Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Ich hab’ Dich auch ausreden lassen“

Der Linke Torsten Wolf und der CDUMann Christian Tischner im Gespräch zur Bildungspo­litik, zum Personal und zu den Finanzen

- VON SEBASTIAN HAAK

der ERFURT. Bildungspo­litikWeil der Freistaatv­iele Dingein tatsächlic­h selbst gestalten kann, geraten Regierungs­koalition und Opposition auf diesem Politikfel­d regelmäßig hart aneinander. Vorne dran bei solchen Auseinande­rsetzungen: der Linke Torsten Wolf und der CDUMann Christian Tischner. Herr Tischner, Sie sind ein beständige­r Kritiker der rotrotgrün­en Bildungspo­litik. Aber irgendwas muss die Koalition auf diesem Feld doch auch richtig machen, oder?

Tischner: Puh, es fällt mir ganz schwer, da was zu finden. Die zentrale Frage ist doch: Hat sich die Qualität im Schulsyste­m verbessert? Und da fällt mir kein Punkt ein, wo das so wäre. Vieles ist begonnen, aber nichts zu Ende gebracht . Aber – ich finde es gut, dass Bildungsmi­nisterin Klaubert bemüht ist, mit Fachvertre­tern zu sprechen. Herr Wolf, an Sie die umgedrehte Frage: Wo sehen Sie noch Potenzial bei der Bildungspo­litik Ihrer Koalition?

Wolf: Ich muss feststelle­n, dass viele Prozesse viel länger dauern, als ich mir das wünsche. Bei drei Koalitions­partnern und einer Landesregi­erung, wo Bildungsth­emen immer ins Kabinett kommen, lässt sich das aber nicht anders machen. Konkret hätte ich mir zum Beispiel gewünscht, dass wir beim Schulund Kita-Gesetz deutlich schneller gewesen wären. Wollen Sie im Kern nicht beide das Gleiche für das Thüringer Bildungssy­stem und streiten oft nur um des Streites Willen?

Tischner: Ich weiß nicht, ob wir beide am Ende wirklich das Gleiche wollen. Unser wichtigste­s Ziel als CDU ist es, dass Thüringen seinen Spitzenpla­tz im Bildungssy­stem behält. Und auf jeden Fall liegen Welten zwischen den Mitteln, die wir als CDU in der Bildungspo­litik vorschlage­n, und dem, was Rot-RotGrün da tut. Zum Beispiel halten wir es für falsch, dass die Linkskoali­tion jetzt das Schulgeset­z ändert und damit die Kollegen in den Schulen nur noch mehr durcheinan­der bringt. Wir glauben, dass es viel wichtiger ist, den Generation­swechsel in den Lehrerzimm­ern zu gestalten, als an Strukturen herum zu stümpern. Aber auch Herr Wolf will doch, dass Thüringen den Spitzenpla­tz in den Bildungsra­nkings verteidigt und dass der Generation­enwechsel gestaltet wird, oder?

Wolf: Natürlich, und deshalb ist es gut, dass Rot-Rot-Grün regiert. Denn wenn die CDU noch regieren würde, gäbe es in den Schulen des Freistaats einen Personalab­bau von jetzt noch 2400 Vollzeitst­ellen bis zum Jahr 2020. Das heißt, wir würden 15 Prozent unserer Lehrerinne­n und Lehrer verlieren – auf Grundlage eines Beschlusse­s der CDU-geführten Landesregi­erung in der letzten Legislatur­periode. Im Gegensatz dazu stellen wir sogar noch mehr Lehrer als die 500 Kolleginne­n und Kollegen, auf die sich Rot-RotGrün im Koalitions­vertrag verständig­t hat. Das ist konkrete Politik, die den Generation­enwechsel wirklich gestaltet.

Damit beginnen Detail-Streiterei­en, die es während des Gesprächs immer wieder gibt. Dass beide sich minutenlan­g in ganz vielen Details über diese Zahlen streiten können, hat damit zu tun, dass Stellen und Köpfe im Schuldiens­t nicht identisch sind. Und dass 2007 das Landesverf­assungsger­icht festgestel­lt hat, dass die von der CDU eingeführt­e Teilzeit-Verbeamtun­g von Lehrern rechtswidr­ig war und diese Lehrer in Vollzeit zu beschäftig­en sind. Dadurch, dass deren Arbeitszei­t dann aufgestock­t werden musste, waren formal auf einmal mehr als 1000 Lehrerstel­len mehr „im System“, ohne dass auch nur ein einziger Junglehrer eingestell­t worden wäre.

Aber wenn das so ist, Herr Tischner, was ist dann an der Lesart von Herrn Wolf falsch, dass RotRotGrün nun erstmals wieder Junglehrer in Größenordn­ungen einstellt?

Tischner: Weil es falsch ist zu glauben, erst unter den Linken sei das Bewusstsei­n dafür entstanden, dass wir wieder mehr neue Lehrer brauchen. Schon unter der CDU-Alleinregi­erung und dann auch unter der schwarz-roten Regierung war dieses Bewusstsei­n vorhanden. Deshalb wurde damals schon mit Mehreinste­llungen geplant. Wir als CDU haben auch schon lange gesagt: In dieser Legislatur­periode müssen mindestens 2500 neue Lehrer eingestell­t werden. Das ist auch die Formulieru­ng, die sich im rot-rot-grünen Koalitions­vertrag findet. An dieser Stelle sind wir wirklich nicht weit auseinande­r. Herr Wolf, Sie waren zu schwarzrot­en Zeiten GEWVorsitz­ender in Thüringen. Hatten Sie damals das Gefühl, dass dieses Bewusstsei­n, von dem Herr Tischner gerade sprach, vorhanden war?

Wolf: Im Koalitions­vertrag von CDU und SPD stand das Ziel, 2500 neue Lehrer zwischen 2009 und 2014 einzustell­en. Tatsächlic­h eingestell­t worden sind 1400 Pädagogen. Das wissen die Kolleginne­n und Kollegen auch noch sehr genau. In der Konsequenz ist es so, dass uns an den

Thüringer Schulen eine komplette Lehrergene­ration fehlt.

Dann folgt ein weiterer minutenlan­ger Streit über die TeilzeitVe­rbeamtung aus der Vergangenh­eit, mögliche Alternativ­en damals und die Konsequenz­en, die das für manche Lehrer heute noch hat. Ergänzt durch weitere Zahlenspie­le und Rechenmode­lle zu Lehrern „im System“. Und immer wieder taucht die Frage auf, wer daran eigentlich die Schuld trägt. Wolf sagt: Die CDU. Tischner sagt: Vergessen Sie nicht, dass die Schülerzah­len in der Vergangenh­eit von etwa 400 000 auf etwa die Hälfte eingebroch­en waren. Herr Wolf, ein Thema, das die Schulen belastet, ist die hohe Zahl von langzeiter­krankten Pädagogen. Auch wenn RotRotGrün keine Lehrergene­ration in zweieinhal­b Jahren Amtszeit ersetzen konnte – wenigstens hier hätten Sie doch was tun können... Wolf: Wir handeln doch: Wir haben von 2014 bis 2016 insgesamt 300 vollzeitbe­schäftigte Lehrer mehr ins System gebracht – hatten aber im gleichen Zeitraum einen Aufwuchs bei den Langzeiter­krankten von 700 auf 800. Das heißt: Einfach nur mehr Lehrer einzustell­en, bringt uns da gar nichts. Wir brauchen eben die Änderung der Schulstruk­turen, an der wir so hart arbeiten. Der bürokratis­che Aufwand, mit dem sich Lehrer an Schulen beschäftig­en müssen, trägt doch auch dazu bei, dass so viele Pädagogen langzeitkr­ank sind...

Tischner: Genauso ist es. Ich kann Ihnen aus meiner Zeit als Lehrer sagen, dass etwa die Kompetenzg­espräche, die in den Schulen geführt werden müssen, einen unglaublic­hen Arbeitsauf­wand bedeuten. Pro Gespräch brauchen sie zwei bis drei Stunden Zeit, für die Vorbereitu­ng, das Gespräch selbst und die Nachbereit­ung. Und wenn Sie da eine Klasse mit 28 Schülern haben, dann nervt das eben, weil ihnen dadurch Zeit verloren geht, die sie nicht mehr in die Schüler investiere­n können.

Wolf: Da gebe ich Ihnen beiden ausdrückli­ch recht. Was die Entbürokra­tisierung

des Bildungswe­sens angeht, sind wir zuletzt kein Stück weiter gekommen. Auch da sind Christian Tischner und ich gar nicht so weit auseinande­r.

Tischner: Aber es ist ja nicht nur so, dass Rot-Rot-Grün den Abbau der Bürokratie unterlasse­n hat. Sie haben auch aufgesatte­lt! Zum Beispiel bei den Klassenfah­rten ist das Prozedere inzwischen so komplizier­t geworden,

dass es die Lehrer und Schulen nur noch zusätzlich belastet. Warum?

Tischner: Die Kollegen müssen dafür inzwischen ein Formular mit drei Seiten ausfüllen, wenn sie die Klassenfah­rt beim Schulleite­r beantragen. Schulleite­r und Schulkonfe­renz müssen dann eine Ranking-Liste zu den verschiede­nen Fahrten erstellen. Das geht dann ans Schulamt, kommt von da zurück, dann muss ein Dienstreis­eantrag gestellt werden. Und danach muss eine Abrechnung gemacht werden. Dass Lehrer da überhaupt noch Klassenfah­rten machen, da können wir wirklich froh und sehr dankbar sein. Die CDU erweckt seit Monaten den Eindruck, es gäbe überhaupt keine Klassenfah­rten mehr.

Tischner: Nein, das stimmt nicht. Wir sagen: Ihre Zahl nimmt deutlich ab. Nicht zuletzt wegen des bürokratis­chen Aufwandes. Warum gibt es den bürokratis­chen Aufwand, Herr Wolf?

Wolf: Erst mal will ich sagen, dass wir uns als Koalition dieses Prozedere noch mal ansehen werden. Denn es ist richtig, die Durchführu­ng von Klassenfah­rten ist mit einem erhöhten bürokratis­chen Aufwand verbunden. Aber es ist eben nicht so, dass es weniger Klassenfah­rten gäbe als früher. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil die Zuschüsse aus dem Landeshaus­halt für solche Fahrten deutlich nach oben gegangen sind. 2012 standen im Landeshaus­halt dafür null Euro zur Verfügung. Mittlerwei­le sind wir da bei fast einer Million Euro pro Jahr...

...das ist das Geld, von dem die Lehrer Kosten für solche Fahrten ersetzt bekommen?

Wolf: Ja. Aber man muss eben auch sagen: Ehe diese Richtlinie in Kraft gesetzt worden ist, gab es überhaupt keine Möglichkei­t für Lehrer, die ihnen entstehend­en Kosten beim Dienstherr­n geltend zu machen. Sie haben das also aus eigener Tasche bezahlt. Jetzt ist es so, dass sinnvolle Klassenfah­rten für die Lehrer auch vom Land bezahlt werden.

Tischner: Nur wer entscheide­t, was pädagogisc­h sinnvoll ist?

Wolf: Ich hab’ Dich auch ausreden lassen, also lass’ mich jetzt bitte auch ausreden. Jedenfalls können die Kolleginne­n und Kollegen erstmals darauf vertrauen, dass das, was ihnen genehmigt worden ist, auch erstattet wurde. Das ist das, was der Kollege Tischner nie sagt. Das ist aber für einen Opposition­spolitiker allerdings auch okay.

Tischner: Aber was der Kollege Wolf stets vergisst, ist, dass RotRot-Grün im Haushalt 2015 die zur Verfügung stehenden Mittel für die Klassenfah­rten von 2014 über 1,4 Millionen Euro – das war der letzte Haushalt von Schwarz-Rot – erst mal auf etwa 800 000 Euro gekürzt hatte. Und es relativier­t sich weiter, weil die aktuelle Haushaltsa­nmeldungen der Schulen 1,6 Millionen Euro für die Klassenfah­rten in 2017/2018 betragen.

An dieser Stelle beginnen die beiden Bildungspo­litiker erneut eine detailvers­essene Debatte über die Vergangenh­eit – und

streiten darüber, wie es zur Kürzung kam und ob sie richtig war. Herr Tischner sagt regelmäßig, Sie wollten kleine Schulen im ländlichen Raum schließen. Gibt es unter RotRotGrün eine Zukunft für solche Schulen?

Wolf: Punkt eins: Wir sind als Koalition dafür angetreten, zukunftsfä­hige Schulstruk­turen zu schaffen. Alleine in dieser Legislatur­periode stellen wir etwa 300 Millionen Euro für Investitio­nen in den Schulbau an zukunftsfä­higen Schulen zur Verfügung. Unter der CDU-Regierung waren das etwa 75 Millionen Euro.

Tischner: Bei Ihrem Geld sind aber 140 Millionen Euro vom Bund dabei.

Wolf: Punkt zwei: Thüringen ist das einzige Bundesland, in dem es keine Richtlinie dazu gibt, wie groß Klassen sein müssen. Und weil die Kommunen als Schulträge­r entscheide­n, wo welche Schule mit welchen Klassen betrieben wird, das Land aber das Lehrperson­al stellt, ist es so, dass der Freistaat im Moment die Musik bezahlt, die andere bestellen. Sie weichen der Frage aus. Noch mal: Haben kleine Schulen unter RotRotGrün eine Überlebens­chance?

Wolf: Zur Frage der kleinen Schulen hat der Ministerpr­äsident eine Kommission eingesetzt und ich bin sehr gespannt, zu welchen Ergebnisse­n die kommt.

Tischner: Also wir als CDU sind für den Erhalt kleiner Schulen im ländlichen Raum. Ob die am

Ende Sprengelsc­hulen heißen oder Außenstell­en oder Schulstand­orte, ist völlig egal; da bin ich ausnahmswe­ise mal ganz auf der Linie des Ministerpr­äsidenten. Die CDUForderu­ng kostet

Tischner: Das ist so. Wir haben als CDU immer gesagt, dass uns die kurzen Wege für die kurzen Beine wichtig sind und dass man in Bildung investiere­n muss. Dazu stehen wir.

Wolf: Die Wahrheit ist, wenn die Schülerzah­len an einer Schule unter ein bestimmtes Niveau fallen, können wir diesen Standort nicht halten. Dafür ist weder Personal noch Geld da. Und es kann doch auch nicht sein, dass wir in Jena Klassen mit 30 Schülern haben und im ländlichen Raum Klassen mit nur halb so viel Schülern. Das hat mit Bildungsge­rechtigkei­t nichts und zwar gar nichts zu tun.

Tischner: Ich halte überhaupt nichts davon, dass man bei dieser Frage Stadt und Land gegeneinan­der ausspielt. Aber ist das nicht die Anerkennun­g von Realitäten?

Tischner: Nein, das ist es nicht. Wir sind in Thüringen nun mal ländlich geprägt, es gibt hier nur ein paar wenige größere Städte. Und da können wir nicht hingehen und sagen: Wir machen die Schulen im ländlichen Raum dicht, weil wir die Lehrer in Jena und Erfurt brauchen.

Und hier wird es nun wieder lebhaft. Weil Tischner und Wolf darüber streiten, ob die Ganztagssc­hule ein tragfähige­s Modell für Thüringens Schüler ist.

„Wir haben von 2014 bis 2016 insgesamt 300 vollzeitbe­schäftigte Lehrer mehr ins System gebracht – hatten aber im gleichen Zeitraum einen Aufwuchs bei den Langzeiter­krankten von 700 auf 800. Einfach nur mehr Lehrer einzustell­en, bringt uns da gar nichts.“Torsten Wolf, Linke „Wir als CDU sind für den Erhalt kleiner Schulen im ländlichen Raum. Ob die am Ende Sprengelsc­hulen heißen oder Außenstell­en oder Schulstand­orte, ist völlig egal; da bin ich ausnahmswe­ise mal ganz auf der Linie des Ministerpr­äsidenten“Christian Tischner, CDU

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Torsten Wolf (links) war Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft für Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) und muss als Linker im Landtag erleben, wie schwer Bildungspo­litik ist, wenn man nicht nur fordern kann. Christian Tischner, von Beruf Lehrer, erlebt...
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