Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Fiktive Figuren in echter Geschichte
Die Fakten müssen stimmen: Günter Liebergesell aus Heiligenstadt hat sich in seinem nunmehr zehnten Buch mit Raufbolden, Fürsten, Grafen und Rittern beschäftigt
HEILIGENSTADT. Der Winter ist seine Schreibzeit. Wenn es draußen nasser, kälter und dunkler wird, sitzt Günter Liebergesell in seiner freien Zeit am Schreibtisch. Eigentlich ist er Krankenpfleger. Ein Beruf, den er mit Leib und Seele ausübt. Doch seine zweite Leidenschaft gehört nun einmal dem Schreiben. Jetzt hält er seinen neuesten Streich in der Hand: „Von Raufbolden, Fürsten, Grafen und Rittern“heißt er. Und seine Hauptfigur ist niemand Geringeres als Werner von Hanstein, der Fürsten, Grafen und den Ludwigsteinern unbeirrbar die Stirn bot.
Zehn Bücher sind es jetzt, die auf Liebergesells Konto gehen. Nein, es sind keine dicken Schwarten, dafür führen sie den Leser fast immer ins Eichsfeld oder nach Italien. Und oft in die Vergangenheit. Angefangen hat alles mit der Burg Hanstein. Und Heiligenstadt. Bevor Liebergesell überhaupt merkte, dass ihm die Schriftstellerei liegt, bemalte er Zinnfiguren und baute Dioramen auf. Eins ist auf der Burg Hanstein zu sehen, nämlich das der Belagerung der Burg, wobei die Hansteiner – die ihrer Geschichte nach zu urteilen nie zimperlich waren – Heiligenstädter Bürger als Geiseln nahmen und sie einfach aufs Burgdach banden, um die Angreifer von der Erstürmung abzuhalten. 2500 winzige Schindeln aus Pappe mussten damals akribisch ausgeschnitten werden. „Da musste die ganze Familie mit helfen. Das Wohnzimmer sah aus...“
Liebergesell legte schon bei den Zinnfiguren viel Wert auf Authentizität. „Man muss sich mit der Kleidung beschäftigen, mit der Geschichte, mit den Materialien, um die Figuren detailgetreu gestalten zu können.“Und dann fiel ihm auch noch ein Stein mit einer Inschrift am Heiligenstädter Rathaus auf, die sich um die Belagerung Heiligenstadts 1404 drehte. Das ließ ihm keine Ruhe. „Bis meine Frau sagte: Schreib ein Buch!“
Das tat er. Er forschte, las Quellen und fasste diese historische Begebenheit in seinem ersten Büchlein mit dem Titel „Geschichte, die ein Stein erzählt“zusammen. „Spannend wie ein Krimi“, sagt Günter Liebergesell immer, wenn er in die Historie abtaucht. Auch wenn er in seinen Büchern eine fiktive Handlung aufbaut – die geschichtlichen Fakten stimmen. „Darauf lege ich viel Wert.“Er prüfe eine Zahl lieber drei- oder viermal nach, als sich nur auf eine Quelle zu verlassen. Und auf Fußnoten im Text verzichtet er. Das überlässt er lieber wissenschaftlichen Arbeiten. Doch das Literaturverzeichnis am Ende, das muss einfach sein.
Zu seinen nächsten Büchern, der vierteiligen Glückskinderserie, kam er, als sein Sohn verzweifelt von der Schule nach Hause kam und sich bitter beklagte, dass er die ganze Sache mit Investiturstreit und Schisma im Geschichtsunterricht nicht begreife. Günter Liebergesell setzte sich hin und entspann die Abenteuer der Glückskinder, die in die Vergangenheit reisen und geschichtliche Ereignisse am eigenen Leib miterleben. Der Sohn kapierte bei der Lektüre den Investiturstreit, Liebergesell schickte seine Glückskinder auf Zeitreise zu Heinrich IV., zu Konradin von Hohenstaufen, ließ sie Konrad von Teck – der höchstwahrscheinlich für einen Tag deutscher König war – begleiten und schließlich in der Eichsfelder Historie Barthold von Wintzingerode auf Burg Bodenstein. Während zwei Glückskinder die Hinrichtung in Mainz verhindern wollen, kommen die anderen zwei ein Jahr früher in der Geschichte an und erleben die Belagerung der Burg Bodenstein mit.
An die Glückskinderbücher kommt man kaum noch. „Zwei sind vergriffen“, sagt der Autor. Vielleicht rede er noch mal mit seinem Verlag. Den hat er in Leipzig gefunden. „Alles ganz unkompliziert. Ich stehe nicht unter dem Druck, binnen Wochen tausende Exemplare zu verkaufen“, sagt der 61-Jährige, der nicht nur gern im Eichsfeld lebt, sondern dem es auch Italien angetan hat. Auch dieses Land ist Schauplatz einiger Bücher – in der Gegenwart und in der venezianischen Geschichte.
Stolz ist der Autor auf sein Werk „Der lange Weg nach Amerika“, das er 2015 schrieb und sich damit auf die Spuren seiner eigenen Vorfahren begab. „Ich habe danach sogar Post aus Amerika bekommen – von ganz entfernten Verwandten, von denen wir noch gar nichts wussten“, schmunzelt er. Und mit den „Geschichten zum Zeitvertreib“geht er auf Lesereise.
Den größten Reiz aber üben auf ihn die geheimnisumwitterten Hansteiner Raubritter aus. Für sein neues Werk rund um Werner von Hanstein hat er sieben Jahre recherchiert, er reiste sogar nach Lübeck, um dort in alten Akten zu stöbern – und fündig wurde. Im Oktober, so erzählt Liebergesell, wird er es in Bornhagen vorstellen. Es ist aber schon im Buchhandel zu haben. Wie wäre es mit einem Roman um die Hansteiner? „Vielleicht“, lächelt Liebergesell. Die Kriminalgeschichte, die er für die erste Eichsfelder Krimi-anthologie „Mörderisches Buffet“schrieb und die sich ebenfalls um Hanstein und Rusteberg dreht, sei ausbaufähig. „In zweieinhalb Jahre gehe ich in Rente. Dann hab ich Zeit.“
• Günter Liebergesell: Von Raufbolden, Fürsten, Grafen und Rittern, Engelsdorfer Verlag. Leipzig , Seiten, ISBN: ----; , Euro