Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Ich hab’ Dich auch ausreden lassen“
Der Linke Torsten Wolf und der CDUMann Christian Tischner im Gespräch zur Bildungspolitik, zum Personal und zu den Finanzen
der ERFURT. BildungspolitikWeil der Freistaatviele Dingein tatsächlich selbst gestalten kann, geraten Regierungskoalition und Opposition auf diesem Politikfeld regelmäßig hart aneinander. Vorne dran bei solchen Auseinandersetzungen: der Linke Torsten Wolf und der CDUMann Christian Tischner. Herr Tischner, Sie sind ein beständiger Kritiker der rotrotgrünen Bildungspolitik. Aber irgendwas muss die Koalition auf diesem Feld doch auch richtig machen, oder?
Tischner: Puh, es fällt mir ganz schwer, da was zu finden. Die zentrale Frage ist doch: Hat sich die Qualität im Schulsystem verbessert? Und da fällt mir kein Punkt ein, wo das so wäre. Vieles ist begonnen, aber nichts zu Ende gebracht . Aber – ich finde es gut, dass Bildungsministerin Klaubert bemüht ist, mit Fachvertretern zu sprechen. Herr Wolf, an Sie die umgedrehte Frage: Wo sehen Sie noch Potenzial bei der Bildungspolitik Ihrer Koalition?
Wolf: Ich muss feststellen, dass viele Prozesse viel länger dauern, als ich mir das wünsche. Bei drei Koalitionspartnern und einer Landesregierung, wo Bildungsthemen immer ins Kabinett kommen, lässt sich das aber nicht anders machen. Konkret hätte ich mir zum Beispiel gewünscht, dass wir beim Schulund Kita-Gesetz deutlich schneller gewesen wären. Wollen Sie im Kern nicht beide das Gleiche für das Thüringer Bildungssystem und streiten oft nur um des Streites Willen?
Tischner: Ich weiß nicht, ob wir beide am Ende wirklich das Gleiche wollen. Unser wichtigstes Ziel als CDU ist es, dass Thüringen seinen Spitzenplatz im Bildungssystem behält. Und auf jeden Fall liegen Welten zwischen den Mitteln, die wir als CDU in der Bildungspolitik vorschlagen, und dem, was Rot-RotGrün da tut. Zum Beispiel halten wir es für falsch, dass die Linkskoalition jetzt das Schulgesetz ändert und damit die Kollegen in den Schulen nur noch mehr durcheinander bringt. Wir glauben, dass es viel wichtiger ist, den Generationswechsel in den Lehrerzimmern zu gestalten, als an Strukturen herum zu stümpern. Aber auch Herr Wolf will doch, dass Thüringen den Spitzenplatz in den Bildungsrankings verteidigt und dass der Generationenwechsel gestaltet wird, oder?
Wolf: Natürlich, und deshalb ist es gut, dass Rot-Rot-Grün regiert. Denn wenn die CDU noch regieren würde, gäbe es in den Schulen des Freistaats einen Personalabbau von jetzt noch 2400 Vollzeitstellen bis zum Jahr 2020. Das heißt, wir würden 15 Prozent unserer Lehrerinnen und Lehrer verlieren – auf Grundlage eines Beschlusses der CDU-geführten Landesregierung in der letzten Legislaturperiode. Im Gegensatz dazu stellen wir sogar noch mehr Lehrer als die 500 Kolleginnen und Kollegen, auf die sich Rot-RotGrün im Koalitionsvertrag verständigt hat. Das ist konkrete Politik, die den Generationenwechsel wirklich gestaltet.
Damit beginnen Detail-Streitereien, die es während des Gesprächs immer wieder gibt. Dass beide sich minutenlang in ganz vielen Details über diese Zahlen streiten können, hat damit zu tun, dass Stellen und Köpfe im Schuldienst nicht identisch sind. Und dass 2007 das Landesverfassungsgericht festgestellt hat, dass die von der CDU eingeführte Teilzeit-Verbeamtung von Lehrern rechtswidrig war und diese Lehrer in Vollzeit zu beschäftigen sind. Dadurch, dass deren Arbeitszeit dann aufgestockt werden musste, waren formal auf einmal mehr als 1000 Lehrerstellen mehr „im System“, ohne dass auch nur ein einziger Junglehrer eingestellt worden wäre.
Aber wenn das so ist, Herr Tischner, was ist dann an der Lesart von Herrn Wolf falsch, dass RotRotGrün nun erstmals wieder Junglehrer in Größenordnungen einstellt?
Tischner: Weil es falsch ist zu glauben, erst unter den Linken sei das Bewusstsein dafür entstanden, dass wir wieder mehr neue Lehrer brauchen. Schon unter der CDU-Alleinregierung und dann auch unter der schwarz-roten Regierung war dieses Bewusstsein vorhanden. Deshalb wurde damals schon mit Mehreinstellungen geplant. Wir als CDU haben auch schon lange gesagt: In dieser Legislaturperiode müssen mindestens 2500 neue Lehrer eingestellt werden. Das ist auch die Formulierung, die sich im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag findet. An dieser Stelle sind wir wirklich nicht weit auseinander. Herr Wolf, Sie waren zu schwarzroten Zeiten GEWVorsitzender in Thüringen. Hatten Sie damals das Gefühl, dass dieses Bewusstsein, von dem Herr Tischner gerade sprach, vorhanden war?
Wolf: Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD stand das Ziel, 2500 neue Lehrer zwischen 2009 und 2014 einzustellen. Tatsächlich eingestellt worden sind 1400 Pädagogen. Das wissen die Kolleginnen und Kollegen auch noch sehr genau. In der Konsequenz ist es so, dass uns an den
Thüringer Schulen eine komplette Lehrergeneration fehlt.
Dann folgt ein weiterer minutenlanger Streit über die TeilzeitVerbeamtung aus der Vergangenheit, mögliche Alternativen damals und die Konsequenzen, die das für manche Lehrer heute noch hat. Ergänzt durch weitere Zahlenspiele und Rechenmodelle zu Lehrern „im System“. Und immer wieder taucht die Frage auf, wer daran eigentlich die Schuld trägt. Wolf sagt: Die CDU. Tischner sagt: Vergessen Sie nicht, dass die Schülerzahlen in der Vergangenheit von etwa 400 000 auf etwa die Hälfte eingebrochen waren. Herr Wolf, ein Thema, das die Schulen belastet, ist die hohe Zahl von langzeiterkrankten Pädagogen. Auch wenn RotRotGrün keine Lehrergeneration in zweieinhalb Jahren Amtszeit ersetzen konnte – wenigstens hier hätten Sie doch was tun können... Wolf: Wir handeln doch: Wir haben von 2014 bis 2016 insgesamt 300 vollzeitbeschäftigte Lehrer mehr ins System gebracht – hatten aber im gleichen Zeitraum einen Aufwuchs bei den Langzeiterkrankten von 700 auf 800. Das heißt: Einfach nur mehr Lehrer einzustellen, bringt uns da gar nichts. Wir brauchen eben die Änderung der Schulstrukturen, an der wir so hart arbeiten. Der bürokratische Aufwand, mit dem sich Lehrer an Schulen beschäftigen müssen, trägt doch auch dazu bei, dass so viele Pädagogen langzeitkrank sind...
Tischner: Genauso ist es. Ich kann Ihnen aus meiner Zeit als Lehrer sagen, dass etwa die Kompetenzgespräche, die in den Schulen geführt werden müssen, einen unglaublichen Arbeitsaufwand bedeuten. Pro Gespräch brauchen sie zwei bis drei Stunden Zeit, für die Vorbereitung, das Gespräch selbst und die Nachbereitung. Und wenn Sie da eine Klasse mit 28 Schülern haben, dann nervt das eben, weil ihnen dadurch Zeit verloren geht, die sie nicht mehr in die Schüler investieren können.
Wolf: Da gebe ich Ihnen beiden ausdrücklich recht. Was die Entbürokratisierung
des Bildungswesens angeht, sind wir zuletzt kein Stück weiter gekommen. Auch da sind Christian Tischner und ich gar nicht so weit auseinander.
Tischner: Aber es ist ja nicht nur so, dass Rot-Rot-Grün den Abbau der Bürokratie unterlassen hat. Sie haben auch aufgesattelt! Zum Beispiel bei den Klassenfahrten ist das Prozedere inzwischen so kompliziert geworden,
dass es die Lehrer und Schulen nur noch zusätzlich belastet. Warum?
Tischner: Die Kollegen müssen dafür inzwischen ein Formular mit drei Seiten ausfüllen, wenn sie die Klassenfahrt beim Schulleiter beantragen. Schulleiter und Schulkonferenz müssen dann eine Ranking-Liste zu den verschiedenen Fahrten erstellen. Das geht dann ans Schulamt, kommt von da zurück, dann muss ein Dienstreiseantrag gestellt werden. Und danach muss eine Abrechnung gemacht werden. Dass Lehrer da überhaupt noch Klassenfahrten machen, da können wir wirklich froh und sehr dankbar sein. Die CDU erweckt seit Monaten den Eindruck, es gäbe überhaupt keine Klassenfahrten mehr.
Tischner: Nein, das stimmt nicht. Wir sagen: Ihre Zahl nimmt deutlich ab. Nicht zuletzt wegen des bürokratischen Aufwandes. Warum gibt es den bürokratischen Aufwand, Herr Wolf?
Wolf: Erst mal will ich sagen, dass wir uns als Koalition dieses Prozedere noch mal ansehen werden. Denn es ist richtig, die Durchführung von Klassenfahrten ist mit einem erhöhten bürokratischen Aufwand verbunden. Aber es ist eben nicht so, dass es weniger Klassenfahrten gäbe als früher. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil die Zuschüsse aus dem Landeshaushalt für solche Fahrten deutlich nach oben gegangen sind. 2012 standen im Landeshaushalt dafür null Euro zur Verfügung. Mittlerweile sind wir da bei fast einer Million Euro pro Jahr...
...das ist das Geld, von dem die Lehrer Kosten für solche Fahrten ersetzt bekommen?
Wolf: Ja. Aber man muss eben auch sagen: Ehe diese Richtlinie in Kraft gesetzt worden ist, gab es überhaupt keine Möglichkeit für Lehrer, die ihnen entstehenden Kosten beim Dienstherrn geltend zu machen. Sie haben das also aus eigener Tasche bezahlt. Jetzt ist es so, dass sinnvolle Klassenfahrten für die Lehrer auch vom Land bezahlt werden.
Tischner: Nur wer entscheidet, was pädagogisch sinnvoll ist?
Wolf: Ich hab’ Dich auch ausreden lassen, also lass’ mich jetzt bitte auch ausreden. Jedenfalls können die Kolleginnen und Kollegen erstmals darauf vertrauen, dass das, was ihnen genehmigt worden ist, auch erstattet wurde. Das ist das, was der Kollege Tischner nie sagt. Das ist aber für einen Oppositionspolitiker allerdings auch okay.
Tischner: Aber was der Kollege Wolf stets vergisst, ist, dass RotRot-Grün im Haushalt 2015 die zur Verfügung stehenden Mittel für die Klassenfahrten von 2014 über 1,4 Millionen Euro – das war der letzte Haushalt von Schwarz-Rot – erst mal auf etwa 800 000 Euro gekürzt hatte. Und es relativiert sich weiter, weil die aktuelle Haushaltsanmeldungen der Schulen 1,6 Millionen Euro für die Klassenfahrten in 2017/2018 betragen.
An dieser Stelle beginnen die beiden Bildungspolitiker erneut eine detailversessene Debatte über die Vergangenheit – und
streiten darüber, wie es zur Kürzung kam und ob sie richtig war. Herr Tischner sagt regelmäßig, Sie wollten kleine Schulen im ländlichen Raum schließen. Gibt es unter RotRotGrün eine Zukunft für solche Schulen?
Wolf: Punkt eins: Wir sind als Koalition dafür angetreten, zukunftsfähige Schulstrukturen zu schaffen. Alleine in dieser Legislaturperiode stellen wir etwa 300 Millionen Euro für Investitionen in den Schulbau an zukunftsfähigen Schulen zur Verfügung. Unter der CDU-Regierung waren das etwa 75 Millionen Euro.
Tischner: Bei Ihrem Geld sind aber 140 Millionen Euro vom Bund dabei.
Wolf: Punkt zwei: Thüringen ist das einzige Bundesland, in dem es keine Richtlinie dazu gibt, wie groß Klassen sein müssen. Und weil die Kommunen als Schulträger entscheiden, wo welche Schule mit welchen Klassen betrieben wird, das Land aber das Lehrpersonal stellt, ist es so, dass der Freistaat im Moment die Musik bezahlt, die andere bestellen. Sie weichen der Frage aus. Noch mal: Haben kleine Schulen unter RotRotGrün eine Überlebenschance?
Wolf: Zur Frage der kleinen Schulen hat der Ministerpräsident eine Kommission eingesetzt und ich bin sehr gespannt, zu welchen Ergebnissen die kommt.
Tischner: Also wir als CDU sind für den Erhalt kleiner Schulen im ländlichen Raum. Ob die am
Ende Sprengelschulen heißen oder Außenstellen oder Schulstandorte, ist völlig egal; da bin ich ausnahmsweise mal ganz auf der Linie des Ministerpräsidenten. Die CDUForderung kostet
Tischner: Das ist so. Wir haben als CDU immer gesagt, dass uns die kurzen Wege für die kurzen Beine wichtig sind und dass man in Bildung investieren muss. Dazu stehen wir.
Wolf: Die Wahrheit ist, wenn die Schülerzahlen an einer Schule unter ein bestimmtes Niveau fallen, können wir diesen Standort nicht halten. Dafür ist weder Personal noch Geld da. Und es kann doch auch nicht sein, dass wir in Jena Klassen mit 30 Schülern haben und im ländlichen Raum Klassen mit nur halb so viel Schülern. Das hat mit Bildungsgerechtigkeit nichts und zwar gar nichts zu tun.
Tischner: Ich halte überhaupt nichts davon, dass man bei dieser Frage Stadt und Land gegeneinander ausspielt. Aber ist das nicht die Anerkennung von Realitäten?
Tischner: Nein, das ist es nicht. Wir sind in Thüringen nun mal ländlich geprägt, es gibt hier nur ein paar wenige größere Städte. Und da können wir nicht hingehen und sagen: Wir machen die Schulen im ländlichen Raum dicht, weil wir die Lehrer in Jena und Erfurt brauchen.
Und hier wird es nun wieder lebhaft. Weil Tischner und Wolf darüber streiten, ob die Ganztagsschule ein tragfähiges Modell für Thüringens Schüler ist.
„Wir haben von 2014 bis 2016 insgesamt 300 vollzeitbeschäftigte Lehrer mehr ins System gebracht – hatten aber im gleichen Zeitraum einen Aufwuchs bei den Langzeiterkrankten von 700 auf 800. Einfach nur mehr Lehrer einzustellen, bringt uns da gar nichts.“Torsten Wolf, Linke „Wir als CDU sind für den Erhalt kleiner Schulen im ländlichen Raum. Ob die am Ende Sprengelschulen heißen oder Außenstellen oder Schulstandorte, ist völlig egal; da bin ich ausnahmsweise mal ganz auf der Linie des Ministerpräsidenten“Christian Tischner, CDU