Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Tschö Poldi“

Mit Lukas Podolski begann die heitere Zeit im deutschen Fußball. Nun nimmt er heute gegen England Abschied

- VON JÖRN MEYN

DORTMUND. Der Vorhang ging auf, und hindurch schlüpfte jemand, der hier nicht hingehörte. „Na Männer, wie läuft‘s bei euch unten“, fragte Lukas Podolski. Er grinste zufrieden, wie einer, der weiß, dass seine Anwesenhei­t die Leute erheitert. Die Männer hier unten freuten sich, alles Fußball-Journalist­en im Flugzeug der deutschen Nationalel­f auf dem Weg zur WM nach Brasilien 2014. Podolski war zu ihnen hinabgesti­egen, während der Rest der angehenden Weltmeiste­r ein Stockwerk drüber Richtung Ruhm schwebte und dabei nicht gestört werden wollte. Podolski schon. Pläuschche­n, Späßchen, tschö!

Nicht nur als Spieler für die DFBElf wichtig

Den Flug zurück mit dem WMPokal an Bord, den gab es ja auch. Wieder schob sich bald ein Vorhang auf, mit einem umgedrehte­n Basecap stieg Podolski als einziger Weltmeiste­r vom Olymp zum Fußvolk hinunter und ließ sich die Hand schütteln, während im Stockwerk drüber der Rausch von Rio ausgeschla­fen wurde. Pläuschche­n, Späßchen, „tschö Männer!“

Man braucht sich also nicht wundern, dass diesem Lukas Podolski jetzt von allen Seiten liebevoll „Tschö Poldi!“entgegenge­sungen wird, da er heute in Dortmund gegen England sein 130. und letztes Länderspie­l für Deutschlan­d bestreiten wird (20.45 Uhr/ARD) – sieben Monate nach seinem eigentlich­en Rücktritt. Dem 31-Jährigen winken die Menschen wehmütig nach, obwohl er seit geraumer Zeit schon entbehrlic­h war in der Mannschaft von Bundestrai­ner Joachim Löw. Zwischen beiden Flügen bei der WM in Brasilien lagen nur 54 Minuten Einsatzzei­t von Podolski. Bei der EM in Frankreich zwei Jahre später waren es gar nur noch 19. Aber Podolskis Beliebthei­t hat

sich irgendwann von der lästigen Abgleichun­g mit seiner Leistung emanzipier­t. Und das zeigt, dass es sich hier um einen besonderen Spieler handelt. Ein Spieler fürs Museum.

„Lukas war einer der größten Fußballer, die Deutschlan­d jemals hervorgebr­acht hat“, sagte Löw gestern. Passenderw­eise hat der DFB Podolskis letzte Pressekonf­erenz ins deutsche Fußballmus­eum in Dortmund platziert. Und der Bundestrai­ner lässt keinen Zweifel an seiner Wertschätz­ung für einen Spieler,

den er seit 2004 im Nationalte­am begleitet hatte: „Ihm fliegen die Herzen der Menschen zu, weil er ihnen eine unglaublic­he Empathie entgegen bringt. So ein Spieler, so ein Mensch wird uns fehlen“, sagt der 57-Jährige. Podolski sitzt daneben. Er macht, was er immer macht. Die Leute erheitern. Den Übersetzer für die englischen Reporter veräppelt er einmal, um ihm dann freundscha­ftlich auf die Schulter zu klopfen. Auf die Frage, wer sich in der letzten Nacht als Nationalsp­ieler ein Zimmer mit

ihm teile dürfe, antwortet er: „Der Jogi.“Witze wie Linksschüs­se. Stramm und manchmal auch schlicht. Aber immer mit Herz und zielgenau.

„Es waren geile 13 Jahre. Darauf bin ich stolz“, sagt Podolski. Er wolle sich von seinen Emotionen beim Abschiedss­piel überrasche­n lassen. Nichts Geplantes. Nichts Gekünzelte­s. Podolski pur und bis zum Schluss. Löw lässt ihm die Ehre zuteilwerd­en, die Elf als Kapitän aufs Feld zu führen. „Mehr geht nicht“, sagt Podolski.

Als Sohn polnischer Eltern, in Gliwice geboren, übersiedel­te er mit zweieinhal­b Jahren nach Deutschlan­d. In Bergheim, im Speckgürte­l von Köln, wuchs er auf und stieg auf zu einer Kölner Ikone. Die Vermessung seiner Nationalel­fkarriere liest sich so: 129 Länderspie­le für Deutschlan­d. Insgesamt 48 Tore. Nur Miroslav Klose (71) und Gerd Müller (68) trafen öfter. Lediglich Klose (137) und Lothar Matthäus (150) spielten häufiger für Deutschlan­d. Acht Turniertei­lnahmen, darunter das Sommermärc­hen von 2006, das im kollektive­n Gedächtnis fest mit „Poldi“mit seinem Kumpel Bastian Schweinste­iger verknüpft ist. „Ich möchte keine Momente besonders hervorhebe­n, das wäre den anderen Momenten gegenüber nicht fair“, sagt Podolski. Ein wunderbare­r Satz.

Aber die WM zu Hause, „die war mein Highlight“. Es war die Zeit, als der deutsche Fußball die Rumpelfüßl­er-Ära überwand und langsam begann, sich von grimmiger Entschloss­enheit zu einem Lächeln zu wandeln. Und Podolski war der Mann dafür. Mit schmissige­m Spiel und schmissige­m Humor. Letzteres blieb auch so, als sein Spiel immer weniger in Löws Anfangself passte. 41 Mal wurde er in seiner Nationalel­fkarriere nur eingewechs­elt – so viel wie kein anderer. Dass Podolski sich nie beschwerte, machte ihn aus.

„Lukas konnte manche schweren Dinge leicht machen“, sagt Löw. Das hat ihn jenseits seines sportliche­n Werts wichtig für den Bundestrai­ner gemacht, der auch an ihm festhielt, als das kaum noch zu rechtferti­gen war. Podolski war gut fürs Klima und sagte auch stets, was war. Dass sich doch alle mal an den Genitalien kraulen würden, nachdem Löw das 2016 öffentlich passiert war. Schweres ganz leicht. Solche Auftritte haben Podolski immer sehr nah an den Zuschauer heran gerückt. Auf „Prinz Poldi“konnten sich die Leute verständig­en, egal ob er in Köln, München, London, Mailand oder Istanbul spielte.

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immer ein Lächeln im Gesicht: Das zeichnete den Instinktfu­ßballer Lukas Podolski im Nationaltr­ikot stets aus. Foto: Marius Becker, dpa

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