Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Das schweigende Klassenzimmer
Schüler entscheiden sich spontan zu einer Schweigeminute für die Opfer des Ungarnaufstands – und der Ddrapparat reagiert brutal
EISENHÜTTENSTADT/SUHL. Eine Schule war das leerstehende Gebäude gleich neben dem heutigen Dokumentationszentrum für Ddr-alltagskultur in Eisenhüttenstadt nie. Doch für einen Kinofilm ist das ehemalige Kinderwochenheim zum „schweigenden Klassenzimmer“umgebaut worden. Der gleichnamige Kinofilm, der auf einer wahren Geschichte basiert, soll im nächsten Jahr ins Kino kommen.
In den Hauptrollen agieren viele Nachwuchsschauspieler; Nebencharaktere sind mit namhaften Darstellern wie Michael Gwisdek, Florian Lukas oder Ronald Zehrfeld besetzt.
Ein graues Schild am Eingang des Gebäudes weist auf die fiktive „Clara-zetkin-schule“. Tafel, Schulbänke, Lampen und Gardinen – alles stammt aus dem 1950er-jahren. Auch der gesamte Eisenhüttenstädter Wohnkomplex II, in dem viele der Außenaufnahmen gedreht wurden, deutet auf die Anfangsjahre der DDR. Die tatsächliche Geschichte, die Dietrich Garstka und seine 19 Mitschüler im Herbst 1956 erlebten, trug sich allerdings nicht hier, sondern in Storkow (Oder-spree) südöstlich von Berlin zu: Als Reaktion auf den von sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagenen Ungarn-aufstand hatten die Neuntklässler im Herbst 1956 spontan zwei Schweigeminuten für die Opfer eingelegt. Die Aktion hatte gravierende Folgen: Erst schaltete sich das Kreisschulamt ein, später auch der Ddr-bildungsminister.
Die Sed-funktionäre suchten den Anstifter, die Schüler hielten dicht und wurden alle vom Abitur ausgeschlossen. 16 von ihnen flohen zunächst nach West-berlin und wurden später propagandaträchtig in die Bundesrepublik ausgeflogen. In Hessen machten sie 1958 ihr Abitur, unter ihnen auch Garstka. Der heute 78-Jährige hat die Geschichte aufgeschrieben und das Buch mit dem Titel „Das schweigende Klassenzimmer“vor elf Jahren veröffentlicht. „Ich wollte das Thema unbedingt verfilmen, schon damals“, sagt Miriam Düssel, Produzentin der Akzente Film & Fernsehproduktion. „Es war eine spannende Zeit, als die DDR noch in ihren Anfängen steckte und Jugendliche mit einer menschlichen Geste einen ganzen Staatsapparat gegen sich aufbrachten“, sagt sie. Zehn Jahre habe es gedauert, die Filmrechte zu erhalten und das Drehbuch zu schreiben. Regie führt Lars Kraume, der nach dem Politthriller „Der Staat gegen Fritz Bauer“zum zweiten Mal Deutschlands Entwicklung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg verfilmt. „Gerade heute, wo unsere demokratischen Grundwerte wieder in Frage gestellt werden, sind diese Ereignisse besonders aufschlussreich“, meint er.
Die einst erste sozialistische Stadt der DDR – damals als Stalinstadt im Zusammenhang mit dem Eisenhüttenkombinat Ost gebaut – hat alles, was das Herz der Filmemacher höher schlagen ließ: Die Wohnkomplexe I bis III – nach einem Entwurf des Architekten Kurt W. Leucht, der auch an der städtebaulichen Planung von Suhl beteiligt war, in einem Baumix aus sowjetischem Vorbild und Bauhaustradition realisiert – gelten heute als eines der größten Flächendenkmale Deutschlands. Damals sollte demonstriert werden, dass auch die Arbeiter im Sozialismus komfortabel und attraktiv wohnen. Erst ab den 1960er-jahren wurden hier kostengünstigere Plattenbauten errichtet.
Seit Anfang März hatte das Filmteam mitten im Denkmal gedreht. Das Rathaus wurde zum fiktiven Ddr-volksbildungsministerium, das Friedrich-wolf-theater zum Bahnhof. Auch das Dokumentationszentrum diente als Filmkulisse: Auf dem Platz davor wurden Fahnenappelle der fiktiven Film-schule nachgespielt.
Hunderte Eisenhüttenstädter machten als Komparsen beim Filmdreh mit. „Die Unterstützung in der Stadt war großartig. Ohne sie hätten wir den Film nicht machen können“, lobt Kraume.
Inzwischen ist die letzte Klappe in Eisenhüttenstadt gefallen. Bis Anfang April wird noch in Berlin und in Potsdam-babelsberg gedreht.
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