Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

„Aljona ist der Tiger im Käfig“

Erfurter Eiskunstla­uftraineri­n Ilona Schindler über historisch­es Gold schwierige Talentsuch­e und zweifelhaf­te Rekorde

- VON AXEL LUKACSEK

ERFURT. Das Wachbleibe­n hatte sich gelohnt. Als Ilona Schindler während der Olympische­n Winterspie­le in Pyeongchan­g gebannt vor dem Fernseher saß und die historisch­e Goldmedail­le von Aljona Savchenko und Bruno Massot verfolgte, war ihr schnell klar, dass es sich um mehr handelt als nur einen ersten Platz. „Das war ein Traum. Niemand hat diesen Triumph mehr verdient als Aljona. Sie hat unglaublic­h hart dafür gearbeitet“, sagt die Erfurterin über das erste deutsche Paarlauf-gold bei Olympia seit 66 Jahren.

Als wäre es eine Steilvorla­ge gewesen, erlebte Ilona Schindler ein paar Tage später ihre ganz persönlich­e Sternstund­e. Die frühere Trainerin von Stefan Lindemann ist inzwischen Bundesnach­wuchstrain­erin bei der Deutschen Eislauf-union (DEU) und freute sich bei der Junioren-wm in Sofia über vier Top-ten-platzierun­gen und damit das beste Ergebnis des Verbandes seit Jahren. „Wir haben im nächsten Jahr in allen Diszipline­n zwei Startplätz­e. Ich kann mich nicht erinnern, wann es das zum letzten Mal gegeben hat“, sagt Schindler. Für sie ist es ein Glücksfall, mit Aljona Savchenko nun eine Olympiasie­gerin in Deutschlan­d als Vorbild zu haben. Die zierliche, 1,53 Meter kleine und doch so starke Frau ist für die Erfurterin das Paradebeis­piel dafür, was man mit Willensstä­rke alles erreichen kann: „Aljona ist der Tiger im Käfig. Sie hat den Olympiasie­g auch deshalb verdient, weil eine Weltklasse­leistung dahinter stand.“Die gebürtige Ukrainerin holte einst mit Robin Szolkowy fünf Wm-titel und musste fast zwei Jahre warten, bevor ihr neuer Eislauf-partner Massot die Starterlau­bnis bekam. „Diese Zeit hätten nicht viele durchgesta­nden. Aljona schon“, sagte Schindler.

Wie schwer aber die Arbeit an der Basis wohl auch trotz des historisch­en Olympiasie­ges bleiben wird, erlebt Schindler bei ihrer Arbeit in den Eishallen in ganz Deutschlan­d. „Oft geben sich die Athleten damit zufrieden, für Deutschlan­d einen internatio­nalen Startplatz erobert zu haben. Aber mit der Weltspitze hat das nichts zu tun. Da sind wir abgesehen von Aljona und Bruno sehr weit entfernt“, sagt Schindler, die eine Schieflage ausgemacht hat. Denn die Erfahrung habe ihr gezeigt, dass ausgerechn­et Talente besonders gut abschneide­n, die eben nicht an Eliteschul­en des Sports oder einem Bundesstüt­zpunkt trainieren.

Auch in Erfurt sind die Zeiten eines Stefan Lindemann vorbei, der 2000 in Oberstdorf als erster und bislang einziger Deutscher die Junioren-wm gewann. „Wenn ich die Entwicklun­g in Erfurt betrachte, habe ich Bauschmerz­en“, sagt Schindler, die als Weg aus dem Leistungst­ief mehr Trainingsl­ager und gemeinsame Übungseinh­eiten mit ausländisc­hen Sportlern empfiehlt: „Ich habe den Eindruck, man schmort im eigenen Saft.“

Einer der wenigen Talente in Thüringen ist Tim England. Der 14-Jährige überzeugte bei den Deutschen Nachwuchsm­eisterscha­ften in Chemnitz dank einer hervorrage­nden Technik mit der besten Kür und belegte Platz zwei. „Wenn er nun an der Präsentati­on seiner Programme arbeitet, kann er eine sehr gute Entwicklun­g nehmen“, sagt Schindler.

Trotz der hoffnungsv­ollen Ergebnisse der deutschen Talente bei der Junioren-wm, beobachtet­e die Erfurterin in Sofia aber auch eine bedenklich­e Entwicklun­g. Die gerade einmal 13 Jahre alte Russin Alexandra Trusowa zeigte als erste Eiskunstlä­uferin zwei vierfache Sprünge in einer Kür. „Diese Entwicklun­g ist fatal. Es gibt überhaupt keine Studien, welche Folgen das hat, wenn diese Sportlerin älter wird“, sagt Schindler nicht nur mit Blick auf die körperlich­e Gesundheit. Auch die Psyche würde leiden: „Das ist nicht mein Weg. Wir haben Verantwort­ung für Menschen, die wir nach dem Sport gesund ins Leben entlassen wollen.“Auch deshalb hat sich Ilona Schindler über den Erfolg von Aljona Savchenko und Bruno Massot gefreut. Denn die Kür war vor allem in künstleris­cher Hinsicht die perfekte Umsetzung auf dem Eis.

Allerdings: Nur wenige Wochen nach dem Triumph von Pyeongchan­g sind Savchenko und Massot längst aus den ganz großen sportliche­n Schlagzeil­en trotz der WM in Mailand verschwund­en. Bei ein paar Shows verdienen sie nun Geld. Das war es dann auch schon. Dass der Olympiasie­g mit einer Prämie von 20 000 Euro bedacht wird, ist für Ilona Schindler ein Armutszeug­nis. „Das Geld wird in zwei Raten gezahlt und ist der Lohn für vier Jahre Arbeit. Dann ist aber noch nicht die Steuer durch. Da würde sich kein einziger Fußball-profi die Schuhe zubinden“, sagt Schindler.

● Eiskunstla­uf im TV: Kür Paare, heute,  Uhr Eurosport, . Uhr A

Entwicklun­g in Thüringen bereitet Bauchschme­rzen

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Foto: Peter Kneffel, dpa Aljona Savchenko und Bruno Massot haben bei Olympia eine historisch­e Goldmedail­le gewonnen.
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Ilona Schindler aus Erfurt ist desnachwuc­hstraineri­n der D schen Eislaufuni­on (DEU). 2 führte sie Stefan Lindemann der WM in Dortmund zu Bron

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