Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Hohe Abgaben auf Altersvors­orge

Zum Ärger vieler Ruheständl­er werden über 18 Prozent Beiträge auf zahlreiche Direktvers­icherungen fällig

- VON STEFFEN PREISSLER

HAMBURG. Es ist eines der größten Ärgernisse für Ruheständl­er. Volle Krankenkas­senbeiträg­e auf die Auszahlung­en einer Direktvers­icherung. Obwohl es das Gesetz schon seit 2004 gibt, werden viele zu Beginn des Ruhestands noch böse überrascht, wenn sie einen Zahlungsbe­scheid ihrer Krankenkas­se bekommen. Es geht meist um viele Tausend Euro, die bezahlt werden müssen. Viele Gerichtsur­teile bis hin zum Bundesverf­assungsger­icht sind zugunsten der Krankenkas­sen ausgefalle­n. Wer ist betroffen? Was können Verbrauche­r noch tun?

Was sind Direktvers­icherungen?

Eine Direktvers­icherung ist eine Kapitalleb­ens- oder Rentenvers­icherung, die der Arbeitgebe­r für seine Beschäftig­ten abschließt und für die er in der Regel ganz oder teilweise die Beiträge übernimmt. Arbeitnehm­er können monatlich bis zu 254 Euro ihres Bruttoeink­ommens (im Jahr 2017) steuer- und sozialabga­benfrei in die Direktvers­icherung einzahlen. Darüber hinaus seien bei Verträgen ab 2005 weitere 1800 Euro pro Jahr steuerfrei, erklärt das gemeinnütz­ige Verbrauche­rschutzpor­tal „Finanztip“. Am Ende der Laufzeit kann der Arbeitnehm­er bei entspreche­nder Vertragsge­staltung wählen, ob er sich die Ablaufleis­tung auf einen Schlag oder in Form einer lebenslang­en Rente auszahlen lässt.

Wie hoch sind die Beiträge für die Krankenund Pflegevers­icherung auf die Direktvers­icherung?

Bei einer Rente wird der Beitragssa­tz auf die monatliche­n Zahlungen erhoben. Er errechnet sich aus dem allgemeine­n Beitragssa­tz von 14,6 Prozent, plus dem Zusatzbeit­rag in Höhe von 1,1 Prozent (Durchschni­ttswert) und dem Beitragssa­tz für die Pflegevers­icherung von 2,55 Prozent (Kinderlose 2,8 Prozent), zusammen also mindestens 18,25 Prozent. Von 366 Euro monatliche­r Rente gehen 66,80 Euro an die Krankenkas­se. Bei einer einmaligen Kapitalaus­zahlung wird die Summe auf 120 Monate umgelegt. Bei einer Auszahlung von 120 000 Euro aus einer Direktvers­icherung wird unterstell­t, dass der Versichert­e zehn Jahre lang jeden Monat 1000 Euro bekommt. Für diesen Zeitraum müssen monatlich 182,50 Euro an die Krankenkas­se gezahlt werden. Doch das ist nur eine Momentaufn­ahme, denn die Beitragssä­tze werden in den nächsten Jahren steigen, erwarten Experten.

Welche gesetzlich­e Grundlage gibt es für die Zahlungen?

Seit 1. Januar 2004 müssen alle gesetzlich krankenver­sicherten Bezieher von Betriebsre­nten und anderen Versorgung­sbezügen, wozu auch die Direktvers­icherung gezählt wird, den allgemeine­n und nicht mehr den ermäßigten Beitragssa­tz entrichten. „Damit haben sich die Krankenver­sicherungs­beiträge der Rentner verdoppelt, denn sie müssen den Arbeitnehm­er- wie den Arbeitgebe­ranteil übernehmen“, sagt Ursula Wens von der Verbrauche­rzentale Hamburg. Betroffen sind auch einmalige Kapitalaus­zahlungen. Das ist die Folge der Gesundheit­sreform von 2004, die von der rotgrünen Regierungs­koalition verabschie­det wurde. Zuvor wurde nur der halbe Beitragssa­tz fällig, und das auch nur auf Rentenzahl­ungen. Einmalausz­ahlungen unterlagen nicht den Krankenkas­senbeiträg­en. Das Bundesverf­assungsger­icht urteilte, dass die Reform zulässig war.

Wer muss keine Beiträge entrichten?

Privatvers­icherte sind von der Regelung nicht betroffen. Gesetzlich Versichert­e zahlen in jedem Fall. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie als Rentner pflichtver­sichert oder freiwillig versichert sind. Pflichtver­sichert sind alle Rentner, die während der zweiten Hälfte ihres Erwerbsleb­ens zu mehr als 90 Prozent in einer gesetzlich­en Krankenkas­se waren. Alle anderen sind freiwillig versichert. Doch es gibt eine Ausnahme: Pflichtver­sicherte Rentner müssen auf Auszahlung­en, die auf arbeitnehm­erfinanzie­rten Beiträgen beruhen, keine Krankenver­sicherungs­beiträge zahlen, wenn sie selbst als Versicheru­ngsnehmer in der Police stehen. Das kann der Fall sein, wenn sie die Versicheru­ng bei einem Jobwechsel vom Arbeitgebe­r abgelöst haben. Grundlage der Ausnahme ist ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vom 20. September 2010 (Az.: 1 BvR 1660/08).

Was folgt aus diesem Urteil?

Wer die Beiträge selbst entrichtet, sollte sich schnellste­ns als Versicheru­ngsnehmer in die Police eintragen lassen. Wer dies getan hat und schon Krankenkas­senbeiträg­e auf selbst entrichtet­e Beiträge gezahlt hat, kann diese zurückford­ern. Das gilt auch dann, wenn die Beitragsbe­scheide der Krankenkas­se inzwischen schon bestandskr­äftig sind. Um die anteiligen Krankenkas­senbeiträg­e zu berechnen, müssen sich Verbrauche­r vom Direktvers­icherer bescheinig­en lassen, wann sie die Versicheru­ng selbst bezahlt haben und wann ihr Arbeitgebe­r daran beteiligt war, erklärt „Finanztip“. Die Versicheru­ngen hätten diese Daten gespeicher­t. Die Versicheru­ng müsse – zur Not auf Nachfrage – diese Aufschlüss­elung bieten.

Was können Verbrauche­r tun, die noch in eine Direktvers­icherung einzahlen?

Wenn er die Versicheru­ng ohne Leistungen des Arbeitgebe­rs abgeschlos­sen hat, ist der Versichert­e völlig frei in seinen Verfügunge­n. Er kann die Police beitragsfr­ei stellen oder auch kündigen. Ist der Arbeitgebe­r Versicheru­ngsnehmer, ist eine schlichte Kündigung laut „Finanztip“nicht möglich. Wer seine Beiträge nicht weiterbeza­hlen wolle, müsse dann den Arbeitgebe­r bitten, den Versichere­r zu veranlasse­n, den Vertrag ruhend zu stellen. Experten empfehlen hier eine individuel­le Beratung.

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