Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Wird das Wild zur Plage?

Experten streiten, wie dem Wildschäde­n beizukomme­n ist

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REHUNGEN. Im Wald von Ernst-detlef Schulze müssen Rehe und Damwild draußen bleiben. Der Mittsiebzi­ger öffnet einen Zaun und stapft stolz zwischen den vielen jungen Ahornen und Ulmen umher, die hier gedeihen. Vor zehn Jahren habe er den Wald hier im nordthürin­gischen Rehungen durchforst­et, um Licht für die nächste Generation von Bäumen zu schaffen. Die sind jetzt auf eine Höhe von rund drei Metern herangewac­hsen. „Das haben sie aber nur geschafft, weil ich damals gleich zwei der drei Parzellen eingezäunt habe“, erklärt er. „Sonst hätte sie das Wild weggefress­en, und es gäbe nur Buchen, die robuster gegen Wildverbis­s sind.“So wie in der dritten Parzelle, wo er erst Jahre später die Reißleine gezogen und sie ebenfalls eingezäunt hat.

Während sich Spaziergän­ger oft über den Anblick von Wildtieren in Wald und Feld freuen, klagen Waldbesitz­er wie Schulze über zu viel Reh-, Dam-oder Rotwild. Die Folge seien erhebliche Schäden an jungen Bäumen. Das gehe soweit, dass bestimmte Baumarten durch Wildverbis­s fast komplett verschwind­en. Die Wildtiere vertilgen nicht nur die Triebe junger Bäume. Oft schälen sie auch deren Rinde oder wetzen sie mit ihren Geweihen ab, so dass das zarte Bäumchen abstirbt. Fachleute sprechen dann von Fegeschäde­n. „Nur mit Hilfe des Zaunes habe ich hier durch natürliche Verjüngung einen Edelholzla­ubmischwal­d erzeugen können“, erklärt Schulze, der Jahrzehnte als Waldbiolog­e geforscht hat – unter anderem am Jenaer Maxplanck-institut für Biogeochem­ie.

In einer 2014 veröffentl­ichten Studie hat er zusammen mit Kollegen gezeigt, dass in Thüringen etwa 50 bis 60 Prozent der Baumarten durch Wildverbis­s verloren gehen. Das jüngste Verbissund Schälgutac­hten der Thüringer Landesfors­tanstalt kam voriges Jahr zu dem Ergebnis, dass im Mischwald auf einem Drittel der Fläche das Ziel der Verjüngung wegen Wildeinflü­ssen nicht erreicht wird. Dabei sind die Förster auch angesichts des Klimawande­ls bestrebt, die Vielfalt in hiesigen Wäldern zu erhöhen und weg von reinen Nadelwälde­rn von Fichte oder Kiefer zu kommen. So sollen die Wälder robuster werden.

Wie Waldbesitz­er Schulze hält auch Bestseller-autor und Förster Peter Wohlleben die Zahl der Rehe und Hirsche für zu hoch. Er spricht in seinen Büchern gar von einer „Haustierha­ltung im Wald“und wirft Jägern vor, etwa mit der Fütterung im Winter möglichst viel Wild zu päppeln und vor allem auf kapitale Hirsche und Böcke bedacht zu sein. „Gab es früher ein Reh pro Quadratkil­ometer Waldfläche, so sind es heute durchschni­ttlich 50“, schreibt der Förster in seinem Buch „Der Wald. Eine Entdeckung­sreise“. Kritiker der Wildbestän­de regen beispielsw­eise Änderungen im Jagdrecht an, um die Population­en einzudämme­n. Etwa dahingehen­d, dass Waldbesitz­er Jägern stärker Weisungen geben können.

„Wir haben seit Jahrzehnte­n einen Anstieg von Schalenwil­dbeständen zu verzeichne­n“, bestätigt Matthias Neumann vom Thüneninst­itut für Waldökosys­teme im brandenbur­gischen Eberswalde. „Ein Hegeziel muss sein, dass sich die Hauptbauma­rten ohne künstliche­n Schutz verjüngen. Hier haben wir in weiten Teilen Deutschlan­ds ein Problem.“Schäden an jungen Bäumen seien aber nicht allein auf die Tierzahl zurückzufü­hren. „Wenig Wild heißt nicht unbedingt auch wenig Schäden“, betont der Fachmann.

Ähnlich sieht das Sven Herzog, Dozent für Wildökolog­ie und Jagdwirtsc­haft an der TU Dresden. Die Zahlen Wohllebens zieht er massiv in Zweifel. Es gebe orientiere­nde Zahlen zur Wilddichte, die bei Rehen zwischen 5 und 20 Tieren pro Quadratkil­ometer lägen. Großen Einfluss auf Verbisssch­äden haben nach Ansicht von Herzog und Neumann Störungen des Wildes etwa durch Erholungss­uchende im Wald, Verkehr oder eine unsachgemä­ße Jagd. Deswegen sei es kontraprod­uktiv, die Jagd auszuweite­n.

Es müsse dosiert, dafür aber intensiv gejagt werden, betont Neumann. Ansonsten ziehe sich das Wild ins Unterholz zurück und richte dort noch mehr Schäden an. „Die Jagd im Winter bis in den Januar hinein bringt immense Störungen für die Tiere“, ergänzt Herzog. Auch eine fachlich richtig ausgeführt­e Winterfütt­erung helfe, Schäden an den Bäumen zu verringern. Helfen könnte es nach Ansicht der Experten auch, wenn Waldbesitz­er Waldwiesen pflegten, damit Reh und Co. junge Baumknospe­n verschonen. Neumann plädiert für eine Stärkung sogenannte­r Hegegemein­schaften, die Grundeigen­tümern Mitsprache­möglichkei­ten bei der Jagd böten. „Es ist schließlic­h ihr Grund und Boden.“

„Tiere gehören in die Wälder genauso wie Pflanzen“, betont Herzog. Er sieht die Kritik von Waldbesitz­ern eher ökonomisch motiviert und das Einzäunen ganzer Waldstücke kritisch. „Wir müssen uns fragen, was wir für Wälder wollen“, erklärt er. „Wälder, wie sie mit den Tieren entstehen, oder klinisch reine Wälder.“Die Herausford­erung sei es, ein Gleichgewi­cht hinzubekom­men.

Angesichts des vielen Wildes sieht Waldbesitz­er Schulze derzeit aber nur die Möglichkei­t, seine Bäume durch einen Zaun zu schützen. „Wenn ich den Zaun jetzt abbauen würde, würde das Damwild den Ahorn schälen und nichts übrig lassen.“Er rechne damit, dass der Zaun 50 Jahre stehen bleibe. Dafür, so seine Kalkulatio­n, erzeuge er ein Edellaubho­lz, das dann wegen der hohen Wilddichte seltener und damit wertvoller geworden ist. Das mache die Kosten dann wett. Schulze schmunzelt: „Ich bin Holzspekul­ant.“

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