Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Automatisieren, um Mangel auszugleichen
Wie die Industrie und Handelskammer Ostthüringen zu Gera versucht, in einen Koalitionsvertrag zu kommen
GERA. Sonntag, 24. September 2017, 18 Uhr. Deutschland hat gewählt. Nach ersten Prognosen, Wahlnachbefragungen und Hochrechnungen wird man einige Stunden später wissen, wer gewonnen hat. Und man wird nicht nur ahnen können, wer miteinander koaliert.
In den Koalitionsvertrag will die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostthüringen hinein, und zwar gleich mit einigen Ideen. Um je nach Wahlausgang nichts dem Zufall zu überlassen, bitten der Präsident der IHK, Ralf-uwe Bauer, und der Hauptgeschäftsführer der Organisation, Peter Höhne, Regierungsund Oppositionspolitiker zum Roundtable-gespräch. Diese Woche ist Albert Weiler an der Reihe. Der CDU-MANN ist im Wahlkreis Gera, Jena und Saaleholzland-kreis direkt gewählt. Diesen Wahlkreis gibt es aber nicht mehr, sondern einen anderen, in dem für Gera die Kreise Saale-orla und Saalfeld-rudolstadt dazugekommen sind.
Bauer und Höhne warten in einem nüchternen Konferenzraum im dritten Stock des Ihkgebäudes in Gera. Thüringer Blechkuchen, Säfte und Wasser stehen bereit. Kaffee ist gebrüht. Mehr gibt es nicht. Den Vertretern der heimischen Wirtschaft geht es um Inhalte und nicht um Schnickschnack.
Während man auf Weiler wartet, der im Wahlkampfstress steckt, finden die beiden Herren Zeit, andere Parteien zu loben. Gesprächspartner der Linkspartei, freut sich Bauer, stünden gerade dem Thema Innovation sehr aufgeschlossen gegenüber.
Und Höhne weiß zu ergänzen, dass es auch bei den Grünen aufmerksame Zuhörer „mit Grundverständnis“gibt.
Die Ostthüringer haben Sorge, durch den zunehmenden Personalmangel könnte die positive Leistungsbilanz Thüringens verloren gehen. Der ehrenamtliche Präsident, selbst Unternehmer aus Rudolstadt, erläutert den Masterplan, demzufolge strukturschwache Gebiete künftig weniger strukturschwach sein sollen. „Seit der Finanzkrise“,
rechnet Bauer vor, „ist Thüringens Wirtschaft besser gewachsen als der bundesdeutsche Durchschnitt.“Das soll nicht verloren gegeben werden. „Wir müssen deshalb in Produktivität investieren, müssen Exzellenzen herausfiltern.“
Die beiden Ihk-bosse machen eine simple Rechnung auf: Wenn demografisch bedingt einfach weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, dann muss wenigstens die gleiche Leistung oder – besser noch – mehr von
weniger Mitarbeitern gebracht werden. Und dazu muss die Produktivität in Thüringen hoch. Am besten fix. Bei 75 Prozent liegt sie momentan. Also Luft nach oben. „Beispielsweise“, wird Geschäftsführer Höhne deutlicher, „würde dabei eine stärkere Digitalisierung den Unternehmen helfen.“
Forschungsförderung lautet das Stichwort, das im kleinen Konferenzraum an diesem Tag öfter fällt. Und als Gesprächspartner Weiler eintrifft, kommen
die Vorstellungen auf den Tisch, die momentan nur wortwörtlich auf dem Papier stehen: Industrieforschung, steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung in Unternehmen sowie eine neue Ausrichtung eines Programms, das denn sperrigen Titel trägt „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“und GRW abgekürzt wird.
In den Forderungen der Wirtschaft stecken die kleinen Teufel im Detail. Wenn es beispielsweise darum geht, Forschungs- und Entwicklungsausgaben von der Steuer abzusetzen, setzt das eine entsprechende Gesetzgebung voraus. Aber wer entscheidet dann, ob die Bedingungen auf Steuererleichterung auch erfüllt sind? Jedes Finanzamt für sich? Der Steuerzahler aus der Praxis, Ihk-präsident Bauer, fürchtet solche Szenarien. Er plädiert für einen Blick in andere Länder. Dort gibt es Projektträger. Lassen diese eine unternehmerische Forschungs- oder Entwicklungsidee zu, kann sich anschließend auch das Finanzamt nicht mehr herauswinden.
Der Abgeordnete Weiler staunt. Bei der IHK weiß man offensichtlich, was man will. Und wie geht der Gewählte mit den Erkenntnissen um? „Das bekommen Kanzleramtsminister Peter Altmeier und Cdu-generalsekretär Peter Tauber von mir. Aber vor dem 24. September passiert da nichts mehr.“Lobbyismus, der funktioniert?
Weiler verzieht das Gesicht. „Lobbyismus? Für mich sind das wichtige Informationen. Ich kann mich doch nicht immer nur mit den Gewerkschaften zusammensetzen. Ich muss doch auch wissen, was für den Arbeitgeber wichtig ist.“Und, fügt er an, „wenn man mit den Gewerkschaften spricht, gilt das nie als Lobbyismus.“
Auch Ihk-geschäftsführer Höhne kann mit dem Begriff wenig anfangen. Der hauptberufliche Pragmatiker stellt fest: „Wir sind Träger öffentlicher Belange. Da müssen wir ohnehin von der Politik angehört werden.“So entstünden auch die Wahlprüfsteine. Und über die kann jede Partei stolpern.