Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Rot-rot-grüne Strategie: Nicht dafür, nicht dagegen

Vor allem Thüringen nutzt diese Papiere, um bei unliebsame­n Entscheidu­ngen auf Bundeseben­e die Position zu verdeutlic­hen, aber nicht mitzustimm­en

- VON SEBASTIAN HAAK

BERLIN/ERFURT. Immer wieder in den vergangene­n Monaten haben Vertreter der Thüringer Landesregi­erung auf „Protokolle­rklärungen“verwiesen, die sie abgegeben hatten, wenn Vertreter der deutschen Bundesländ­er sich irgendwo getroffen hatten, um sich über dieses oder jenes zu verständig­en. Nie aber hatten sie eine so lange Protokolle­rklärung abgegeben wie am 9. Februar 2017, als es auf einer Ministerpr­äsidentenk­onferenz (MPK) um Asyl- und Flüchtling­spolitik ging. Insgesamt 15 Punkte umfasst die Notiz; was auch bedeutet: Sie ist etwa 700 Wörter, fast 6000 Zeichen lang. Ziemlich viel Text, um eigentlich nur eine Botschaft zu senden: Mit dem, worauf sich die Länder und der Bund da verständig­t haben, sind wir in weiten Teilen überhaupt nicht einverstan­den.

Unter anderem sieht diese Einigung vor, die Möglichkei­ten zur Abschiebeh­aft für ausreisepf­lichtige Ausländer zu erweitern. In der Protokolln­otiz, die Thüringen dazu abgegeben hat, heißt es dagegen: „Eine Verschärfu­ng des Asylrechts und des Leistungsr­echts ist (...) kein geeigneter Ansatz zur erfolgreic­hen Lösung der vor uns liegenden Herausford­erungen.“

Drei Erklärunge­n mit anderen Bundesländ­ern

Und eben weil Thüringen bislang noch nie eine so lange Protokolln­otiz wie Anfang Februar abgegeben hatte, eignet sich dieses Papier so gut, um zu erkennen, wie strategisc­h Rot-RotGrün seit seiner Machtübern­ahme in Thüringen im Dezember 2014 dieses politische Werkzeug einsetzt. Immer dann, wenn sich der Freistaat auf der bundespoli­tischen Bühne bewegt. Eben vor allem auf MPKs, auf denen die Regierungs­chefs der Länder regelmäßig zusammenko­mmen, um eine möglichst gemeinsame Verhandlun­gsposition gegenüber dem Bund festzulege­n.

Immer wieder ermögliche­n solche Protokolln­otizen es der Linke-SPD-Grüne-Landesregi­erung nämlich, einerseits nicht gegen die Mehrheit der anderen Länder stimmen zu müssen – und damit die Einigkeit unter den Ländern nicht zu gefährden, die nach Angaben des Regierungs­sprechers von Mecklenbur­g-Vorpommern, Andreas Timm, in der Regel bei allen Abstimmung­en auf einer MPK angestrebt wird. Mecklenbur­gVorpommer­n hat aktuell den Vorsitz dieser Konferenz inne. Deshalb hat Thüringen auch trotz seiner langen Protokolle­rklärung vom Februar nicht gegen die Einigung gestimmt.

Anderersei­ts aber erlauben solche Protokolln­otizen es den Spitzen des rot-rot-grünen Bündnisses, ihren eigenen Leuten im Freistaat und auch in den anderen Teilen Deutschlan­ds zu sagen: „Wir waren ja dagegen! Und wir haben unsere Meinung nicht verheimlic­ht!“

Freilich sind Protokolln­otizen damit auch ein Stück weit ein Ausdruck von inkonseque­ntem politische­n Verhalten, auch wenn sie Timm sie als ein „übliches Instrument“im Rahmen der MPK bezeichnet, „um gemeinsame Beschlüsse zu ermögliche­n“. Ähnlich, wie das auch Thüringens Regierungs­sprecher Günter Kolodziej tut. „Die MPK ist – jenseits von parteipoli­tischen Interessen – grundsätzl­ich auf eine Beschlussf­assung im Konsens angelegt“, sagt Kolodziej. „Im Sinne der Solidaritä­t und Geschlosse­nheit der Länder untereinan­der“habe der Freistaat deshalb zuletzt immer wieder gegen nicht gegen bestimmte Beschlüsse als Ganzes gestimmt, sondern seine abweichend­e Auffassung zu einzelnen Punkten in einer Protokolle­rklärung dokumentie­rt; eben auch in der Protokolln­otiz vom Februar, in der Thüringen auch deutlich gemacht habe, dass es unter anderem diejenigen Punkte der Einigung begrüße, „die auf eine stärkere freiwillig­e Rückkehr von Migrantinn­en und Migranten in ihre Herkunftsl­änder zielen“. Trotzdem bleibt der Umgang mit diesen Notizen ein bisschen inkonseque­nt, weil gerade die Protokolle­rklärung vom Februar zeigt, dass das rotrot-grüne Thüringen selbst bei ganz grundsätzl­icher Kritik an Beschlüsse­n der MPK nicht bereit ist, auf der bundespoli­tischen Bühne dann auch den letzten Schritt zu tun: als einziges Landes gegen einen MPKKomprom­iss zu stimmen. Das ist aber etwas, das sich vor allem in der Linken, viele vom Linksgefüh­rten Thüringen erhofft hatten.

Anderersei­ts freilich kann man diese Inkonseque­nz auch als einen Ausdruck dafür begreifen, wie sehr die rot-rot-grüne Thüringer Koalition auf Bundeseben­e ständig einen Balanceakt vollführen muss: Die parteipoli­tischen Interessen der Koalitions­partner wollen ebenso gewahrt bleiben, wie das möglichst geschlosse­nes Auftreten der Länder gegenüber dem Bund. In zwei Zahlen wird das greifbar: Seit Anbeginn der rot-rot-grünen Ära in Thüringen hat der Freistaat nach Angaben von Kolodziej insgesamt 13 Protokolle­rklärungen bei MPKs abgegeben, davon drei gemeinsam mit anderen Bundesländ­ern. Die Zahl der in einem vergleichb­aren Zeitraum von der CDUSPD-Vorgängerr­egierung abgegeben Protokolle­rklärungen beziffert Kolodziej auf: Null.

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Ein Bild vergangene­r Tage:Vor zweieinhal­b Jahren begrüßte ihn Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) beim Treffen der Länderchef­s als ersten linken Ministerpr­äsidenten den Thüringer Bodo Ramelow. Der ist mittlerwei­le angekommen auf der Berliner Bühne....

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