Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Nur 19 Grad im Wohnzimmer – und dennoch zu hohe Energiekosten
Thüringer Schuldnerberater berichten aus der Praxis – Grund für hohen Verbrauch sind oft schlecht gedämmte Häuser
ERFURT/BERLIN. Jedes Jahr wird hunderttausenden Menschen in Deutschland der Strom abgedreht, weil sie Schulden bei ihrem Versorger haben. Oft geht es um vergleichsweise kleine Summen. Thüringer Schuldnerberater warnen davor, die Betroffenen zu stigmatisieren.
Nicht nur einmal, sagt Ramona Ballod, die seit 1992 bei der Energieberatung der Thüringer Verbraucherzentrale arbeitet, habe das Sozialamt völlig falsch gelegen. Immer wieder berate sie arme Menschen, denen Ähnliches widerfahren sei: Behörden werfen ihnen vor, sie würden nicht sparsam mit der Energie umgehen. Mit Strom und Heizung.
Der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte jüngst mit Äußerungen zur Armut in Deutschland von vielen Seiten Kritik auf sich gezogen. Gesagt hatte er etwa, mit Hartz IV habe „jeder das, was er zum Leben braucht“. Schon vor Jahren hatte der sozialdemokratische Populist Thilo Sarrazin Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, vorgeworfen, sie würden die Heizung gerne auf volle Leistung stellen und die Temperatur in einem gut geheizten Raum dann durch das Öffnen des Fensters regulieren. Auch Sozialämter argumentierten so, wenn sie Menschen, die von ihnen betreut werden, erklären, sie würden ihre Energiekosten nur noch bis zu einer gewissen Grenze tragen, sagt Ballod. In solchen Fällen heißt es, die verursachten Kosten für Energie seien zu hoch.
Dabei, erzählt Ballod, treffe das oft gar nicht zu. Diese Menschen seien in der Regel nicht verschwenderisch. Die Gründe für die hohen Energiekosten sind vielfältig. Einmal habe sie eine ältere, arme Frau beraten, die sehr auf ihren Energieverbrauch geachtet habe. „Die Frau war sehr sparsam und ist sogar teilweise bei 19 Grad im Wohnzimmer rumgesessen“, sagt Ballod. Das sei kaum mehr angemessen. Trotzdem habe ihr das Sozialamt gedroht, die Energiekosten nur noch bis zu einer gewissen Kappungsgrenze zu bezahlen. Jeden Euro, den sie zusätzlich verbrauche, müsse sie selbst tragen. Wobei freilich sofort die Frage im Raum steht: Wovon eigentlich, wenn man von Hartz IV oder Grundsicherung im Alter lebt?
Schließlich habe die Frau gemeinsam mit der Verbraucherzentrale nachweisen können, dass sie nicht über Gebühr heize – sondern dass das Haus, in dem sie lebte einfach so schlecht gedämmt war, dass sich hohe Energiekosten nicht vermeiden ließen. Was, sagt Ballod, ein Teufelskreis sei, der gerade arme Menschen immer wieder treffe: Sie wohnten nicht selten in eher alten, schlecht gedämmten Häusern. Da seien die Energiekosten freilich höher als bei Menschen, die in ein gerade saniertes Haus oder gar neu gebautes Niedrigenergiehaus eingezogen seien.
Bundesweiten Daten zufolge hat etwa jeder fünfte Haushalt in der Bundesrepublik Probleme, die Stromrechnung zu bezahlen, sagt Anja Draber, die in der Schuldnerberatung der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Thüringen arbeitet. Sie weiß, dass viele Menschen oft völlig falsche Vorstellungen davon haben, warum so viele Menschen im Land unter den hohen Energiepreisen leiden – und im schlimmsten Fall eben zu Energieschuldnern werden. Sie sagt auch, dass solche Menschen in der Regel keine Energieverschwender seien. Sie wüssten auch sehr wohl, dass die von ihnen verursachten Kosten für Strom und Heizung irgendjemand bezahlen muss. Und ihnen sei klar, dass Sarrazin mit seinem Stigmatisierung von Armen als Energieverschwendern ganz oft falsch liegt.
Das macht die Probleme der Armen mit der Energie freilich nicht leichter: Etwa jeder zweite Schuldner, der bei einer Schuldnerberatung nach Hilfe suche, sagt Draber, habe auch bei seinem Energieversorger Ausstände. Das führe auf die eine oder andere Art dazu, dass es in der gesamten Bundesrepublik pro Jahr im Durchschnitt etwa 330 000 Fälle gebe, sagt Draber, denen der Strom abgestellt werde. Im Einzelfall heiße das, macht die Linke-abgeordnete Diana Skibbe jüngst bei einer Konferenz ihrer Fraktion zum Thema Energiearmut ganz konkret: kein Licht mehr in der Wohnung, kein Strom, um Essen warm zu machen. Dinge, die eigentlich völlig normal seien, seien dann von jetzt auf gleich nicht mehr da oder nicht mehr möglich. Und das mitten in Europa, in einer Lage, in der es im Schnitt gesehen in Deutschland vielen gut geht.
Nach den Erfahrung von Draber geht es für die Energieversorger dabei oft um nur relativ kleine Summen. „Schon bei 100 Euro Zahlungsverzug werden die Versorger aktiv“, sagt sie – und meint damit, dass die Unternehmen bereits dann beginnen würden, Stromsperren zu beauftragen; etwa 6,5 Millionen Mal pro Jahr geschehe das in Deutschland. In vielen Fällen lasse sich die Sperre immerhin noch abwenden. Wenn man aber bedenke, dass die Kosten einer Sperrung bei ebenfalls etwa 100 Euro pro Fall lägen, zeige sich, wie unsinnig es eigentlich sei, zu dieser Maßnahme zu greifen, sagt Draber. Weil sich so die Schulden der Betroffenen gegenüber dem Versorger praktisch verdoppelten – was völlig unverhältnismäßig sei. Und die Not dieser Menschen nur noch vergrößert. Denn – und auch da äußert sich Draber sehr deutlich – immerhin seien die Energieschulden fast immer nur ein kleiner Teil der Probleme, die arme Menschen hätten.