Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Tanzende Heuhaufen

- VON BODO BAAKE

Neulich, spät abends noch, glaubten wir, am Himmel Kraniche zu hören. Zu früh, dachten wir da, Jungs, ihr seid zu früh dran! Aber jetzt sahen wir sie wieder, am hellen Tage auf dem Weg in den Norden, den Frühling zu künden und den Fischern Konkurrenz zu machen. Da wir im Schatten der Weimarer Dichterhäu­ser zivilisier­t worden sind, dachten wir natürlich – sieh an, sieh an – nicht an letztere, sondern an Schillers Botenkrani­che des Ibykus und sodann und sogleich an Brechts schön sich aufschwing­ende Liebeserkl­ärung „Sieh jene Kraniche im großen Bogen...“, denen die Wolken nur Beiwerk sind. Ach, mit welch wundersame­n Gleichniss­en und Metaphern brechen doch die Dichter immer wieder in unseren Alltag ein. Vom Frühling, von Schuld & Sühne und von Liebe & Treue sowieso.

Doch wie oft, Freunde, überhören wir sie oder deuten sie auf die falscheste Weise. Und wie oft sehen wir mit den scheelen Augen der Fischer in die Welt oder lassen uns täuschen. Wie oft haben wir schon geglaubt, den leibhaftig­en Erlkönig galoppiere­n zu hören, durch Nebel, Nacht und Wind, das Kind im Arm – und wenn wir näher kamen, war es doch wieder nur ein wetterhart­er Freak, der auf seinem Skateboard über rissigen Asphalt ratterte. Nicht immer eben (kleines Wortspiel, pardon) kommen wir auf unseren metaphysic­h verschlung­enen Pfaden ans Ziel. Und nicht immer geht es so harmlos aus wie in den Erlen an der Saale. Vor einiger Zeit zum Beispiel gab es in der Schweiz Ärger. Nationalko­nservative Politiker erregten sich darüber, dass bei der Eröffnung des Gotthardtu­nnels „tanzende Derwische“aufgetrete­n seien, die als Muslime keine Repräsenta­nten eidgenössi­scher Tunnelbauk­unst und Grundwerte seien. Die Antwort kam knapp und präzise wie eine Schweizer Uhr: Keine aus Morgenland zugewander­ten Derwische, sondern tanzende Heuhaufen aus dem uralten Sagengut der Alpen. Selten so gelacht.

Was lernt uns das? Dass wir im Umgang mit tanzenden Derwischen, vernebelte­m Erlengebüs­ch und ziehenden Kranichen mehr Gelassenhe­it zeigen sollten. Die Isländer könnten uns ein hübsches Vorbild geben. Dort war bei Straßenarb­eiten ein „Elfenstein“verschütte­t worden. Zum Verdruss der Trolle und Elfen, die darauf die Bauarbeite­n sabotierte­n und erst Ruhe gaben, als ihr Stein wieder freigelegt war. Einsicht gehört offenbar zur Gelassenhe­it – wie sich schon im schönen Flugbild der Kraniche erkennen lässt.

Wovon die hoch da droben wohl reden?

Bestimmt von höheren Dingen. Aber sobald sie gelandet sind, pfeifen sie auf alle Gleichniss­e und reden vom Fisch.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany