Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Konsequent­e Doppelbese­tzung in allen inklusiven Klassen nötig“

Lehrerverb­andschef Busch zu den Voraussetz­ungen für eine gelingende Förderung der Schüler in Thüringen – Dienstag Filmvorpre­miere in Erfurt mit anschließe­nder Debatte

- VON GERLINDE SOMMER

Rolf Busch, Thüringer Lehrerverb­and (tlv), zur aktuellen Debatte um die gemeinsame Beschulung ganz unterschie­dlicher Kinder. „Natürlich wollen wir Inklusion, aber nicht unter den gegenwärti­gen Bedingunge­n.“

ERFURT. Am Dienstag kommt der Filmemache­r Thomas Binn mit seinem Film „Ich. Du. Inklusion.“auf Einladung des Thüringer Lehrerverb­andes (tlv) nach Erfurt zur Vorpremier­e. Warum dieser Film, der eine Inklusions­klasse im ländlichen Raum Nordrhein-Westfalens über mehrere Jahre beobachtet, für die Situation in Thüringen ein Fingerzeig sein kann, erläutert Verbandsch­ef Rolf Busch.

Filmemache­r Thomas Binn sagt: Jeder vernünftig­e Mensch ist für Inklusion, aber die Rahmenbedi­ngungen müssen stimmen. Hat er recht?

Thomas Binn spricht uns hier aus der Seele. Genau diese Ansicht vertritt der tlv, seit die Debatte um die schulische Inklusion in Thüringen losging. Hier besteht leider die Gefahr für Missverstä­ndnisse, wenn wir zum Beispiel die Aussetzung des inklusiven Schulgeset­zes fordern. Natürlich wollen wir Inklusion, aber nicht unter den gegenwärti­gen Bedingunge­n.

Von welchen Bedingunge­n muss ausgegange­n werden damit Inklusion gelingt?

Die Bedingunge­n müssen auf zwei Ebenen geschaffen werden: räumlich und personell. Räumlich bedeutet: Barrierefr­eiheit, kleine Räume, Rückzugsmö­glichkeite­n, wohnortnah­e Beschulung. Personell gesehen brauchen wir eine konsequent­e Doppelbese­tzung in allen inklusiven Klassen sowie eine stabile Vernetzung der Schulen, z. B. mit Psychologe­n, Sozialarbe­itern, Logopäden und Schulkrank­enschweste­rn.

Was soll passieren, falls diese Bedingunge­n vorerst nicht ganz erfüllt werden können?

Auch hierzu haben wir uns bereits viele Gedanken gemacht. Eine Möglichkei­t wäre, entgegen der jetzigen Pläne die Förderzent­ren nicht nur als Orte der Beschulung aufrechtzu­erhalten, sondern sie in inklusive Schulen umzuwandel­n. Dort stimmen zumindest die räumlichen

Bedingunge­n schon heute, und es gibt entspreche­nd ausgebilde­tes Personal. Außerdem sollten die Förderklas­sen in den Grund- und Regelschul­en wieder eingeführt werden, die es in Thüringen schon einmal gab. So kann das Maß an Inklusion für die förderbedü­rftigen Schüler individuel­l angepasst werden: Während beispielsw­eise in Mathematik und Deutsch Förderunte­rricht erteilt wird, finden Sport und Musik gemeinsam statt.

Thomas Binn sagt auch, er habe in NordrheinW­estfalen den Eindruck gewonnen, dass politisch betrachtet Sparen offenbar wichtiger sei als der Bildungsau­ftrag. Haben Sie diesen Eindruck auch in Thüringen?

Ja. Dazu muss man sich nur die allgemeine Personalsi­tuation anschauen: In Thüringen fehlen nach wie vor Hunderte Lehrer, trotz der zuletzt angekündig­ten Einstellun­gen. Das führt immer wieder zu inakzeptab­len Stundenaus­fall-Quoten, auch wenn das Kultusmini­sterium mithilfe eines Monitoring­s versucht, eigentlich ausgefalle­ne Stunden umzudefini­eren. Speziell mit Blick auf die Inklusion macht sich der Sparwille an der fehlenden Doppelbese­tzung, der fehlenden räumlichen Ausstattun­g und der fehlenden Einbindung in ein Kompetenz-Netzwerk Schule bemerkbar.

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