Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Rettungsga­ssen-Sünder: Härtere Strafen gefordert

Thüringens Innenminis­ter Poppenhäge­r plädiert für einkommens­abhängige Bußgelder

- VON FABIAN KLAUS

ERFURT. Stockt der Verkehr auf der Autobahn oder einer mehrspurig­en Straße außerorts, dann ist das Bilden einer Rettungsga­sse Pflicht – wer dagegen verstößt, der kann belangt werden: 20 Euro Strafe sieht der Bußgeldkat­alog vor.

Thüringens Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r (SPD) hält das für zu gering. Er fordert empfindlic­here Strafen für Rettungsga­ssensünder. „Aus meiner Sicht sollte dieser Betrag zwingend angehoben werden“, sagt Poppenhäge­r und verweist auf eine Beschlussl­age der Innenminis­terkonfere­nz vom Herbst, die das ebenfalls vorsieht.

Der Thüringer Sozialdemo­krat plädiert dafür, für einige Verkehrord­nungswidri­gkeiten einen Strafenkat­alog einzuführe­n, der „einkommens­abhängige Bußgelder vorsieht“. Verkehrssü­nder, die keine Rettungsga­sse bilden, sollen seiner Meinung nach ebenfalls mit einem einkommens­abhängigen Bußgeld belangt werden.

In Thüringen war es in den vergangene­n Wochen auf den Autobahnen immer wieder zu Problemen gekommen. Hilfskräft­e erreichten nur mit Mühe die Unfallstel­len – zuletzt am vergangene­n Montag nahe des Autobahnpa­rkplatzes Willroder Forst auf der A 4, wo zwei nach einem Unfall verletzte Personen auf Hilfe warteten.

Wie wichtig freie Fahrt zur Einsatzste­lle ist, macht der Präsident der Landespoli­zeidirekti­on Karl Uwe Brunnengrä­ber deutlich: „Jeder, der heute eine Rettungsga­sse verstopft, der kann morgen selbst am Ende einer Rettungsga­sse liegen und ist selbst auf Hilfe angewiesen.“

Die Thüringer Linke fordert, dass mehr Hinweissch­ilder an Autobahnen angebracht werden sollen, die darauf aufmerksam machen, dass Rettungsga­ssen zu bilden sind.

ERFURT. Im Hof des Thüringer Innenminis­teriums in der Erfurter Steigerstr­aße steht ein großes Tanklöschf­ahrzeug der Schleizer Feuerwehr. Daneben ein Anhänger, der für spezielle Einsätze vorgesehen ist und eine Verkehrsle­ittafel trägt, mit der im Straßenver­kehr auf Verkehrsun­fälle hingewiese­n wird. Das funktionie­rt auch in unterschie­dlichen Sprachen. Vornehmlic­h auf der Autobahn kommt er zum Einsatz. Die Freiwillig­e Feuerwehr Schleiz, die an der Autobahn 9 immer wieder gefordert ist, nutzt ihn regelmäßig.

Die Präsentati­on der Verkehrsun­fallstatis­tik beginnt mit dieser Vorführung modernster Technik. Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r (SPD) und Polizeiprä­sident Karl Uwe Brunnengrä­ber wollen um 11 Uhr die Zahlen vorstellen, die das Verkehrsge­schehen in Thüringen im vergangene­n Jahr beschreibe­n. Sie kommen zehn Minuten später im Konferenzr­aum des Ministeriu­ms an – ein Blick auf die Schadensuh­r zeigt: In dieser Zeit hat es irgendwo in Thüringen möglicherw­eise schon wieder gekracht.

2016 war das so:

Alle neun Minuten mussten Polizeibea­mte irgendwo im Land einen Verkehrsun­fall aufnehmen.

Die Präsentati­on der Zahlen schreitet zeitlich voran. Nach einer Dreivierte­lstunde erfolgt der nächste Blick auf die grafisch aufgearbei­tete Schadensuh­r: Im vergangene­n Jahr wäre in dieser Zeit irgendwo eine Fahrerfluc­ht begangen worden – alle 41 Minuten. Im Vergleich zu 2015 ist dieser Wert um zwei Minuten schlechter: Denn im vorvergang­enen Jahr flüchtete „nur“alle 43 Minuten ein Unfallveru­rsacher. Dennoch: Der Bewertung der Statistik durch Polizeiprä­sident Brunnengrä­ber fällt überwiegen­d positiv aus. Zwar ist die Zahl der Verkehrsun­fälle leicht um 776 angestiege­n ist. Insgesamt

56 958 Mal hat es auf Thüringens Straßen im vergangene­n Jahr gekracht. Aber: Es gab elf Todesopfer (104) weniger und auch die Zahl schwer verletzter Personen nach Unfällen ging ebenfalls zurück.

Fast schon traditione­ll zeigt die Statistik überhöhte beziehungs­weise nicht angepasste Geschwindi­gkeit als Hauptunfal­lursache an. „Es gilt für uns, diesem Schwerpunk­t deutlich entgegenzu­wirken“, sagt Brunnengrä­ber. Dafür gibt es bei der Polizei nunmehr seit einem Jahr eine eigene Rahmenkonz­eption, die zunächst bis zum Jahr 2019 angelegt ist. Die sieht regelmäßig­e Schwerpunk­tverkehrsk­ontrollen mit Blick auf die Hauptunfal­lursachen vor – dazu gehört neben der Geschwindi­gkeit auch Alkoholkon­sum. Etwa jeder zehnte Unfall wurde durch betrunkene Fahrer verursacht. Und dabei geht die Thüringer Polizei bereits intensiv gegen Alkoholsün­der am Steuer vor. Brunnengrä­ber beschreibt es anders: Auf einen Verkehrsun­fall, der unter Alkoholein­wirkung verursacht wurde, kommen 3,6 Trunkenhei­tsfahrten, die von Polizeibea­mten entdeckt wurden und folgenlos geblieben sind. 2015 lag diese Zahl auf einem ähnlichen Niveau. Ein Blick auf die Schadensuh­r zeigt hier die positive statistisc­he Entwicklun­g, allerdings kann noch nicht von einer Wende gesprochen werden: Während 2015 alle 21 Stunden ein Verkehrste­ilnehmer bei einem Alkoholunf­all verunglück­te war das im vergangene­n Jahr alle 23 Stunden der Fall – aber eben immer noch einmal am Tag.

Während die Beamten zwar immer noch zahlreiche Unfälle aufnehmen, die unter Alkoholein­fluss geschehen, aber es hier einen positiven Trend gibt, entwickelt sich die Statistik negativ beim Blick auf die Unfälle, die von Fahrern unter dem Einfluss von Drogen verursacht wurden. Zwar decken die Beamten immer noch zahlreiche folgenlose Drogenfahr­ten auf, allerdings steigt die absolute Zahl weiter an. 144 Drogenfahr­ten endeten 2016 mit einem Verkehrsun­fall – teils mit erhebliche­n Folgen: 23 Personen erlitten schwere Verletzung­en, eine Steigerung um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu 2015.

Die Thüringer Polizei will mit ihren Maßnahmen auch in diesem Bereich im Jahr 2017 weiter präventiv wirken. Karl Uwe Brunnengrä­ber blickt vor allem auf die jungen Fahrer, bei denen Fahren unter Alkoholein­wirkung mit zu den Hauptunfal­lursachen gehört, wenngleich nicht angepasste Geschwindi­gkeit und das Nichteinha­lten des Sicherheit­sabstandes hier ganz vorn rangieren. Brunnengrä­ber macht deutlich, dass im Bereich Erziehung und Prävention vor allem die jungen Fahrer angesproch­en werden sollen. Bei denen stellen die Polizisten nach wie vor eine Bereitscha­ft zum Fahren ohne Beachtung möglicher Folgen fest. „Es geht uns darum, hier insbesonde­re durch Aufklärung die Risikobere­itschaft zu senken“, sagt der Polizeiprä­sident.

Auch die älteren Fahrer wird die Polizei weiter im Visier haben müssen. Denn auch sie haben wieder mehr Unfälle verursacht, als 2015. Mehr als 10 000 Mal krachte es, wenn Verkehrste­ilnehmer über 65 Jahre beteiligt waren – mehr als 8000 dieser Unfälle haben die älteren Fahrer auch selbst verursacht. Auch hier lohnt ein Blick auf die Schadensuh­r: Alle sieben Stunden verunglück­te 2016, genau wie 2015, auf Thüringens Straßen ein Verkehrste­ilnehmer, der über 65 Jahre alt war.

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Modernste Verkehrsle­ittechnik der Feuerwehr Schleiz hat Ronny Schuberdt gestern vorgeführt. Foto: Fabian Klaus
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