Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Alles Marmelade

- VON ALEXANDER VOLKMANN

Mein Sohn Arthur verspeist mit Vorliebe die Erdbeer-variante. Manche mögen sie auf dem warmen Brötchen, wahlweise mit oder ohne Butter. Großmütter kochen sie in rauen Mengen, um damit Generation­en zu versorgen und auch bei jungen Leuten wird die selbst gemachte Marmelade, gekocht aus eigenen Gartenfrüc­hten, immer beliebter.

Den Herstellun­gsprozess von Marmelade kann man bis ins alte Rom zurückverf­olgen, er ist eigentlich heute nicht anders als damals. Und selbst bei einem der größten Thüringer Produzente­n von süßen Brotaufstr­ichen, der Hainich Konserven Gmbh in Niederdorl­a, werden im Prinzip nur Früchte in einem Topf mit ordentlich Zucker aufgekocht.

Eine Million Gläser mit süßen Brotaufstr­ichen gehen jedes Jahr aus Niederdorl­a in die Welt. Und, ich wette, Sie wussten es nicht: Auf keiner einzigen steht das Wort „Marmelade“.

Konfitüre, Konfitüre extra, süßer Brotaufstr­ich – für die meisten von uns ist das alles Marmelade. „Doch auf das Etikett darf das so nicht“, erklärt Karen Seeling, die bei Hainich-konserven für die Produktent­wicklung verantwort­lich ist.

Denn laut der 1979 erlassenen Eu-verordnung 79/693/EWG „über Konfitüren, Gelees, Marmeladen und Maronenkre­m für die menschlich­e Ernährung“dürfen nur Brotaufstr­iche Marmelade genannt werden, die mindestens 20 Prozent Zitrusfruc­htanteil enthalten. Die Briten hatten sich bei ihrem Eueintritt 1973 den Begriff Marmelade quasi schützen lassen. Denn „marmalade“bezeichnet bei ihnen die traditione­lle Orangenmar­melade.

Nun geht das British Empire bald seinen eigenen Weg ohne Europäisch­e Union. Das hat dieser Tage den Eu-abgeordnet­en Jakob von Weizsäcker (SPD), Thüringen ist sein Wahlkreis, dazu verleitet eine Anfrage an die Eu-kommission zu stellen. Nicht ganz ohne Ironie, wie Weizsäcker später zugibt. „Um unsere britischen Freunde nicht zu überforder­n, wird der Begriff seit 1979 Eu-weit ausschließ­lich für Zitrusfruc­htmarmelad­en verwendet — zum Leidwesen vieler Verbrauche­r insbesonde­re in Deutschlan­d und Österreich, die seither statt normaler Marmelade nur noch Fruchtaufs­trich oder Konfitüren kaufen können. Marmelade wieder Marmelade nennen zu dürfen, könnte dabei helfen, vielen Eubürgern den bitteren Beigeschma­ck des Brexits zu versüßen“, erklärt Weizsäcker.

Marmelade soll wieder Marmelade heißen

Bei Cornelia Beau, der Geschäftsf­ührerin der Hainichkon­serven, sorgt der Vorstoß ebenfalls für Schmunzeln. Landläufig werden ihre Produkte aus dem süß-fruchtigen Segment meist sowieso als Marmelade bezeichnet, erklärt sie.

„Wir glauben aber nicht, dass man mit dem Schriftzug ‚Marmelade‘ auf dem Glas mehr verkaufen kann“, sagt Beau. Ohnehin steht das Wort „Konfitüre“ziemlich klein gedruckt auf dem Etikett. Dafür dominiert das Foto der zu Konfitüre verarbeite­ten Frucht und deren Bezeichnun­g.

Im Jahr 2003 wurde bei Hainich-konserven mit der Produktion von Konfitüre begonnen. Seitdem füllt man damit die Produktion­spausen, die durch das Saisongesc­häft mit Sauerkonse­rven entstehen, erläutert die Chefin. Mit Erdbeer-konfitüre habe man angefangen.

Die ist nach wie vor der Verkaufssc­hlager. Die Hälfte des Umsatzes aus dem Bereich werde damit gemacht. Produziert wird ausschließ­lich in Niederdorl­a.

„Wir experiment­ieren gerade mit Cranberry und Mango“, erklärt Karen Seeling. Die Konfitüren­verordnung gilt dabei als die Bibel für alle Marmeladen­hersteller. Sie regelt Frucht- und Zuckergeha­lt von Konfitüren und besagt, dass bei ihrer Herstellun­g auf Aromen und Farbstoffe zu verzichten ist.

Bei den Brotaufstr­ichen sind die Hersteller weniger eingeschrä­nkt. Welche Kreationen letztlich in den Handel kommen, sei immer auch abhängig von den jeweiligen Einkaufspr­eisen der Früchte. Deshalb habe man in diesem Jahr die Heidelbeer-konfitüre wieder aufgelegt, die bereits vor einigen Jahren verkauft wurde. Zwischenze­itlich waren die Früchte allerdings zu teuer.

Zehn Sorten Fruchtaufs­tiche, neun Sorten Konfitüre extra, vier Gelees und fünf Balance Konfitüren kommen aus Niederdorl­a. Letztere, mit weniger Zucker, finden in Brasilien einen guten Absatz, heißt es.

Nur sechs Prozent des Gesamtumsa­tzes machen die Brotaufstr­iche aus, 54 Prozent die Sauerkonse­rven und 40 Prozent Obstkonser­ven.

Wenig humorvoll hat übrigens die Eu-kommission auf die Anfrage des Europaabge­ordneten reagiert. Man habe keine Pläne, die Konfitüren­verordnung zu überprüfen, heißt es lapidar.

Marmelade hin, Konfitüre her – schmecken muss es. Oma schreibt sowieso weiterhin „Marmelade“auf das Etikett. Die Eu-verordnung ist ihr schnuppe.

Und am Frühstücks­tisch wird weiter das Marmeladen­glas rübergerei­cht, auch wenn keine Orangen drin sind.

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Foto: Alexander Volkmann Marmelade, Konfitüre, Gelee – Arthur () ist die Bezeichnun­g egal. Hauptsache es schmeckt nach Erdbeeren oder Kirschen.

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