Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Rocco rennt
Studenten der Bauhausuni Weimar drehen in Ostthüringen einen Werbespot für ihr Zugtheater „Bewegtes Land“
DÖBRITSCHEN. Es ist Mittag, die Sonne steht fast im Zenit und knallt auf das helle Kopfsteinpflaster der Dorfstraße in Döbritschen. Schatten spendet eine einzige Linde. Darunter steht und sitzt die Filmcrew – bis Regisseurin Bianka Müller ruft: „Los geht‘s. Klappe die erste. Und Action!“
Dann dreht sich Achim Lobenstein auf seinem alten Traktor am Straßenrand nach hinten, schaut angestrengt suchend durch ein Fernglas und schwingt schließlich freudig erregt ein Fähnchen. Das ist für die Frau in der roten Latzhose das Signal, die goldene Glocke zu schwingen. Mit dem Ruf: „Er kommt!“stürzen sieben andere Frauen in ebenso roter Kluft nach vorn, mit Hocker, Handtuch, Wasserflasche und nagelneuen Turnschuhen bewaffnet. Das alles ist für Rocco bestimmt. Denn Rocco rennt. Von Jena über Döbritschen bis nach Naumburg. Nicht gegen die Uhr, sondern gegen den ICE, der (noch) durchs Saaletal fährt. Damit Rocco den Wettlauf gewinnt, dafür stehen Isabella, Petra, Brunhild, Michaela, Mandy, Kerstin und Carola bereit. Denn in Döbritschen hat Rocco einen „Boxenstopp“. Die gestandenen Mädels sorgen – wie die Mechaniker vom Ferrari-rennstall für Sebastian Vettel – dafür, dass ihr Idol Rocco die nächste Etappe des ungleichen Wettlaufes erfrischt und neu „bereift“angehen kann.
So jedenfalls steht es im Drehbuch des Films, für den Kunstund Medienstudenten der Bauhaus-universität einige Einstellungen in Döbritschen, Wichmar und an anderen Orten entlang der Saalebahn gedreht haben.
Der abgefahrene Film wird der Werbespot für eines der spektakulären Weimarer Kunstfest-projekte. „Bewegtes Land“ist dessen Titel, Inszenierung für vorbeifahrende Züge eine nähere Beschreibung. Die Bauhausstudenten verwandeln dafür an zwei Tagen das Saaletal zwischen Jena und Naumburg in eine 30 Kilometer lange Bühne und machen die Zugreisenden auf der Saale-bahnstrecke – ungewollt oder gewollt – zu ihrem Publikum.
Hinter dem Projekt steht das Berliner Künstlerduo Datenstrudel, das sind die regieführenden Künstler Jörn Hintzer und Jakob Hüfner, die an der Bauhaus-universität Weimar die Professur Experimentelle Television leiten.
Mit ihrem „Bewegten
Land“wollen sie Begegnun- gen schaffen: Reisende treffen auf Einheimische, Urbanität auf Landidylle, Tempo auf Langsamkeit, Realistisches auf Fantastisches. „Wir werden entlang der Bahnstrecke an den beiden Augusttagen etwa 40 Spielszenen aufführen, die von den Reisenden in den Zügen als überraschendes, verstörendes, amüsantes Theater erlebt werden“, erklärt Jakob Hüfner beim Filmdreh in Döbritschen. „In Bewegung sind dabei zum Beispiel ein Traktoren-ballett, vielleicht ein ganzer Trabi-club und ein Wasserskiläufer auf der Saale. Und natürlich Rocco, unser schnellster Mann des Saaletals, der den Wettlauf mit dem ICE aufnimmt“, erzählt er.
Dafür muss der junge Mann, der im wirklichen Leben Christoph Balduin Stroppel heißt und Musiker und Medienkünstler von der Bauhaus-uni ist, natürlich noch fleißig trainieren. Und damit er den wahnwitzigen Wettlauf gegen den Zug gewinnt, braucht er noch jede Menge Helfer – sprich Doubles, Schauspieler, Komparsen und Sponsoren. „Die wollen wir mit unserem Film neugierig machen und zum Mitspielen bewegen“, klärt Regieassistentin Luisa Patz auf. Der nicht einmal eine Minute lange Werbetrailer soll demnächst in der Kulturarena Jena laufen sowie bei öffentlichen Veranstaltungen in Weimar, Jena, Naumburg und vielleicht an anderen Orten.
„Wir haben schon rund 150 Zusagen von Leuten aus der Region, die Fußballer aus Camburg wollen mitmachen, die Feuerwehr von Dornburg-camburg ist mit im Boot, ebenso der Fanfarenzug Bad Kösen und eine Schulklasse aus Bad Sulza“, verrät Hüfner. „Doch wir brauchen am 26. und 27. August etwa 500 Leute vor und hinter den Kameras. Je mehr, desto besser, dann wird die Reise für die Zugfahrer ein sicher bewegendes Erlebnis“, ist Hüfner überzeugt.
Wahnwitziger Wettlauf gegen einen Zug