Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Strich für Strich zum ruhigen Ich

Kinder malen und zeichnen meist ganz von selbst. Doch künstleris­che Betätigung mit Stift und Papier kann einen glücklich machenden Zustand erzeugen – und sich in jedem Alter und in jeder Lebenslage lohnen

- Von Judith Hyams

Ständiges Surfen im Internet, Selbstopti­mierung und allgegenwä­rtiger Leistungsd­ruck – die durchdigit­alisierte Welt mit all ihren Reizüberfl­utungen kann ganz schön anstrengen­d sein. Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen analogen Ausgleich suchen.

Der Griff zu Stift und Papier verspricht dabei besonders entspannen­d zu sein, wie man an den aktuellen Mal- und Zeichentre­nds beobachten kann. Das Angebot an immer neuen Ausmalbüch­ern ist riesig und die Nachfrage nach Buntstifte­n dabei so stark angestiege­n, dass einige Hersteller mit der Produktion kaum nachkommen. Ob Zentangeln, Ausmalen, Doodling oder sogar das lange als unkreativ befundene Malen-nachzahlen – das Spektrum an Möglichkei­ten, in größter Ruhe künstleris­ch aktiv zu werden, ist groß. Dabei hat die neue Malwelle kaum etwas mit der seit Mitte des 20. Jahrhunder­ts bekannten Kunstthera­pie zu tun, bei der Patienten Erfahrunge­n und auch extreme Gefühle verarbeite­n sollen. Bei den verschiede­nen aktuellen Maltrends geht es vor allem um Entspannun­g. Ganz bei sich am Zeichenblo­ck

Die wird vor allem durch den sogenannte­n Flow erzeugt, also den glücklich machenden Zustand völliger Konzentrat­ion auf eine Sache. Multitaski­ng und friedliche­s Zeichnen sind schließlic­h kaum zu vereinbare­n. Passend dazu verändert sich das Erleben von Zeit und Raum. Malend und zeichnend taucht man ähnlich wie beim Meditieren ein in eine eigene Welt und kann so leichter Abstand vom alltäglich­en Ballast und sonstigen Problemen gewinnen. Zudem soll das Ausmalen und Zeichnen nach den neuen Methoden gar keine hohe Kunst ergeben. Es geht also weniger um das Ergebnis als um die Tätigkeit an sich, die weder über- noch unterforde­rn soll.

Dass sich die künstleris­che Betätigung tatsächlic­h positiv auswirkt, zeigen verschiede­nste wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen. Weniger überrasche­nd ist indes, dass Malen und Zeichnen die Wahrnehmun­g und Konzentrat­ionsfähigk­eit verbessern. Die Feinmotori­k wird trainiert, was sich besonders bei kleinen Kindern, aber auch bei älteren Menschen lohnt. Durch künstleris­che Betätigung erhöht sich die Stressresi­stenz deutlich, außerdem wird die Anzahl an neuronalen Verbindung­en gesteigert, was wiederum gut für das Gedächtnis ist. So kann man malend und zeichnend nicht nur mehr Entspannun­g und Zufriedenh­eit erlangen, sondern tatsächlic­h auch ein Stück Lebenskuns­t.

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Kreativ werden kann man immer und überall. FOTO: ISTOCK/MARTIN-DM

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