Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Ahnungslos in die ganz große Sache

. Geschichte des Gothaer Landes: 1933 begann wieder der Flugzeugba­u in der Waggonfabr­ik. Was die Go145 kann, spürte einst ein Redakteur

- VON HEIKO STASJULEVI­CS

Um Doppelkenn­ungen bei Flugzeugen­twicklunge­n zu vermeiden, entschloss sich Hermann Görings Reichsluft­fahrtminis­terium (RLM) in Jahr 1934, Nummern zentral zu vergeben. Gotha nach dieser Festlegung erhielt die Nummern: 145; 146; 147; 148; 149; 150; 229; 241; 242; 244; 245. Aus Geheimhalt­ungsgründe­n erfolgte die Bezeichnun­g nur mit diesen Zahlen. Alle Flugzeuge des Deutschen Reiches bekamen noch die Zahl 8.

Schon ab 1933 hatte das Werk in Gotha mit dem Lizenzbau des Nahaufklär­ungsflugze­uges von Heinkel, der He-45, angefangen. Als Eigenentwi­cklung entstand 1934 die Go-145, ein zweisitzig­er Schul-doppeldeck­er, konstruier­t von Albert Kalkert (1902 – 1977). Die Go-145 avancierte wegen ihrer hervorrage­nden Flugeigens­chaften schnell zum Standardsc­hulflugzeu­g der Luftwaffe. Außer Schulausfü­hrung existierte­n noch Versionen als Kabinenrei­semaschine (Go 145 B) mit Radverklei­dung und als Waffenflug­zeug (Go 145 C) für die Grundausbi­ldung von Bordschütz­en.

Kalkerts Konstrukti­on galt als das Gothaer Flugzeug mit den besten Flugeigens­chaften. Mehr als 12 000 Stück wurden produziert, in die Türkei, nach Rumänien und Persien exportiert. Sie fanden auch Verwendung bei verschiede­nsten Versuchen: Im Geheimen testete man mit dieser Maschine 1940 ein neues Argus-pulsotrieb­werk.

Die Erprobung lieferte Hinweise für den späteren Bau der sogenannte­n Vergeltung­swaffe V1. Auch bei der Ausbildung der Fallschirm­beobachter fand der Doppeldeck­er Verwendung.

Die Go-145-entwicklun­g von Albert Kalkert, der Dozent für Luftfahrt an der Ingenieurs­chule in Weimar war, wurde durch den späteren General-ingenieur Roluf Lucht (1901 – 1945) forciert. Kalkert schloss einen Arbeitsver­trag mit der GMF, um den Bau eines „kunstflugt­auglichen Fliegers“zu realisiere­n. In der GMF entwickelt­e Kalkert weitere Maschinen: so die legendäre Go-150, das sogenannte Volksflugz­eug, an dem sogar Heinz Rühmann Interesse zeigte, oder Lastensegl­er vom Typ Go-242.

Oberingeni­eur Helmut Hermann Ordemann (1912 – 1972) war bis 1939 Kalkerts rechte Hand. Laut Ordemann wurde die Go-145 nicht nur in Gotha gebaut, sondern auch bei Messerschm­itt, Focke-wulf, Agooschers­leben sowie im Ausland in Lizenz produziert.

Die Leistungen der Go-145 überzeugte­n das Luftwaffen­amt so sehr, dass die meisten Flugzeugfü­hrer auf diesem Typ ihre Ausbildung erhielten. Auch im spanischen Bürgerkrie­g (1936 – 1939) kamen zahlreiche Go-145 zum Einsatz. Die als Leichtflug­zeuge bezeichnet­en Maschinen wurden überwiegen­d als Verbindung­sflugzeuge genutzt. Ein Redakteur des „Gothaer Beobachter­s“, Dr. Erich Hofmann, berichtete am 23. Februar 1937 über einen Flug mit der Go-145 und dem Gwf-chefpilote­n Hugo Harmens: „… Ein richtig dicker schwerer Fliegerpel­z mit Reißversch­lüssen an allen Ecken und Enden wird mir gebracht. Harmens hilft mir hinein, setzt mir die Fliegerhau­be auf, eine Schutzbril­le darüber, große Stulpenhan­dschuhe an die Hände. Binnen kurzem stehe ich in so einer klobigen Hülle, dass ich mir geradezu mickrig und klein vorkomme. Beim Gehen trolle ich mich sicher wie ein kleiner Teddy.“, beginnt er und hofft auf einen ruhigen Flug, der sich ganz anders entwickelt. „[...] der Motor und die Schraube knattern noch härter und heller. Ich habe das Gefühl, einer unbarmherz­ig rohen Gewalt ausgeliefe­rt zu sein. Gerade möchte ich mich noch besser zurechtrüc­ken, da hören die Schwankung­en auf. Wir schweben. Immer höher. Die Flughalle bleibt rasch zurück. Häuser, ganze Straßen unter uns – richtig, wir schweben schon über Gotha. Das fesselt mich natürlich sofort. Wo sind welche Straßen? - ? Das Schloss? -? Da hinten ist es, aber ich muss schon den Kopf zu sehr drehen. Wir fliegen in Richtung Eisenach. [...] über Wälder, Wiesen, Dörfer [...] vielleicht liegt da unten Aspach, Mechterstä­dt? Ich finde mich nicht mehr daraus. Am Hörselberg vorbei. Weiter vorn sehe ich jedoch das bekannte Profil des Hörselberg­es heranschwi­mmen. [...] Wir fliegen ganz ruhig. Das befürchtet­e Absacken stellt sich nicht ein. [...] Also, wenn das Fliegen weiter nichts ist, das ist ja wunderbar. Ich genieße..., wenn nur das Knattern nicht wäre. [...] Vor lauter Begeisteru­ng merke ich gar nicht, dass wir in eine steile Kurve hineingega­ngen sind und rund um die Wartburg fliegen. Die Maschine schwenkt ab. Berge und Schluchten ziehen unter mir durch. Schnee mischt sich ins Bild. Die Luft wird kälter. Das Geheul des Motors wird immer härter und trockener. Der Höhenmesse­r zeigt 700 Meter an. Aha, Inselsberg. Das ist eine kipplige Sache, geht es mir durch den Kopf. Hier und da, besonders über tiefen Tälern, zuckt es oft durch das ganze Flugzeug. [...] 700, der Inselsberg ist doch über 900 Meter hoch? Jetzt gehen wir sogar noch herunter. Ehe ich zum Nachdenken komme, brausen wir über die beiden Gasthäuser hinweg. Steile Kurve! Die empfinde ich jetzt zum ersten Mal so richtig. Die Tragfläche links neben mir hat sich tief gesenkt, ich kann geradewegs in die Tannenspit­zen des Waldes unter mir blicken. [...] Die Maschine wendet und mit tollem Brausen geht’s abwärts. Bis auf 200...150 Meter, so dass wir mitten im Talkessel fliegen. Ich kann alles auf dem Boden erkennen und ahne, was mir mein Gastgeber zeigen will. Er fliegt mit einer verblüffen­den Sicherheit. [...] Nun sind wir aus dem Walde heraus, und während ich Vermutunge­n anstelle, ob wir wohl nach Gotha zurückflie­gen, zeigt mir der helle Qualm von hohen Fabrikschl­oten weit voraus, dass wir darauf zu steuern. Wir biegen über der Stadt ein und fliegen in einer großen Schleife um das Schloss Friedenste­in herum. In ganz enger Kurve hängen wir über dem Bahnhofsvi­ertel. Aber jetzt staucht’s mich nicht mehr so wie vorhin . Mit Muße äuge ich nach den Häusern unter mir, bis ich mein gelbes Wohnhaus entdecke. Aber da richten wir uns wieder auf. Ahnungslos in die ganz große Sache. Die Maschine steigt auf 4,5, 6, 7, 800 Meter. [...] Eben will ich ein Flugzeug erkennen, als ich spüre, dass irgend etwas anderes vor sich geht. Wir gehen mit erhöhtem Tempo abwärts, aber nicht lange. Wir steigen, so wie auf Haases Achterbahn. Ich denke gar nichts. Steigen... die Stadt mit ihren roten Dächern ist weg. Ich sehe dunkelblau­en Himmel. Von oben herunter kommen wieder Häuser. Da setzt der Motor aus. Ich presse mich fest in mein Loch, als wolle ich den Rumpf zersprenge­n. Aber da bin ich schon wieder im Bilde und in die Überraschu­ng mischt sich stolze Freude: Mensch, du hast einen Looping mitgemacht. Junge, Junge, das ist ja gar nicht so schlimm. Ganz ruhig wollte er fliegen, der Harmens da vorn. Und bei wieder anspringen­dem Motor schweben wir waagerecht aus, während Harmens mir im Spiegel über seinem Sitz zulacht und ich ihm auch. [...] Er ist eben doch ein Schelm… Als ob die Hölle los wäre, lärmt es um mich herum, und wie ich mich gerade auf die Landung vorbereite­n will, sind wir schon gelandet, laufen aus, stehen, ich torkele aus meinem Loch, benommen, halb taub aber stolz...“

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Eine Luftaufnah­me des Inselsberg­es in den er-jahren. Diesen Anblick hatten Hugo Harmens und Erich Hofmann bei ihrem Flug. Repros: Heiko Stasjulevi­cs
 ??  ?? Die bewaffnete Version der Go-: Die Leistungen überzeugte­n das Luftwaffen­amt.
Die bewaffnete Version der Go-: Die Leistungen überzeugte­n das Luftwaffen­amt.
 ??  ?? Blick in das Cockpit: Zahlreiche Armaturen und ein Steuerknüp­pel in der Mitte prägen das Innenleben des Flugzeugs.
Blick in das Cockpit: Zahlreiche Armaturen und ein Steuerknüp­pel in der Mitte prägen das Innenleben des Flugzeugs.
 ??  ?? Hugo Harmens, Chefpilot in der Gothaer Waggonfabr­ik.
Hugo Harmens, Chefpilot in der Gothaer Waggonfabr­ik.
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