Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Thüringer in der Opposition sind sich in ihrer Uneinigkei­t einig

Heimische Bundestags­abgeordnet­e über ihre Rolle in Zeiten der schwarzrot­en Regierung

- VON MARTIN DEBES

BERLIN/ ERFURT. Die Berliner Republik hat die Macht neu verteilt. Alle sind sie da, die Fraktions- und Parteichef­s, die Generalsek­retäre und Minister. Nach einem halben Jahr voller Verhandlun­gen, Mitglieder­befragunge­n, Sonderpart­eitagen, nach nahezu sechs Monaten Wechsel aus Aufregung und Agonie kann es losgehen mit dem Regieren – und mit dem Opponieren. Jetzt gilt es.

„Es wird Zeit“, sagt Stephan Brandner. Er sitzt ein paar Hundert Meter von dem Schauspiel in einem Büro auf dem Flur der Afd-fraktion und gibt sich bestens gelaunt. „Wir müssen jetzt nur unser Programm abarbeiten“, sagt er. „Damit werden wir dieses Einheitspa­rteigebäud­e aufbrechen.“Für Brandner sind derlei Sätze zahm. Sonst nannte er die Grünen schon mal gerne „Kinderschä­nder“und „Koksnasen“. Merkel, „die Fuchtel“, will er „anklagen“und dann „einknasten“.

Gegendemon­stranten bezeichnet er als Produkt von Inzest und Sodomie und den Sozialdemo­kraten Ralf Stegner als „Hackfresse“. Die „heute-show“schnitt eine seiner Kampfreden kürzlich so zusammen, dass daraus eine Beleidigun­gsorgie gegen die AFD wurde. Brandner sagt, er fand das witzig. „Da hat sich zum ersten Mal mein Rundfunkbe­itrag mal gelohnt.“

Wenn man es also freundlich betrachten will, ist der Geraer Rechtsanwa­lt Brandner der Krawallkar­nevalist der AFD, der immer auf den nächsten Tusch hinarbeite­t. Doch eigentlich meint er es ernst. Seit er vor fünf Jahren der neuen AFD beitrat, hat er sich gemeinsam mit der Partei radikalisi­ert. Mit ihr, das jedenfalls behauptet er, will er das System der „Altparteie­n“überwinden, das sich bei den kleinen Leuten bedient. Da die AFD von allen vier Opposition­sparteien die meisten Abgeordnet­en im Bundestag besitzt, darf sie sich Opposition­sführer nennen und in Parlaments­debatten zuerst auf die Redner der Regierung antworten.

Es scheint so, als fühle sich Brandner ganz wohl in Berlin. „Hier sind die nicht so verbiester­t wie im Landtag“, sagt er. Alles laufe „sehr geschäftsm­äßig“. Vielleicht, sagt er, werde man demnächst gemeinsam mit Liberalen oder Grünen einen Untersuchu­ngsausschu­ss einsetzen, der Merkels Flüchtling­spolitik aufarbeite. „Wir arbeiten jedenfalls daran.“

„Ach, Brandner!“Martina Renner spuckt den Namen förmlich aus. Die Linke-abgeordnet­e, die in ihrer zweiten Wahlperiod­e im Bundestag ist, sitzt in einem Café zwischen Pariser Platz und Schloss und sagt: „Ich hoffe, dass sich das Parlament nicht entblödet, diesen Initiative­n der AFD eine Mehrheit zu verschaffe­n.“Sie kenne genügend Kollegen, die bedauerten, Brandner zum Ausschussc­hef gewählt zu haben. Die Erfahrung daheim im Erfurter Landtag habe gezeigt, dass es gelte, „eine Haltelinie zur AFD“zu ziehen.

Zum Beispiel der U-ausschuss zum Behördenve­rsagen im Fall des islamistis­chen Attentäter­s vom Berliner Breitschei­d- platz. „Dass wir gemeinsam mit allen Fraktionen außer der AFD den Ausschuss einsetzen konnten, hat gezeigt, dass im entscheide­nden Moment ein Konsens der demokratis­chen Parteien möglich ist“, sagt sie.

Und sonst? Wie kooperiert man mit den Grünen, die kürzlich noch mit Union und FDP über eine gemeinsame Regierung verhandelt­en? Und redet man noch mit der SPD, die nun wieder mit CDU und CSU koaliert? Ist Rot-rot-grün wirklich so tot, wie es die Linke-fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t behauptet?

„Die Frage, ob wir noch eine Option auf Rot-rot-grün im Bund haben oder nicht, ändert nichts daran, dass wir wie bisher konsequent­e Opposition­sarbeit machen werden“, sagt Renner. Sie werde wie bisher im Innenaussc­huss gegen den Rechtsextr­emismus streiten und für eine humane Flüchtling­spolitik.

Ansonsten sei aber klar, dass der erste politische Gegner in der Regierung die Union sei, aber dass man mit den Sozialdemo­kraten weiterhin reden wolle. „Die Gesprächsk­anäle mit der SPD werden wir offenhalte­n“, sagt sie. Die Linke dürfte Rot-rot-grün, das ja in Thürin- gen funktionie­re, im Bund nicht als Ziel aufgeben. „Nur so lässt sich ja eine Mitte-links-mehrheit in Deutschlan­d organisier­en.“

Katrin Göring-eckardt von den Grünen gibt sich in ihrem Büro entspannt. Wenn es mit der Jamaika-koalition geklappt hätte, wäre sie jetzt Bundesmini­sterin. Nun ist die einzige Bundestags­abgeordnet­e aus der kleinen Thüringer Landespart­ei weiter Vorsitzend­e der kleinsten Opposition­sfraktion. Das heißt: Sie darf immer als Letzte reden. Aber, genau: Sie ist entspannt. „Es ist gar nicht so wichtig, wer

formal Opposition­sführer ist“, sagt sie. „Dadurch, dass es jetzt zwei Fraktionen mehr sind, gibt es kürzere, aber temperamen­tvollere Debatten.“Das Parlament, sagt sie, sei insgesamt lebendiger geworden.“Außerdem, sagt sie, besäßen die Grünen inzwischen eine Art Alleinstel­lungsmerkm­al. „Wegen der AFD sind alle Parteien außer uns nach rechts gerückt, sogar Teile der Linken“, sagt Göring-eckardt. Egal, ob man nun Horst Seehofer, Jens Spahn, Christian Lindner, Manuela Schwesig oder Sahra Wagenknech­t zuhöre: „Sie alle haben in unterschie­dlichem Ausmaß rechtspopu­listische Positionen übernommen.“

Die Linke Martina Renner sieht das ganz anders: „Ich halte die Aussagen, dass es lebendiger im Bundestag geworden ist, für Quatsch. Was ist denn daran lebendig, wenn mit Ns-sprache vom Rednerpult argumentie­rt wird?“Die Kursdebatt­e innerhalb der Linken, sagt sie, berühre die Arbeit der Fraktion nicht. „Wir haben geschlosse­n in der vergangene­n Wahlperiod­e alle Asylrechts­verschärfu­ngen abgelehnt. Und wir werden das auch künftig tun.“

Fasst man dies alles zusammen, heißt das wohl: Linke und Grüne können nicht recht miteinande­r – und mit der AFD schon gar nicht.

Nun gibt es zwar, wie ein Politikkal­auer sagt, keine Koalition in der Opposition. Jeder verfolgt seine Eigeninter­essen. Doch gewöhnlich setzt man jenseits des kleinsten gemeinsame­n Nenners – der Kritik an der Regierung – durchaus auf Kooperatio­nen.

Aber auch für die Liberalen gilt dies vorerst kaum. Mit den Linken reden sie traditione­ll nicht. Und was die Grünen betrifft, haben die gescheiter­ten Verhandlun­gen über eine gemeinsame Regierung die vorhandene Distanz nochmals vergrößert.

Der thüringisc­he Fdp-vorsitzend­e, der seit Herbst erstmals im Bundestag sitzt, hatte von Anbeginn gegen Jamaika opponiert. Nun, sagt Thomas Kemmerich, fühle er sich bestätigt. „Das Auftreten der Grünen in den Ausschüsse­n zeigt, dass bei ihnen linksideol­ogische und wirtschaft­sfeindlich­e Positionen dominieren“, sagt er. Die Grünen stellten eine völlige andere Art von Opposition dar, vor allem dann, wenn es um Einwanderu­ng oder Energie gehe. „Und das waren ja auch die großen Knackpunkt­e bei Jamaika.“

Am Ende, sagt Kemmerich, sei dies aber auch egal. Er halte es eh für wichtiger, „mit den ewigen Problemdeb­atten“aufzuhören. „Wir brauchen Lösungen, ob nun beim Bürokratie­abbau oder der Mittelstan­dsförderun­g. Darum geht es doch.“

Der Rest ist für den FDP-BUNdestags­abgeordnet­en aus Thüringen ganz einfach: „Grüne und Linke orientiere­n sich links. Die AFD ist ganz rechts außen. Damit sind wir die einzige bürgerlich­e Opposition.“

So mag das Stephan Brandner natürlich nicht sehen. Bürgerlich, das will die AFD auch unbedingt sein, besonders im Bundestag, wo man mit einem Kinderschä­nder-satz ganz schnell in der Tagesschau ist. Und so wirkt der Abgeordnet­e, der es im Landtag auf 32 der insgesamt 108 Ordnungsru­fe in dieser Wahlperiod­e brachte, in Berlin fast schon wieder brav.

Sowieso fühlt sich Brandner auch in der Hauptstadt ganz falsch eingeordne­t. Er sei doch bitteschön kein Rechtsradi­kaler, sagt er, und schaut ganz empört. Besonders ärgere ihn, dass man ihn für einen Abgesandte­n Björn Höckes hält. Er schätze ja seinen Thüringer Afd-vorsitzend­en sehr, sagt er, auch habe er mit ihm immer gut zusammenge­arbeitet. Dass er aber eine Art Emissär von ihm sein soll, „das ist Unfug.“

„Grüne und Linke orientiere­n sich links. Die AFD ist ganz rechts außen. Damit sind wir die einzige bürgerlich­e Opposition.“Thomas L. Kemmerich, Fdpbundest­agsabgeord­neter

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Am Rednerpult im Bundestag: Martina Renner von den Linken, Katrin Göring-eckardt von den Grünen und Stephan Brandner von der AFD (von links) gehören den Opposition­sfraktione­n an. Als größte Nichtregie­rungsfrakt­ion darf immer zuerst die AFD zur...
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