Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Dr. Jan Kobel aus Arnstadt schreibt in einem Offenen Brief an den Ministerpräsidenten wegen der neuesten Wendungen in der Gebietsreform unter anderem: Entscheidung für Weimar und Gera wie ein Schlag ins Gesicht
Vorwurf an Ministerpräsident und Innenminister: Gegen eigenen Kriterienkatalog verstoßen
Sehr geehrter Herr Ramelow, ich kann Ihrer Argumentation gut folgen und bin, selbst Mitglied der CDU, in der Tat der Ansicht, dass ein Großteil der Kritik an den Reformvorschlägen entweder nach dem Prinzip entsteht: „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!“und/oder eine beschämende Funktionalisierung lokalpatriotischen Stolzes für parteipolitisches Gerassel darstellt. Auch kennen ich Frank Kuschel gut und sage hier ganz offen, dass ich ihn für einen sehr sachorientierten und diskussionsoffenen Kämpfer für diese Reform halte. Die Angriffe auf ihn empfinde ich als Ablenkungsmanöver vor dem eigenen Unwillen, mit einer Landesregierung zusammenzuarbeiten, bloß weil diese Zusammenarbeit die aktuelle Landesregierung stärken könnte.
Nun hat Ihr Innenminister die Bombe platzen lassen, dass Weimar und Gera kreisfrei bleiben sollen, im Widerspruch zu den eigenen Kriterien. Dies empfinde ich als Schlag ins Gesicht all derer, die bislang der Reform offen gegenüber standen und an einen neutralen Kriterienkatalog glaubten. Sie beziehen sich in Ihrer ausführlichen Stellungnahme nicht mit einem Wort auf diesen Übergriff, den sich Holger Poppenhäger erlaubt. Sie deuten lediglich an, dass in Zeiten der Digitalisierung manche kommunalpolitische Standortfrage an Bedeutung verliert. Mag sein. Aber dann frage ich mich, wofür Sie ein Vorschaltgesetz verabschieden?
Gleiches gilt für die Frage der auserwählten Kreisstädte: Auch hier ist nicht transparent, nach welchen Kriterien der Zuschlag erteilt wird. Der größten Stadt? Der bedürftigsten Stadt? Der zentral gelegenen Stadt? Oder der Stadt, dessen Bürgermeister am lautesten schreit, oder das richtige Parteibuch hat? Es spricht meines Erachtens einiges dafür, die schwachen Städte, wie zum Beispiel Arnstadt, zur Kreisstadt zu machen (ohne Uni, ohne Ensemble-Theater, ohne Orchester, ohne größere überregionale Schule, ohne größere Gerichte, ohne eine Institution wie Schloss Friedenstein), denn diese Städte könnten diesen Rückhalt gut gebrauchen. Dass der aktuelle Bürgermeister Arnstadts nicht willens ist, auf die Landesregierung in diesem Sinne einzuwirken und für seine Stadt zu kämpfen, ist bedauerlich, sollte aber für diese nicht handlungsleitend sein.
Sehr geehrter Herr Ramelow, Ihre Erläuterungen nehmen zu der aktuell viele Bürger beschäftigenden Frage, wieso plötzlich nicht mehr gelten soll, was monatelang als vernünftiges Rahmengerüst propagiert wurde, nicht Stellung. Das weist darauf hin, dass in Ihrer Regierung nicht gilt, was ich Ihnen bis heute – mehr aus dem Bauch heraus – zugute gehalten habe: Dass Sie souverän Entscheidungen fällen, die Sie als die besten für das Land erachten.