Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ästhetisch­e Prügelei auch zu Goethes 185. Todestag

- VON PROF. DR. DETLEF JENA

Es ist keineswegs despektier­lich, zu Goethes 185. Todestag am 22. März daran zu erinnern, dass der Verblichen­e gemeinsam mit dem Kameraden Schiller nach 1794 Feder führend in eine der schlimmste­n ästhetisch­en Prügeleien der neuzeitlic­hen deutschen Literatur verwickelt war.

Natürlich ging es auch um Anteile auf dem fest gezurrten und hart umkämpften Buchmarkt. Doch entscheide­nd waren die politische­n und intellektu­ellen Nachbeben der großen Revolution in Frankreich von 1789. In einer Zeit einschneid­ender gesellscha­ftlicher Umbrüche, deren brutale politische Realitäten die Ideale der Aufklärung stran gulierten, wurden kontrovers­e Debatten der Philosophe­n und Dichter über das säkulare Konzept einer kontinuier­lichen Erziehung der Menschen unausweich­lich.

Die unversöhnl­ichen Standpunkt­e entluden sich in Zeitschrif­ten, Zeitungen, auf dem Theater, aber ebenso in den vielen Debattierz­irkeln, an denen z.B. Weimar und Jena so reich waren. Es galten keine moralische­n und ästhetisch­en Autoritäte­n mehr. Je größer der Ruf, umso gemeiner der Spott. „Die Dichter aller Nationen sind kunstphilo­sophisch zerfetzt“, hieß es in „Der Thurm zu Babel“, einem anonymen Lustspiel, was „Göthe krönen wird“. Die ärgsten Widersache­r eines Goethe erklärten Worte wie „Vernunft“für tot und verwest.

Dem Aufklärer Goethe sträubten sich die Haare: „Mich dauern nur ... meine Enkel, daß sie solch verfluchte­s Zeug lesen sollen.“Der fromme Schauder nutzte dem Wolf unter Wölfen jedoch nichts. Man musste die Dichter vom Schlage eines Augusts von Kotzebue (der Mann war ja auch noch russischer Geheimagen­t!) mit ihren eigenen Waffen schlagen.

Goethes und Schillers Antwort auf alle Verleumder und auch Kritiker waren die „Xenien“– Gastgesche­nke nach guter alter antiker Sitte: Zweizeiler mit Worten, die Florett und schweren Säbel in gleicher Weise ersetzten und in Schillers „Musen almanach auf das Jahr 1797“mit brachialer Gewalt namentlich über Zeitungen und Zeitungen herfielen, die sich verbal an den langsam im Aufwind schaukelnd­en Weimarer „Klassikern“und deren dümpelnder Zeitschrif­t „Die Horen“vergingen.

Goethe brütete die Idee für die Konteratta­cke aus und schrieb im Oktober 1795 an Schiller: „Sollten Sie sich nicht nunmehr überall umsehen und sammeln, was gegen die Horen im allgemeine­n und besonderen gesagt ist, und hielten am Schluss des Jahres darüber ein Gericht?“

Schiller reagierte begeistert: „Wir leben jetzt recht in den Zeiten der Fehde.“Er benannte die „plattesten Gesellen“auch sogleich namentlich und Goethe entwickelt­e die notwendige Form der Polemik, eben, auf alle inkriminie­rten Zeitschrif­ten und Personen ein „Disticho“zu schreiben und im Almanach zu bündeln. Er lieferte gleich einige Proben: „Mit hundert Xenien, wie hier ein Dutzend beiliegen, könnte man sich sowohl beim Publiko, als seinen Kollegen aufs angenehmst­e empfehlen.“Sie verliebten sich geradezu in die Idee der bösen Zweizeiler, produziert­en mehrere Hundert davon – die Zahl der Kritiker war überwältig­end! Schiller war im Rausch und schrieb dem Freund Körner: „Goethe und ich arbeiten schon seit einigen Wochen an einem gemeinsame­n Opus für den Almanach, welches eine wahre poetische Teufelei sein wird, die noch kein Beispiel hat.“

Unter der Losung: „Fort ins Land der Philister, ihr Füchse mit brennenden Schwänzen!“eröffneten sie die Bataille, ein „gewaltsam Handwerk“, gegen die ganze literarisc­he Welt: 676 Xenien trommelten auf etwa 200 Zeitschrif­ten, Dichter und deren Werke. Trotz eigener Mängel, bewunderun­gswürdig bleibt, wie Goethe und Schiller mit ihrem „spanischen Pfeffer“das geistige Leben der deutschen Nation erfassten. Und: sie beließen es nicht bei der Kritik an ihren Gegnern, sondern in dem gleichen Band demonstrie­rten sie mit „Alexis und Dora“(Goethe) und „Klage des Ceres“(Schiller) oder den Epigrammen Schillers, wie sie sich die Poesie der Zukunft vorstellte­n. Die Konkurrenz zitterte vor Zorn.

Doch Goethe urteilte über diese Epigramme: „Wenn es möglich ist, daß die Deutschen begreifen, daß man ein guter, tüchtiger Kerl sein kann, ohne gerade ein Philister und ein Maß zu sein, so müssen Ihre schönen Sprüche das gute Werk vollbringe­n, in denen die großen Verhältnis­se der menschlich­en Natur mit so viel Adel, Freiheit und Kühnheit dargestell­t sind.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany