Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Weinbrandb­ohnen mit Kruste

- FRANK QUILITZSCH ÜBER DIE ANFÄNGE DES DDRUNTERHA­LTUNGSFERN­SEHENS

Nicht, dass ich ein Fan von ihr gewesen wäre. Ich stand mehr auf Chuck Berry, damals schon. Wenn ich an Ingeborg Krabbe denke, sehe ich mich in der schummrige­n Stube meiner Großeltern vor dem holzbeinig­en Röhrenfern­seher sitzen und auf die Schachtel mit den Weinbrandb­ohnen schielen. Echte, mit Kruste. Die hatte Großmutter aus dem Konsum geholt, um uns den Abend zu versüßen. Den Fernsehabe­nd.

Der begann halb acht mit der Aktuellen Kamera. Überhaupt wurde die Schwarzwei­ßKiste mit der ovalen Bildröhre immer erst nach dem Abendbrot eingeschal­tet, und es dauerte, bis die Mattscheib­e sich mit Leben erfüllte. Großmutter warnte, wir sollten Abstand halten – wegen der Radioaktiv­ität.

Heute wundere ich mich eher, dass ich keinen Gehörschad­en davongetra­gen habe. Der Ton war abscheulic­h und Großvater schon etwas schwerhöri­g. Wenn der Kindskopf Eberhard Cohrs die TVBühne betrat, konnte man ihn bis in den Hof hören. Den Cohrs liebten sie besonders, denn der war „einer von uns“.

Der Fernsehabe­nd begann nicht einfach so, sondern wurde elegant eingeleite­t. Eine Ansagerin mit Dutt führte durch das Programm. Es gab nur das eine, jedenfalls bei uns, Westen war lange Zeit tabu. Und es wurde alles geguckt, wie es gerade kam.

Heute also ein heiteres Fernsehspi­el mit Ingeborg Krabbe und Herbert Köfer. Krabbe und Köfer, die gehören in meiner Erinnerung zusammen, ein altes Ehepaar – damals schon, vor fünfzig Jahren. Voriges Jahr sollen die beiden ja noch mal ein Paar gegeben haben, in der TVSerie „In aller Freundscha­ft“, zum Glück ging mir das durch die Lappen.

In den 60ern, meinen prägenden Fernsehjah­ren, habe ich kaum eine Sendung verpasst. Nicht wegen der Krabbe, sondern wegen der schnapshal­tigen Bohnen. Die gab‘s auch bei Herricht und Preil („Mückentöto­lin“), beim „Unsichtbar­en Visier“oder der bunten Unterhaltu­ngsshow „Da liegt Musike drin“. Später, zu „Der Mann, der nach der Oma kam“(mit Winfried Glatzeder), wurde bereits ungarische­r Wein gereicht, Marke Tokajer, lieblich.

Nach zwei, drei Gläsern fand ich selbst den „Kessel Buntes“, wenngleich hier immer noch schwarzwei­ß, ganz unterhalts­am, vor allem wenn der zottelhaar­ige Dieter Birr (unser Chuck Berry) mit den Puhdys auftrat. OTon Großvater: „Die haben sie wohl mit der Banane aus dem Urwald gelockt!“Zu den Spätnachri­chten schnarchte er friedlich im Sessel.

Kaum waren die Großeltern im Bett, schaltete mein Bruder um – zum echten Chuck Berry. Wieder wurde alles geguckt, wie es gerade kam, bis zum Sendeschlu­ss.

Einmal, als Punkt Mitternach­t die Nationalhy­mne ertönte, fielen die Alten fast aus den Betten.

Es war die falsche.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany