Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Sommergerechtigkeit
Liebe Leser, sollte Ihnen diese ansonsten für die geradlinige Eleganz ihrer Gedankenführung berüchtigte Kolumne etwas wirr erscheinen, könnte der Eindruck richtig sein. Schuld ist der elende Jetlag nach der Zeitumstellung.
Unser Biorhythmus ist gestört, wir haben schlecht geschlafen, und die gnadenlose Fröhlichkeit des Frühstückradios geht uns auf den Zeiger. So! Und abgesehen davon, dass der Versuch, im Sommer der Zeit eine Stunde abzuluchsen, töricht ist – es bringt auch nichts.
Kein Zeitgewinn am Ende des Tages, kaum Energieeinsparung. Nun ja, der Verbrauch von Wachskerzen ging zurück. Ansonsten ist es mit der Sommerzeit wie mit der Straßenmaut. Immer mehr Menschen zweifeln am Sinn des Projektes, doch es wird weiter betrieben.
Mit der Aussicht auf Riesengewinne sind wir in die Mautfalle gelockt worden. Fünfhundert Millionen jährlich, und das Schönste daran: Nur Ausländer sollten zahlen, kein Bundesbürger betroffen sein. Dann wurde der Gewinn von Skeptikern auf zweihundert heruntergerechnet, und Miesmacher sprechen heute sogar von Miesen unterm Strich. Dazu trägt – wir sind in Deutschland – auch ein Dschungel an Ausnahmeregelungen, Umleitungen und Sackgassen bei. Für grenznahe Regionen, gewisse Autobahnab schnitte, bestimmte Fahrzeugtypen. Es ist nicht ganz, aber fast so schlimm wie bei der Mehrwertsteuer. Die nun ist eine Orgie exquisiter Sonderbestimmungen. Ein Fest der Sinne für Lobbyisten. Von der Tiernahrung bis zur bei der FDP beliebten Restaurantkette Mövenpick. Um hier nur die volkstümlichsten Beispiele zu nennen.
Wie sind wir nur von der Sommerzeit über die Maut auf die Mehrwertsteuer gekommen? Ach so, der Jetlag. Darüber hätten wir fast vergessen, dass die Sommerzeit auch etwas Gutes hat. So vermittelte uns ihre späte Einführung in der DDR einen Frühsommer lang das schöne Gefühl, dazuzugehören. Auch ein Teil des Europas zu sein, das frei und unbekümmert sein Leben selbst bestimmte. Ein schöner ideologiefreier Moment, der schnell wieder verflog, als sich die Braunkohleschwaden über den Energiekombinaten doch nicht hoben und die Erträge aus den Orangenhainen der LPGEN wieder nicht für Weihnachten reichten.
Und noch eines ist an der Sommerzeit zu rühmen: Sie kennt keine Ausnahmen. Der Obdachlose unter seiner Brücke ist von ihr ebenso betroffen wie der Banker auf seinem Kajütboot. Abgesehen davon, dass der eine von der Kehrmaschine geweckt wird, der andere vom Decksteward, darf man die Sommerzeit also als ein Projekt der sozialen Gerechtigkeit ansehen.