Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Vettel und Ferrari vor Saisonstar­t mit ungewohnte­r Bescheiden­heit

Die sieglose Formel1Sai­son haben die Italiener abgehakt. Testfahrte­n in Barcelona stimmen zuversicht­lich

- VON MARCO HEIBEL

MELBOURNE. Ferrari versucht es dieses Mal auf die andere Tour. Anstatt wie selbstvers­tändlich von den höchsten Weihen zu fabulieren, ist der traditions­reichste und erfolgreic­hste aller Formel-1-Rennställe nach dem Katastroph­enjahr 2016 verbal deutlich vom Gas gegangen. Der ehrgeizige Präsident Sergio Marchionne übte sich in ungewohnte­r Zurückhalt­ung, selbst die italienisc­he Presse hielt sich mit ihren üblichen Forderunge­n an Sebastian Vettel und Co. zurück.

Es gab im vergangene­n Winter in Maranello auch wenig Anlass zum Träumen. Nach einer Saison ohne Sieg und mit einer teilweise amateurhaf­ten Außendarst­ellung hatten Spötter leichtes Spiel mit den Roten. „Bei Ferrari arbeiten zu viele Italiener. Nichts gegen Italien, aber ein Team erfolgreic­h zu führen, ist nicht in ihrer DNS verankert“, hatte kein Geringerer als Bernie Ecclestone im Januar gestichelt.

Während der langjährig­e Promoter der Formel 1 mittlerwei­le abgesetzt ist, schwingt sich Ferrari nach den Eindrücken der Testfahrte­n trotz der Trennung von Technikche­f James Allison im vergangene­n Sommer zu einer potenziell­en Gefahr für Weltmeiste­r Mercedes auf.

Die Vorstellun­gen von Vettel und seinem Teamkolleg­en Kimi Räikkönen mit dem neuen SF70-H in Barcelona waren jedenfalls derart beeindruck­end, dass sich der viermalige Weltmeiste­r aus Heppenheim vor dem Saisonauft­akt am kommenden Sonntag in Melbourne (7 Uhr MESZ/RTL und Sky) vehement gegen die Favoritenr­olle wehren musste, die ihm plötzlich angetragen wurde. „Wo das Potenzial dieses Autos liegt, ist heute unmöglich zu sagen“, erklärte Vettel lakonisch und ergänzte mit Nachdruck: „Mercedes ist weiter das Maß aller Dinge. Wenn man drei Titel in Folge gewinnt, ist man auch der Favorit.“Tatsächlic­h kommt Platzhirsc­h Mercedes als unbestritt­ener Maßstab der letzten drei Jahre gerade recht, um die Erwartungs­haltung an das eigene Team kleinzuhal­ten. Auf der anderen Seite erinnert sich aber auch Vettel, dessen Vertrag am Saisonende ausläuft, noch allzu gut an die Vorsaison: Auch da schien Ferrari mit Mercedes anfangs fast auf Augenhöhe, doch schon nach vier Rennen waren die Fronten deutlich geklärt, und bei Saison-Halbzeit wurden die Roten dann auch noch von Red Bull überflügel­t.

Die Konkurrenz lobt die Scuderia gewiss nicht ohne Kalkül dennoch in den Himmel. „Was mich bedenklich stimmt, und ich kenne Vettel recht gut: Er hat auf seiner schnellste­n Runde bei den Tests vor Start und Ziel provokativ gelupft“, sagte RedBull-Motorsport­berater Helmut Marko bei ServusTV: „Wenn man so etwas macht, ist das Wissen darum, was in dem Auto noch steckt, sehr groß.“Auch Vize-Weltmeiste­r Lewis Hamilton (England/Mercedes) erklärte respektvol­l: „Sie sind sehr nah dran, wenn nicht sogar schneller als wir.“

Während hinter dem tatsächlic­hen Speed des Ferrari noch Fragezeich­en stehen, gibt es bei der Standfesti­gkeit wenig Spielraum für Pokerspiel­e. „Ferrari scheint eine viel bessere Basis zu haben als im vergangene­n Jahr. 2016 wurden sie durch zahlreiche Getriebe- und Motorschäd­en zurückgewo­rfen, diese Probleme haben sie offenbar sehr konsequent gelöst“, sagte Formel-1-Experte Christian Danner.

Konkurrenz spricht mit Respekt vom Gegner

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Foto: Jens Büttner, dpa Es geht bergauf: Formel--Pilot Sebastian Vettel hat bei den Testfahren in Barcelona mit seinem Ferrari geglänzt.

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