Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Alles Marmelade
Mein Sohn Arthur verspeist mit Vorliebe die Erdbeer-variante. Manche mögen sie auf dem warmen Brötchen, wahlweise mit oder ohne Butter. Großmütter kochen sie in rauen Mengen, um damit Generationen zu versorgen und auch bei jungen Leuten wird die selbst gemachte Marmelade, gekocht aus eigenen Gartenfrüchten, immer beliebter.
Den Herstellungsprozess von Marmelade kann man bis ins alte Rom zurückverfolgen, er ist eigentlich heute nicht anders als damals. Und selbst bei einem der größten Thüringer Produzenten von süßen Brotaufstrichen, der Hainich Konserven Gmbh in Niederdorla, werden im Prinzip nur Früchte in einem Topf mit ordentlich Zucker aufgekocht.
Eine Million Gläser mit süßen Brotaufstrichen gehen jedes Jahr aus Niederdorla in die Welt. Und, ich wette, Sie wussten es nicht: Auf keiner einzigen steht das Wort „Marmelade“.
Konfitüre, Konfitüre extra, süßer Brotaufstrich – für die meisten von uns ist das alles Marmelade. „Doch auf das Etikett darf das so nicht“, erklärt Karen Seeling, die bei Hainich-konserven für die Produktentwicklung verantwortlich ist.
Denn laut der 1979 erlassenen Eu-verordnung 79/693/EWG „über Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Maronenkrem für die menschliche Ernährung“dürfen nur Brotaufstriche Marmelade genannt werden, die mindestens 20 Prozent Zitrusfruchtanteil enthalten. Die Briten hatten sich bei ihrem Eueintritt 1973 den Begriff Marmelade quasi schützen lassen. Denn „marmalade“bezeichnet bei ihnen die traditionelle Orangenmarmelade.
Nun geht das British Empire bald seinen eigenen Weg ohne Europäische Union. Das hat dieser Tage den Eu-abgeordneten Jakob von Weizsäcker (SPD), Thüringen ist sein Wahlkreis, dazu verleitet eine Anfrage an die Eu-kommission zu stellen. Nicht ganz ohne Ironie, wie Weizsäcker später zugibt. „Um unsere britischen Freunde nicht zu überfordern, wird der Begriff seit 1979 Eu-weit ausschließlich für Zitrusfruchtmarmeladen verwendet — zum Leidwesen vieler Verbraucher insbesondere in Deutschland und Österreich, die seither statt normaler Marmelade nur noch Fruchtaufstrich oder Konfitüren kaufen können. Marmelade wieder Marmelade nennen zu dürfen, könnte dabei helfen, vielen Eubürgern den bitteren Beigeschmack des Brexits zu versüßen“, erklärt Weizsäcker.
Marmelade soll wieder Marmelade heißen
Bei Cornelia Beau, der Geschäftsführerin der Hainichkonserven, sorgt der Vorstoß ebenfalls für Schmunzeln. Landläufig werden ihre Produkte aus dem süß-fruchtigen Segment meist sowieso als Marmelade bezeichnet, erklärt sie.
„Wir glauben aber nicht, dass man mit dem Schriftzug ‚Marmelade‘ auf dem Glas mehr verkaufen kann“, sagt Beau. Ohnehin steht das Wort „Konfitüre“ziemlich klein gedruckt auf dem Etikett. Dafür dominiert das Foto der zu Konfitüre verarbeiteten Frucht und deren Bezeichnung.
Im Jahr 2003 wurde bei Hainich-konserven mit der Produktion von Konfitüre begonnen. Seitdem füllt man damit die Produktionspausen, die durch das Saisongeschäft mit Sauerkonserven entstehen, erläutert die Chefin. Mit Erdbeer-konfitüre habe man angefangen.
Die ist nach wie vor der Verkaufsschlager. Die Hälfte des Umsatzes aus dem Bereich werde damit gemacht. Produziert wird ausschließlich in Niederdorla.
„Wir experimentieren gerade mit Cranberry und Mango“, erklärt Karen Seeling. Die Konfitürenverordnung gilt dabei als die Bibel für alle Marmeladenhersteller. Sie regelt Frucht- und Zuckergehalt von Konfitüren und besagt, dass bei ihrer Herstellung auf Aromen und Farbstoffe zu verzichten ist.
Bei den Brotaufstrichen sind die Hersteller weniger eingeschränkt. Welche Kreationen letztlich in den Handel kommen, sei immer auch abhängig von den jeweiligen Einkaufspreisen der Früchte. Deshalb habe man in diesem Jahr die Heidelbeer-konfitüre wieder aufgelegt, die bereits vor einigen Jahren verkauft wurde. Zwischenzeitlich waren die Früchte allerdings zu teuer.
Zehn Sorten Fruchtaufstiche, neun Sorten Konfitüre extra, vier Gelees und fünf Balance Konfitüren kommen aus Niederdorla. Letztere, mit weniger Zucker, finden in Brasilien einen guten Absatz, heißt es.
Nur sechs Prozent des Gesamtumsatzes machen die Brotaufstriche aus, 54 Prozent die Sauerkonserven und 40 Prozent Obstkonserven.
Wenig humorvoll hat übrigens die Eu-kommission auf die Anfrage des Europaabgeordneten reagiert. Man habe keine Pläne, die Konfitürenverordnung zu überprüfen, heißt es lapidar.
Marmelade hin, Konfitüre her – schmecken muss es. Oma schreibt sowieso weiterhin „Marmelade“auf das Etikett. Die Eu-verordnung ist ihr schnuppe.
Und am Frühstückstisch wird weiter das Marmeladenglas rübergereicht, auch wenn keine Orangen drin sind.