht und die Wartburg saniert!
Wer den jüngsten Umgang deutscher Bauherren mit architektonischen Großprojekten studiert, wird zögern, dieser Flüssigkeit einer Weimarer Initiative bei der Errichtung markanter Bauwerke einfach unkritisch Glauben zu schenken.
Solange hartnäckig in der Publizistik behauptet wird, Weimars Großherzog Carl Friedrich sei ein lächerlicher Schwächling gewesen und habe es nur seiner Frau Maria Pawlowna zu verdanken, dass er überhaupt wahrgenommen worden sei, muss mit aller Schärfe des aufrechten Weimarer Gewissens gegen derartige Verfälschungen der Geschichte angekämpft werden! Hat man denn vergessen, dass der russische Zarenhof in den 20erjahren des 19. Jahrhunderts die notwendigen Geldmittel für die Sanierung des Weimarer Schlosses verweigert und dadurch den Erbprinzen zum wiederholten Mal zielbewusst der Lächerlichkeit preisgegeben hat? Selbst Maria Pawlowna wurde dabei von ihrer eigenen Familie desavouiert und durfte keinen Groschen aus ihrem gepriesenen Vermögen für ihre bescheidene Wohnung im Residenzschloss zur Verfügung stellen.
Carl Friedrich hat, nachdem er 1828 das Erbe seines Vaters angetreten hatte, ab der Mitte der 30erjahre unter seinem persönlichen Protektorat ein umfangreiches Sanierungsprogramm auf den Weg gebracht, zu dessen Kernstücken das Weimarer Residenzschloss, die kleinen Schlösser von Tiefurt und Kromsdorf sowie die Wartburg gehörten.
Carl Friedrich, der friedfertige und gütige, den seine Untertanen zum silbernen Thronjubiläum ab dem 23. Juni 1853 begeistert feierten und der zwei Wochen lang den überschäumenden Huldigungen standhielt, obwohl er da keine drei Wochen mehr zu leben hatte, war tatsächlich großzügig.
Seiner Frau überließ er die Ehre, in Weimar das Residenzschloss mit den berühmten Dichterzimmern zu schmücken. Er selbst kümmerte sich um die Anlagen in Tiefurt und Kromsdorf. Auf der Wartburg setzte er 1840 gegen den brachialen Widerstand seines Staatsministers Ernst Christian August Freiherr von Gersdorff durch, dass sein langjähriger Freund und Wegbegleiter, der Maler und Zeichner Bernhard von Arnswald, zum ersten Burghauptmann ernannt wurde. Carl Friedrich war mit seiner ganzen Persönlichkeit der Inbegriff konservativer Traditionspflege seiner Dynastie. Sein Sohn Carl Alexander hat die väterlichen Hoffnungen auf der Wartburg erfüllt.