Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Von der Suche auf der Bühne nach Menschlichkeit
In Theater „Die Schotte“wird die Premiere für „Phantom – ein Spiel“am 24. März vorbereitet
ERFURT. . „Ich kann lesen, schreiben, putzen, kochen“, sagt Sandy Hänsel auf der Bühne der Schotte. Es ist Dienstag Nachmittag, die Probe für „Phantom – ein Spiel“von Sarah Nemetz und Lutz Hübner läuft. Schon im Herbst vergangenen Jahres haben sie erstmals über dieses Stück gesprochen. Und nun, in wenigen Tagen, gibt es endlich die Premiere.
Sandy Hänsel spielt in dieser Szene die Blanca. Blanca ist eine junge Frau, die aus Osteuropa kommt. Vielleicht ist sie eine Roma. Das bleibt offen. Blanca will in Deutschland arbeiten und bittet mit viel Tatendrang um eine Stelle. Hier und da und dort. Zum Putzen oder zum Spargelstechen. Was sie auf der Suche nach Arbeit und Leben an (Un)menschlichkeit erlebt, sollen nun die fünf Schotte-Jugendlichen überzeugend spielen.
Sandy Hänsel ist richtig gut. Immer wieder kommt ihr „ich kann lesen, schreiben, putzen, kochen“. Und immer wieder kommt auch ein neuer Einwand von Regisseur Christian W. Olafson. Er will, dass am 24. März, zur Premiere dieser Inszenierung, jedes kleine Detail sitzt. Die Laune auf der Bühne ist gut. Olafson weiß, wie sich Proben anfühlen. Er inszeniert nicht das erste Mal in Erfurt und war selbst ein Schotte-Kind. Die fünf Jugendlichen stehen ja auch nicht das erste Mal auf der Bühne. Diesmal geben sie fünf Schauspieler, die ein Stück einstudieren, wie es einer wie Blanca in Deutschland ergehen könnte, schon ergangen ist und sehr wahrscheinlich auch in der Zukunft widerfahren kann. Sie schlüpfen in Dutzende Rollen, um die Facetten von Ignoranz bis zu regelrechter Ausländerfeindlichkeit zu zeigen.
Eine der fünf Darstellerinnen ist 19jährige Zoe Mannigel. Sie wird das erste Mal bei einer Schotte-Inszenierung dabei sein. Ganz unbekannt ist ihr die Schotte-Bühne aber nicht. Denn zu den Schultheatertagen hat sie mit der Theatergruppe des Gutenberg-Gymnasiums hier schon gespielt. Jetzt aber, jetzt muss sie zeigen, dass sie auch außerhalb des Schultheaters bestehen kann. Sie spielt viele Rollen – wie die anderen vier Jugendlichen auch. An diesem Nachmittag übt sie erst einmal spucken. Spucken und Gucken. Denn sie muss zeigen, wie verachtungsvoll sie aus der Flasche trinken und auf den Fußboden spucken kann. Ausspucken vor Blanca, der Osteuropäerin.
Sie ist zunächst ein wenig zaghaft. Das Spucken gelingt ihr anfangs nur mäßig und sorgt für Der Kleiderständer gehört mit zum Bühnenbild. Das Umziehen findet auf der Bühne vor dem Publikum statt. Fotos: Esther Goldberg Heiterkeit, als sie auf die eigenen Schuhe trifft. Christian W. Olafson verlangt von ihr und Julius Reich vier verschiedene Arten des Spuckens. Durch eine kleine Zahnlücke und direkt vor die eigenen Füße. Im weiten Bogen in Richtung Zuschauerbänke und zu den Mitspielern. Immer muss dieses Spucken abwertend, ja erniedrigend sein. Ignorant und arrogant. Und jedes Mal soll Blanca diese Erniedrigung spüren. Sie reagiert devot und immer noch voller Hoffnung, dass sie vielleicht Arbeit bekommt. Sie wischt eifrig und dienstbeflissen. Und die anderen beiden spucken. Nach etwa 15 Minuten nehmen sie einen neuen Lappen. Und irgendwann sind die vier Arten des Spuckens gefunden und Zoe Mannigel richtig geübt.
Diese Inszenierung wird sehr wahrscheinlich unter die Haut gehen. Da sehr offen gespielt wird. Nicht nur, weil die rechte Bühnenseite geöffnet ist und ganz normale Rohre zu sehen sind. Auch der Kleiderständer steht gut sichtbar für das Publikum auf der Bühne. Von dort holen sich die Darstellerinnen und Darsteller ihre Kostüme. Mal ist es die rot-weiße Schürze und mal eine Jacke. Mal ein Hut und mal ein Requisit aus einem der beiden Koffer.
Die Probe erlebt im Zuschauerraum auch Ausstatterin Coco Ruch mit. Zu ihr kommt Paul Paterok, er gibt unter anderem den Antreiber auf einem Spargelfeld, während einer kleinen Probenpause und fragt, ob sie vielleicht die aufgekrempelten Ärmel seines Hemdes festnähen kann. Immer, wenn er sich umzieht, verrutschen sie. Das mache ihn nervös und störe beim Spiel. Natürlich wird Coco Ruch die Ärmel festnähen. Dem Publikum fällt das ja nicht auf und ihm ist geholfen. Genau deshalb sitzt sie in diesen Proben. Welche Dinge sollten bei Ausstattung und Kostümen jetzt, nur noch Tage vor der Premiere, möglichst schnell noch geändert werden? In der Schotte mögen sie den schnellen Kontakt und sehr kurze Wege.
Von Ignoranz bis zu Ausländerfeindlichkeit Die Erwartungen des Publikums erfüllen
Juliane Kolata, sie ist Theaterpädagogin in der Schotte, springt jetzt auf die Bühne. Sie gibt Tipps für das Bühnenspiel. Wie sollen sich die Darsteller auf dem imaginären Amt verhalten, das lediglich durch einen Tisch und einen Stuhl angedeutet wird? Wie viel Arroganz gelingt ihnen? Die Tipps kommen von ihr in einer Weise, dass die Jugendlichen es gut annehmen können. Leiterin Uta Wanitschke sitzt im Zuschauerraum. Sie hält einen Kaffee in der Hand. Sagt keinen Ton. Lächelt mal und ist aufmerksam. Natürlich ist sie angespannt. Das legt sich auch nach Jahren nicht, wenn die Premiere nur noch Tage entfernt ist. Sie weiß um die großen Erwartungen des Publikums. Die sollen auch diesmal wieder erfüllt werden.
Szenenwechsel: Pantomimisch stechen die Darsteller Spargel. Wird Spargel so gestochen? Nein, heißt es aus dem Zuschauerraum. Der wird nicht heraus gezerrt. Er wird wirklich gestochen und dann heraus gehoben. Das üben sie. Lachen dabei und kommen so ins Schwitzen, als stünden sie wirklich über den aufgeschütteten Erdreihen, in denen der Spargel dunkel vor sich hin wächst, bis er ans Licht darf.
Die Inszenierung wird mit viel Musik unterlegt. Die Techniker kennen den genauen Ablauf. Sie sind auch dabei, die richtigen Lichteffekte mit zu entwickeln. Unmögliches probieren sie sofort. In der Schotte ticken sie sehr im Gleichklang. Vor, hinter, über und auf der Bühne.