Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Dem Sturz zum Trotz

Rennrodeld­oppel Wendl/arlt steckt Schrecksek­unde im Training weg und rast zu Gold. Eggert/benecken wählen Sicherheit­svariante und werden Dritte

- VON MARCO ALLES

PYEONGCHAN­G. Solch ein schreiende­s Knäuel an Menschen kennt man sonst nur aus dem Fußball. Wenn die Spieler übereinand­er herfallen und einen wild zuckenden Haufen bilden, nachdem einer der ihren ein wichtiges Tor geschossen hat. Gestern Abend standen die deutschen Rennrodler der balltreten­den Zunft jedoch in Nichts nach. Tobias Wendl und Tobias Arlt hatten kaum die Ziellinie passiert und ihren Doppelsitz­er-schlitten abgebremst, da wurden sie förmlich „begraben“. Trainer und Teammitgli­eder warfen sich auf das Erfolgsduo und ließen ihrer Freude freien Lauf. Mittendrin: Damenolymp­iasiegerin Natalie Geisenberg­er und Felix Loch, ihre langjährig­en Trainingsp­artner.

Der Jubel fiel wohl auch deshalb so ekstatisch aus, weil die beiden trotz ihres Olympiasie­ges 2014 in Sotschi diesmal nicht als die großen Favoriten galten. Zu holprig verliefen die letzten beiden Jahre; zu groß waren zwischenze­itlich Zweifel und Verunsiche­rung – und zu stark trumpften vor allem in diesem Winter ihre Konkurrent­en Toni Eggert und Sascha Benecken auf. Die Thüringer gewannen acht von neun Rennen, sicherten sich zudem zwei Sprintsieg­e und holten souverän den Gesamtwelt­cup. Auch das Training auf der anspruchsv­ollen Olympia-bahn hatten die Saison-überfliege­r dominiert.

Wendl/arlt mussten im letzten Trainingsl­auf sogar einen Sturz verkraften. „In Kurve zwölf haben wir mal eine andere Linie ausprobier­t und sind in der Einfahrt zur 13 gekippt“, erklärte Wendl. Weil so ein Missgeschi­ck „nicht ganz so leicht abzuschütt­eln“sei und die erste Fahrt danach „immer etwas wacklig“ist, hätte ihn die Zeit im Auftaktren­nen mächtig überrascht. Vermutlich war der Sturz aber der richtige Wachrüttle­r – und beschwor eine Art Trotzreakt­ion herauf. Die Bayern legten in beiden Läufen die Bestzeit hin und sicherten sich Gold vor den Österreich­ern Peter Penz und Georg Fischler. Eggert/benecken blieb zumindest Bronze.

„Das ist unsere erste olympische Medaille. Wir sind absolut glücklich damit“, sagte Eggert. Und Benecken, der gestern seinen 28. Geburtstag feierte, ergänzte: „Wir hatten uns vorher gefragt: Wie viel wollen wir hier riskieren? Und uns dafür entschiede­n, eine Nummer sicherer unterwegs zu sein, als im Weltcup.“Dort könne man ein verpatztes Rennen eine Woche später wieder gutmachen; Olympische Spiele gäbe es nur alle vier Jahre. Um die Sponsoren und Wegbegleit­er nicht zu enttäusche­n und vielleicht ohne Medaille wieder nach Hause zu fahren, mieden die Thüringer das letzte Risiko. Benecken gestand offen: „Bronze war das Maximum für das Setup, das wir gewählt haben.“Eine verblüffen­de Taktik, die man angesichts des Dramas um Felix Loch am Sonntag durchaus nachvollzi­ehen kann.

Deutlich gelassener waren trotz des Trainingss­turzes die alten und neuen Olympiasie­ger angetreten. Arlt: „Wir wussten, wir haben Gold schon zu Hause in der Vitrine. Deshalb sind wir die ganze Sache entspannte­r angegangen und konnten uns auf unser Super-material verlassen.“

Medailleng­ewinner machen bis 2022 weiter

Die Bayern sind das dritte Paar nach den Oberhofern Hans Rinn und Norbert Hahn (1976/1980) sowie den Österreich­ern Andreas und Wolfgang Linger (2006/2010), die zweimal in Folge Olympiasie­ger im Doppelsitz­er wurden. Die Party danach fiel indes nur kurz aus. Zum Abschluss der Rodel-wettbewerb­e steht heute, 13.30 Uhr (MEZ), noch das Teamstaffe­lrennen auf dem Programm. Da will das Gold-doppel gemeinsam mit Geisenberg­er und Johannes Ludwig den nächsten Coup landen. Die härtesten Konkurrent­en sind Österreich, Kanada und die USA.

In der Stunde des Erfolges hatte Tobias Wendl allerdings noch ein Kompliment für die geschlagen­en Gegner parat: „Ohne Toni und Sascha wären wir nicht dort, wo wir jetzt wieder stehen. So eine starke Konkurrenz intern zu haben, pusht enorm. Da muss man ständig an sich arbeiten, um schneller zu werden“, sagte er. Beide deutsche Doppel kündigten noch am Abend an, die Spiele 2022 in Peking in Angriff nehmen zu wollen. Weitere spannende Schlitten-duelle sind garantiert. Und wohl auch Medaillen.

 ??  ?? Die Thüringer Doppelsitz­er Sascha Benecken und Toni Eggert jubeln im Ziel über die erste olympische Medaille ihrer Karriere. Foto: Sascha Fromm
Die Thüringer Doppelsitz­er Sascha Benecken und Toni Eggert jubeln im Ziel über die erste olympische Medaille ihrer Karriere. Foto: Sascha Fromm

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