Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Weinbrandbohnen mit Kruste
Nicht, dass ich ein Fan von ihr gewesen wäre. Ich stand mehr auf Chuck Berry, damals schon. Wenn ich an Ingeborg Krabbe denke, sehe ich mich in der schummrigen Stube meiner Großeltern vor dem holzbeinigen Röhrenfernseher sitzen und auf die Schachtel mit den Weinbrandbohnen schielen. Echte, mit Kruste. Die hatte Großmutter aus dem Konsum geholt, um uns den Abend zu versüßen. Den Fernsehabend.
Der begann halb acht mit der Aktuellen Kamera. Überhaupt wurde die SchwarzweißKiste mit der ovalen Bildröhre immer erst nach dem Abendbrot eingeschaltet, und es dauerte, bis die Mattscheibe sich mit Leben erfüllte. Großmutter warnte, wir sollten Abstand halten – wegen der Radioaktivität.
Heute wundere ich mich eher, dass ich keinen Gehörschaden davongetragen habe. Der Ton war abscheulich und Großvater schon etwas schwerhörig. Wenn der Kindskopf Eberhard Cohrs die TVBühne betrat, konnte man ihn bis in den Hof hören. Den Cohrs liebten sie besonders, denn der war „einer von uns“.
Der Fernsehabend begann nicht einfach so, sondern wurde elegant eingeleitet. Eine Ansagerin mit Dutt führte durch das Programm. Es gab nur das eine, jedenfalls bei uns, Westen war lange Zeit tabu. Und es wurde alles geguckt, wie es gerade kam.
Heute also ein heiteres Fernsehspiel mit Ingeborg Krabbe und Herbert Köfer. Krabbe und Köfer, die gehören in meiner Erinnerung zusammen, ein altes Ehepaar – damals schon, vor fünfzig Jahren. Voriges Jahr sollen die beiden ja noch mal ein Paar gegeben haben, in der TVSerie „In aller Freundschaft“, zum Glück ging mir das durch die Lappen.
In den 60ern, meinen prägenden Fernsehjahren, habe ich kaum eine Sendung verpasst. Nicht wegen der Krabbe, sondern wegen der schnapshaltigen Bohnen. Die gab‘s auch bei Herricht und Preil („Mückentötolin“), beim „Unsichtbaren Visier“oder der bunten Unterhaltungsshow „Da liegt Musike drin“. Später, zu „Der Mann, der nach der Oma kam“(mit Winfried Glatzeder), wurde bereits ungarischer Wein gereicht, Marke Tokajer, lieblich.
Nach zwei, drei Gläsern fand ich selbst den „Kessel Buntes“, wenngleich hier immer noch schwarzweiß, ganz unterhaltsam, vor allem wenn der zottelhaarige Dieter Birr (unser Chuck Berry) mit den Puhdys auftrat. OTon Großvater: „Die haben sie wohl mit der Banane aus dem Urwald gelockt!“Zu den Spätnachrichten schnarchte er friedlich im Sessel.
Kaum waren die Großeltern im Bett, schaltete mein Bruder um – zum echten Chuck Berry. Wieder wurde alles geguckt, wie es gerade kam, bis zum Sendeschluss.
Einmal, als Punkt Mitternacht die Nationalhymne ertönte, fielen die Alten fast aus den Betten.
Es war die falsche.