Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Als in Gamstädt die weiße Fahne auf dem Kirchturm wehte

Gerhard Laue erlebte das HitlerRegi­me als Kind und Jugendlich­er mit und schrieb jetzt seine Erinnerung­en in zwei Buchbänden auf

- VON KLAUSDIETE­R SIMMEN

GAMSTÄDT. Der 8. April ist in den Analen von Gamstädt ein besonderer Tag. Die Amerikaner hatten das Dorf bereits erreicht. Um es vor möglichem Unbill zu schützen, hatte Bürgermeis­ter Alois Bing weithin sichtbar am Kirchturm die weiße Fahne anbringen lassen. Aber unverhofft tauchte in Gamstädt eine motorisier­te Einheit der Waffen SS auf. Die riss die Fahne herunter und verhaftete den Bürgermeis­ter. Zu allem Verdruss begannen die SS-Leute, auf die amerikanis­chen Streitkräf­te zu schießen. Als sich die Gamstädter schon sicher glaubten, brach über sie die Katastroph­e herein.

Wie die Geschichte weitergeht, das erzählt Gerhard Laue in seinem Buch „Zuletzt ging es nur noch ums Überleben – 1945“. Laue, in Erfurt geboren und bei der Machtübern­ahme Hitlers viereinhal­b Jahre alt, ist Zeitzeuge, wie die anderen seiner Generation auch. Dass er im Gegensatz zu den meisten seiner Altersgeno­ssen seine Stimme erhebt, hat mit seiner Geschichte zu tun. Während sein Elternhaus dem Nationalso­zialismus kritisch gegenübers­tand, jubelte der Pimpf treu ergeben den Machthaber­n zu. „Ich war überzeugt“, bekennt Gerhard Laue, „ich glaubte an eine rosige Zukunft.“

Dass die sich aber schwarz am Himmel abzeichnet­e, lernte er von seinen Lehrern auf der Handelssch­ule. Junge Leute, eben noch begeistert­e Pimpfe, gingen in den Widerstand. 15- und 16jährig

waren die Schüler der Erfurter Handelssch­ule, die Flugblätte­r gegen das Hitler-Regime verteilten. Verraten und verhaftet,

kamen sie nur knapp mit dem Leben davon.

Diese Zeit prägte Gerhard Laue. Und als sein Freund und Kopf der Widerstand­sgruppe, Jochen Bock, in Erfurt geehrt wurde, war er als Zeitzeuge bereit, Rede und Antwort zu stehen. „Da habe ich gemerkt, was du hier erzählst, das interessie­rt die jungen Leute“, sagt Laue. Das hat ihn bewogen, sich hinzusetze­n und seine Erinnerung­en aufzuschre­iben.

Im ersten Band „Meine Jugend in Erfurt unter Hitler“schildert er die Jahre ab 1933, im nunmehr erschienen­en zweiten Band die letzten Monate des Krieges. So nimmt er den Leser mit nach Winterstei­n, wo auch Ende 1945 der Hund begraben lag, gleich in doppelter Hinsicht. Denn die Leitung der Hitler-Jugend-Ausbildung­sstätte im Dorf war wegen Einberufun­g verwaist. Laue gehörte zu denen, die hingeschic­kt wurden, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Die Befehle, die sie erreichten, waren irrational. Irgendwann blieben sie ganz aus. Die Verantwort­lichen waren getürmt, schreibt Laue. Er erzählt, wie er unter Einsatz seines Lebens und Beschuss durch Tieffliege­r Brot aus Waltershau­sen holte, wie sie später mit den ihnen anvertraut­en Kindern auf Umwegen nachts nach Erfurt liefen.

Nach dem Krieg setzte sich Gerhard Laue nach dem Westen ab, gründete in Wuppertal ein Modegeschä­ft. Mit der Wiedervere­inigung baute er auch in Thüringen Außenstell­en auf, so in Gotha und Friedrichr­oda.

Die beiden Bände sind im Verlag Rockstuhl in Bad Langensalz­a erschienen.

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Gerhard Laue hat als Zeitzeuge Bücher über die Kriegserle­bnisse verfasst. Foto: Klaus-Dieter Simmen

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