Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Das Politische im Religiösen
Die Rabbinerin Elisa Klapheck sieht in der jüdischen Tradition den Schlüssel für Antworten auf Gegenwartsfragen
WEIMAR. Die studierte Politologin Elisa Klapheck, eine von derzeit sieben Rabbinerinnen in Deutschland, hat am Sonntag zum Abschluss der „Weimarer Reden 2017“dafür plädiert, den inneren Zusammenhang zwischen Politik und jüdischer Religion für die Gegenwart neu zu erschließen.
Aus Klaphecks Sicht sind die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundlagen der modernen Gesellschaft zu einem erheblichen Teil dem Judentum zu verdanken. „Ich will keine Rabbinerin sein, die nur zu Juden spricht, sondern die gesamtgesellschaftliche Diskussion mitgestalten“, sagte die Frankfurterin, für die die Selbstbefreiung der DDR-Bürger, die anders als die Bundesbürger die Demokratie „nicht geschenkt bekommen“hätten, auch ganz persönlich eine Inspiration war. Denn erst dadurch habe sie sich auch selbst befreit und selbst gefunden, erst dadurch ihre religiöse Seite akzeptiert. 2004 erhielt Klapheck in den USA ihre S‘micha, die Rabbinerweihe.
Um zu verdeutlichen, warum die moderne Gesellschaft vom Judentum mitgestaltet werden sollte, ließ sie ihre gut 400 Zuhörer im Großen Saal des Deutschen Nationaltheaters Weimar einen Blick in die bedeutendsten Schriftwerke des Judentums werfen: So sei das, was bereits im 6. Jahrhundert im Talmud festgestellt wurde, die Basis für jüdisches Leben bis in die heutige Zeit, sagte die 54-Jährige. Wer damals Bürger einer Stadt werden und mit den gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet sein wollte wie alle anderen, musste sich in fest vorgegebenen Fristen immer mehr in das Gemeinwesen einbringen. Selbst wenn er kaum etwas besaß und so arm war, dass sein Überleben von der Zuwendung der Gemeinschaft abhing, so hatte er doch auch selbst einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten. Alle Gruppen des Gemeinwesens seien einbezogen worden.
„Das ist eine religiöse Vorstellung des Gemeinwesens, die zugleich säkular ist“, sagte Klapheck. Beides sei im Judentum nicht getrennt gewesen, das Religiöse habe immer auch das Politische enthalten und umgekehrt.
Dass das Judentum zwei Dimensionen habe, lasse sich auch am „Tikkun Olam“ablesen, was „Reparatur der Welt“bedeute und zum Ausdruck bringe, dass die Menschen auf allen Feldern des Zusammenlebens zur Verbesserung der Welt beitragen müssten. „Tikkun Olam ist nach wie vor aktuell“, sagte Klapheck. Die Religion könne den Politikern die Arbeit nicht abnehmen, aber sie könne ihren Beitrag leisten, die demokratische Ordnung und das Gemeinwesen zu stärken. Aus Klaphecks Sicht ist die Alternative für Deutschland entstanden, „weil die Solidaritätsstrukturen nicht funktionierten“. Für die Rabbinerin – freundlicher Blick durch eckige Brillengläser, schwarze Kipa auf langem, ergrauten Haar – ist jüdische Religion vor allem Handeln, entsteht „Heiligung“durch ein Sozialleben, das die Gesellschaft zusammenhält – in Deutschland wie in Europa.
In den alten Schriften des Judentums liegt für sie der Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart, in der Sichtbarmachung und Weiterentwicklung der jüdisch-religiösen Tradition die Möglichkeit, einen religiösen Maßstab mit einem säkularen Realismus zu verbinden.