Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Neue Technik soll alte Mordfälle lösen
Drei Kindsmorde der 90er Jahre im Großraum Jena sind nach wie vor ungeklärt: Die hochtechnische Tatort beziehungsweise Fundortrekonstruktion soll neue Hinweise liefern
JENA. Das Summen der Drohne durchbricht die Ruhe am Jenaer Saale-ufer. Ein Blick in die Umgebung zeigt: Hier geht etwas nicht Alltägliches vor sich. Hinter jedem Busch steht ein Polizeifahrzeug. Auch ein Kleinbus der Mittweidaer Hochschule befindet sich vor Ort.
Die Wissenschaftler aus Sachsen sind die wichtigsten Protagonisten an diesem Montag. Sie sollen den Ort rekonstruieren, an dem am 18. Juli 1993 der damals neunjährige Bernd B. aus Jena tot aufgefunden wurde. Seine Leiche hatten spielende Kinder entdeckt.
Seit Monaten rollt die Soko „Altfälle“der Landespolizeiinspektion Jena dieses unaufgeklärte Verbrechen sowie zwei weitere Morde an Kindern wieder auf. Anlass dafür ist der Verdacht gewesen, dass Nsu-terrorist Uwe Böhnhardt etwas mit dem Verschwinden der kleinen Peggy zu tun haben könnte. Uwe Böhnhardt war auch im Zusammenhang mit dem getöteten Jungen in Jena in das Visier der Ermittler geraten. Die gefundene DNA-SPUR im Fall Peggy aus Bayreuth, die seit 2001 vermisst wurde und deren sterbliche Überreste erst am 2. Juli 2016 in einem Waldstück in Thüringen auftauchten, hatte sich aber als Trugspur erwiesen. Dennoch: Mutmaßungen, dass die Soko „Altfälle“ihre Arbeit nun schnell wieder einstellen würde, werden am Saale-ufer in Jena mit großem technischen Aufwand zerstreut. Eine Drohne überfliegt den Bereich, in dem Bernd B. gefunden wurde, mehrfach. Nicht nur Bildmaterial sichern die Wissenschaftler aus Mittweida damit, sie vermessen auch den Fundort. Aus noch größerer Entfernung geht wenig später der Polizeihubschrauber in die Luft. Es werden weitere Aufnahmen gemacht. Für Naheindrücke des Fundortes sind Beamte der Bereitschaftspolizei verantwortlich, die die Saale an der Stelle mit dem Boot befahren, um dicht an den Bereich heranzukommen.
Später erläutert Prof. Dirk Labudde von der Hochschule in Mittweida das Verfahren. Es gehe darum, eine Rekonstruktion des Fundortes des Jahres 1993 in allen Details zu bekommen.
Mit neuen Erkenntnissen zu dem Todesfall Bernd B. können die Ermittler indes nicht aufwarten. Am Saale-ufer gleicht die Rekonstruktion eine Stunde lang einer Technikschau, der Wissenschaftler erläutert in mehreren Einzelgesprächen das Vorgehen. Später dann stehen Polizeidirektor Lutz Schnelle, er leitet die Soko, sowie seine Vertreterin Kerstin Kämmerer, Erste Kriminalhauptkommissarin, Rede und Antwort. Mit dabei sind Oberstaatsanwalt Thomas Riebel, der im Fall Bernd B. die Ermittlungen leitet, und der Chef der Landespolizeiinspektion Jena, Thomas Quittenbaum. Der spricht davon, dass es drei dunkle Flecken auf der nahezu weißen Weste der Jenaer Kriminalisten gebe. Das seien die ungeklärten Verbrechen an drei Kindern. Stefanie D. aus Weimar wird 1991 aus dem Park an der Ilm entführt und zwei Tage später wenige Kilometer von Weimar entfernt tot unter der Teufelstalbrücke an der A 4 gefunden – der Täter hat sie offenbar hier hinunter gestoßen. In wenigen Wochen schon wollen die Ermittler mittels modernster Technik dort eine Rekonstruktion starten und erhoffen sich neue Erkenntnisse.
Ob auch der dritte ungeklärte Mordfall mit den Methoden der Mittweidaer Wissenschaftler untersucht werden soll, das ist noch unklar. Im August 1996 ist die damals zehnjährige Ramona K. verschwunden. Ihre sterblichen Überreste tauchten im Januar 1997 nahe Eisenach auf.
Wie konkret die Ermittlungsergebnisse nach mehr als einem halben Jahr Soko-arbeit bereits sind, dazu lassen sich die Beamten kaum in die Karten schauen. Nur an einem neuerlichen Öffentlichkeitsaufruf, der gestern verbreitet wurde, lässt sich ablesen, dass einem weißen Bootsmotor nach wie vor eine zentrale Rolle im Mordfall Bernd B. zugewiesen wird. Der Motor war im Umfeld des Fundortes aufgetaucht und könnte, so vermuten es die Ermittler, in zeitlicher Nähe zu dem Moment dort abgelegt worden sein, als auch die Leiche von Bernd B. an das Saale-ufer gebracht oder er dort umgebracht wurde. Ob der Fundort B.‘s auch der Tatort ist, das können die Ermittler bis heute nicht zu 100 Prozent sagen.
Der Motor, das wird gestern wiederholt, sei an einem Ruderboot befestigt gewesen, über dessen Verbleib die Ermittler nach wie vor im Dunkeln tappen. „Das Ruderboot mit Außenbordmotor befand sich an einem selbstgebauten Steg an der Saale. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bislang unbekannte Personen das Boot dort entwendeten“, heißt es in dem Aufruf.
Dieser mögliche Diebstahl hätte jetzt keine Konsequenzen mehr: „Sofern sich die Person oder die Personen seinerzeit aus Angst vor eigener Strafverfolgung wegen Diebstahls nicht meldeten, ist dies nunmehr möglich, da ein derartiges Delikt zwischenzeitlich verjährt wäre.“
Die Ermittler bleiben indes relativ unkonkret, was den aktuellen Ermittlungsstand angeht. Im Fall Bernd B. gebe es neue gerichtsmedizinische Betrachtungen, Täterprofile sollen erstellt werden, es erfolge eine weitere Tatrekonstruktion – und die Öffentlichkeit wird erneut einbezogen. Alles wirkt, als griffen die Ermittler nach einem der letzten Strohhalme, um die Verbrechen noch aufklären zu können.
● Mehr Informationen, Fotos und ei n Video finden Sie im Internet unter www.tlz.de
Polizeichef: Drei dunkle Flecken auf weißer Weste