Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Thüringer in der Opposition sind sich in ihrer Uneinigkeit einig
Heimische Bundestagsabgeordnete über ihre Rolle in Zeiten der schwarzroten Regierung
BERLIN/ ERFURT. Die Berliner Republik hat die Macht neu verteilt. Alle sind sie da, die Fraktions- und Parteichefs, die Generalsekretäre und Minister. Nach einem halben Jahr voller Verhandlungen, Mitgliederbefragungen, Sonderparteitagen, nach nahezu sechs Monaten Wechsel aus Aufregung und Agonie kann es losgehen mit dem Regieren – und mit dem Opponieren. Jetzt gilt es.
„Es wird Zeit“, sagt Stephan Brandner. Er sitzt ein paar Hundert Meter von dem Schauspiel in einem Büro auf dem Flur der Afd-fraktion und gibt sich bestens gelaunt. „Wir müssen jetzt nur unser Programm abarbeiten“, sagt er. „Damit werden wir dieses Einheitsparteigebäude aufbrechen.“Für Brandner sind derlei Sätze zahm. Sonst nannte er die Grünen schon mal gerne „Kinderschänder“und „Koksnasen“. Merkel, „die Fuchtel“, will er „anklagen“und dann „einknasten“.
Gegendemonstranten bezeichnet er als Produkt von Inzest und Sodomie und den Sozialdemokraten Ralf Stegner als „Hackfresse“. Die „heute-show“schnitt eine seiner Kampfreden kürzlich so zusammen, dass daraus eine Beleidigungsorgie gegen die AFD wurde. Brandner sagt, er fand das witzig. „Da hat sich zum ersten Mal mein Rundfunkbeitrag mal gelohnt.“
Wenn man es also freundlich betrachten will, ist der Geraer Rechtsanwalt Brandner der Krawallkarnevalist der AFD, der immer auf den nächsten Tusch hinarbeitet. Doch eigentlich meint er es ernst. Seit er vor fünf Jahren der neuen AFD beitrat, hat er sich gemeinsam mit der Partei radikalisiert. Mit ihr, das jedenfalls behauptet er, will er das System der „Altparteien“überwinden, das sich bei den kleinen Leuten bedient. Da die AFD von allen vier Oppositionsparteien die meisten Abgeordneten im Bundestag besitzt, darf sie sich Oppositionsführer nennen und in Parlamentsdebatten zuerst auf die Redner der Regierung antworten.
Es scheint so, als fühle sich Brandner ganz wohl in Berlin. „Hier sind die nicht so verbiestert wie im Landtag“, sagt er. Alles laufe „sehr geschäftsmäßig“. Vielleicht, sagt er, werde man demnächst gemeinsam mit Liberalen oder Grünen einen Untersuchungsausschuss einsetzen, der Merkels Flüchtlingspolitik aufarbeite. „Wir arbeiten jedenfalls daran.“
„Ach, Brandner!“Martina Renner spuckt den Namen förmlich aus. Die Linke-abgeordnete, die in ihrer zweiten Wahlperiode im Bundestag ist, sitzt in einem Café zwischen Pariser Platz und Schloss und sagt: „Ich hoffe, dass sich das Parlament nicht entblödet, diesen Initiativen der AFD eine Mehrheit zu verschaffen.“Sie kenne genügend Kollegen, die bedauerten, Brandner zum Ausschusschef gewählt zu haben. Die Erfahrung daheim im Erfurter Landtag habe gezeigt, dass es gelte, „eine Haltelinie zur AFD“zu ziehen.
Zum Beispiel der U-ausschuss zum Behördenversagen im Fall des islamistischen Attentäters vom Berliner Breitscheid- platz. „Dass wir gemeinsam mit allen Fraktionen außer der AFD den Ausschuss einsetzen konnten, hat gezeigt, dass im entscheidenden Moment ein Konsens der demokratischen Parteien möglich ist“, sagt sie.
Und sonst? Wie kooperiert man mit den Grünen, die kürzlich noch mit Union und FDP über eine gemeinsame Regierung verhandelten? Und redet man noch mit der SPD, die nun wieder mit CDU und CSU koaliert? Ist Rot-rot-grün wirklich so tot, wie es die Linke-fraktionschefin Sahra Wagenknecht behauptet?
„Die Frage, ob wir noch eine Option auf Rot-rot-grün im Bund haben oder nicht, ändert nichts daran, dass wir wie bisher konsequente Oppositionsarbeit machen werden“, sagt Renner. Sie werde wie bisher im Innenausschuss gegen den Rechtsextremismus streiten und für eine humane Flüchtlingspolitik.
Ansonsten sei aber klar, dass der erste politische Gegner in der Regierung die Union sei, aber dass man mit den Sozialdemokraten weiterhin reden wolle. „Die Gesprächskanäle mit der SPD werden wir offenhalten“, sagt sie. Die Linke dürfte Rot-rot-grün, das ja in Thürin- gen funktioniere, im Bund nicht als Ziel aufgeben. „Nur so lässt sich ja eine Mitte-links-mehrheit in Deutschland organisieren.“
Katrin Göring-eckardt von den Grünen gibt sich in ihrem Büro entspannt. Wenn es mit der Jamaika-koalition geklappt hätte, wäre sie jetzt Bundesministerin. Nun ist die einzige Bundestagsabgeordnete aus der kleinen Thüringer Landespartei weiter Vorsitzende der kleinsten Oppositionsfraktion. Das heißt: Sie darf immer als Letzte reden. Aber, genau: Sie ist entspannt. „Es ist gar nicht so wichtig, wer
formal Oppositionsführer ist“, sagt sie. „Dadurch, dass es jetzt zwei Fraktionen mehr sind, gibt es kürzere, aber temperamentvollere Debatten.“Das Parlament, sagt sie, sei insgesamt lebendiger geworden.“Außerdem, sagt sie, besäßen die Grünen inzwischen eine Art Alleinstellungsmerkmal. „Wegen der AFD sind alle Parteien außer uns nach rechts gerückt, sogar Teile der Linken“, sagt Göring-eckardt. Egal, ob man nun Horst Seehofer, Jens Spahn, Christian Lindner, Manuela Schwesig oder Sahra Wagenknecht zuhöre: „Sie alle haben in unterschiedlichem Ausmaß rechtspopulistische Positionen übernommen.“
Die Linke Martina Renner sieht das ganz anders: „Ich halte die Aussagen, dass es lebendiger im Bundestag geworden ist, für Quatsch. Was ist denn daran lebendig, wenn mit Ns-sprache vom Rednerpult argumentiert wird?“Die Kursdebatte innerhalb der Linken, sagt sie, berühre die Arbeit der Fraktion nicht. „Wir haben geschlossen in der vergangenen Wahlperiode alle Asylrechtsverschärfungen abgelehnt. Und wir werden das auch künftig tun.“
Fasst man dies alles zusammen, heißt das wohl: Linke und Grüne können nicht recht miteinander – und mit der AFD schon gar nicht.
Nun gibt es zwar, wie ein Politikkalauer sagt, keine Koalition in der Opposition. Jeder verfolgt seine Eigeninteressen. Doch gewöhnlich setzt man jenseits des kleinsten gemeinsamen Nenners – der Kritik an der Regierung – durchaus auf Kooperationen.
Aber auch für die Liberalen gilt dies vorerst kaum. Mit den Linken reden sie traditionell nicht. Und was die Grünen betrifft, haben die gescheiterten Verhandlungen über eine gemeinsame Regierung die vorhandene Distanz nochmals vergrößert.
Der thüringische Fdp-vorsitzende, der seit Herbst erstmals im Bundestag sitzt, hatte von Anbeginn gegen Jamaika opponiert. Nun, sagt Thomas Kemmerich, fühle er sich bestätigt. „Das Auftreten der Grünen in den Ausschüssen zeigt, dass bei ihnen linksideologische und wirtschaftsfeindliche Positionen dominieren“, sagt er. Die Grünen stellten eine völlige andere Art von Opposition dar, vor allem dann, wenn es um Einwanderung oder Energie gehe. „Und das waren ja auch die großen Knackpunkte bei Jamaika.“
Am Ende, sagt Kemmerich, sei dies aber auch egal. Er halte es eh für wichtiger, „mit den ewigen Problemdebatten“aufzuhören. „Wir brauchen Lösungen, ob nun beim Bürokratieabbau oder der Mittelstandsförderung. Darum geht es doch.“
Der Rest ist für den FDP-BUNdestagsabgeordneten aus Thüringen ganz einfach: „Grüne und Linke orientieren sich links. Die AFD ist ganz rechts außen. Damit sind wir die einzige bürgerliche Opposition.“
So mag das Stephan Brandner natürlich nicht sehen. Bürgerlich, das will die AFD auch unbedingt sein, besonders im Bundestag, wo man mit einem Kinderschänder-satz ganz schnell in der Tagesschau ist. Und so wirkt der Abgeordnete, der es im Landtag auf 32 der insgesamt 108 Ordnungsrufe in dieser Wahlperiode brachte, in Berlin fast schon wieder brav.
Sowieso fühlt sich Brandner auch in der Hauptstadt ganz falsch eingeordnet. Er sei doch bitteschön kein Rechtsradikaler, sagt er, und schaut ganz empört. Besonders ärgere ihn, dass man ihn für einen Abgesandten Björn Höckes hält. Er schätze ja seinen Thüringer Afd-vorsitzenden sehr, sagt er, auch habe er mit ihm immer gut zusammengearbeitet. Dass er aber eine Art Emissär von ihm sein soll, „das ist Unfug.“
„Grüne und Linke orientieren sich links. Die AFD ist ganz rechts außen. Damit sind wir die einzige bürgerliche Opposition.“Thomas L. Kemmerich, Fdpbundestagsabgeordneter