Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Meer, Muh, mehr Morronga
Uraufführung im Theaterhaus Jena: Moritz Schönecker inszeniert „Die Stiere“von Marco Diaz und Rogelio Orizondo
JENA. Vor zwei Jahren konnte dank Goethe-Institut das Publikum in Havanna und Jena bereits den „Schlechten Geschmack“von Marco Diaz und Rogelio Orizondo in der Inszenierung von Moritz Schönecker kennen lernen. Damals erzählten die Autoren aus Kuba bereits vom Plan, eine hierzulande weitgehend unbekannte deutsch-kubanische Episode aus dem Zweiten Weltkrieg zum Plot eines Stücks zu machen, das seine Welturaufführung in Jena erleben sollte. Sie wollten vom einzigen Sieg der Kubaner im Zweiten Weltkrieg erzählen, bei dem unter Kapitän Ramirez ein deutsches U-Boot vor Havanna versenkt worden war. Klingt eigentlich spannend.
Inzwischen entdeckten die Autoren einen roten Faden vom Zweiten Weltkrieg in die kubanische Gegenwart, zur Kuh Ubre Blanca und Castros Kult um das Rekordmilchvieh. Der im Zweiten Weltkrieg siegreiche Kapitän des kubanischen Patrouillenbootes hatte in den 60er-Jahren ein Schiff befehligt, das Zuchtstiere von Kanada nach Kuba transportierte. Alle Stiere kamen während der Fahrt um. Ramirez durfte nie wieder ein Schiff führen.
Diesen historischen Begebenheiten widmet sich nun das Stück, das diesen Freitag in Jena seine von verschämtem Kichern und Premierenpublikumsbeifall begleitete Uraufführung erlebte. Der erste Teil imaginiert die letzten Tage im deutschen U-Boot U-176, der zweite den Verlust der Stiere auf der Reise von Kanada nach Kuba. Die U176-Besatzung ist eine vertierte Nazibande, auf dem Stier-Transporter ergeht sich eine schwule Besatzung in Eifersüchteleien.
Die Namen aller beginnen mit M. M, wie auch Morronga, was, wie wir lernen, eine in Kuba verwendete umgangssprachliche
Bezeichnung für einen großen Penis ist. Zugleich bezeichne Morronga auch eine Sache, die ein großer Scheiß beziehungsweise schlecht verlaufen ist.
Warum letztlich die Zuchtstiere krepierten, ist wohl nicht überliefert. Begehen sie Selbstmord, um nicht Castros lange Reden hören zu müssen? Widmete sich die Besatzung zu oft ihren Morrongas? Symbolisieren sie im Stück die der Revolution geopferte Unschuld?
Verkörpert jedenfalls werden sie in Schöneckers Inszenierung von Statisten, die nicht sprechen müssen, aber muhen dürfen. Am Ende das vielleicht einzig Substanzielle.
Was deutsche U-Boote betrifft, verlasse ich mich auch nach Freitag lieber auf Lothar-Günther Buchheim und Wolfgang Petersen. Ich mag auch Musik von Klaus Doldinger lieber als Südkurvengesang. Ich bin aber nicht undankbar, wenn das Theater meinen Vulgärwortschatz erweitert. Ich bewundere Sophie Hutter für alles, was sie mit dem Mund machen kann, finde Bühnenbild und Kostüme von Benjamin Schönecker und Veronika Bleffert toll. Doch weder die wieder alles gebenden Schauspieler, weder Tempo und Action können die große Ödnis vertreiben, die sich bereits kurz nach Beginn mangels Dramatik einstellt.
Das deutsche U-Boot wird versenkt, nachdem es so viel anderes versenkt hat. Irgendwie folgerichtig. Auf Castros Zuchttransporterinsel dreht sich alles um Kopulieren und Morrongas. Das öffnet den Raum für politisch absolut unkorrekte Assoziationen. Immer wieder fallen Menschen auf hirnrissige Ideologen herein. Gewiss ist das alles Stoff für Großes, in Jena aber ist es nur absolut Morronga.