Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Hohe Abgaben auf Altersvorsorge
Zum Ärger vieler Ruheständler werden über 18 Prozent Beiträge auf zahlreiche Direktversicherungen fällig
HAMBURG. Es ist eines der größten Ärgernisse für Ruheständler. Volle Krankenkassenbeiträge auf die Auszahlungen einer Direktversicherung. Obwohl es das Gesetz schon seit 2004 gibt, werden viele zu Beginn des Ruhestands noch böse überrascht, wenn sie einen Zahlungsbescheid ihrer Krankenkasse bekommen. Es geht meist um viele Tausend Euro, die bezahlt werden müssen. Viele Gerichtsurteile bis hin zum Bundesverfassungsgericht sind zugunsten der Krankenkassen ausgefallen. Wer ist betroffen? Was können Verbraucher noch tun?
Was sind Direktversicherungen?
Eine Direktversicherung ist eine Kapitallebens- oder Rentenversicherung, die der Arbeitgeber für seine Beschäftigten abschließt und für die er in der Regel ganz oder teilweise die Beiträge übernimmt. Arbeitnehmer können monatlich bis zu 254 Euro ihres Bruttoeinkommens (im Jahr 2017) steuer- und sozialabgabenfrei in die Direktversicherung einzahlen. Darüber hinaus seien bei Verträgen ab 2005 weitere 1800 Euro pro Jahr steuerfrei, erklärt das gemeinnützige Verbraucherschutzportal „Finanztip“. Am Ende der Laufzeit kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Vertragsgestaltung wählen, ob er sich die Ablaufleistung auf einen Schlag oder in Form einer lebenslangen Rente auszahlen lässt.
Wie hoch sind die Beiträge für die Krankenund Pflegeversicherung auf die Direktversicherung?
Bei einer Rente wird der Beitragssatz auf die monatlichen Zahlungen erhoben. Er errechnet sich aus dem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, plus dem Zusatzbeitrag in Höhe von 1,1 Prozent (Durchschnittswert) und dem Beitragssatz für die Pflegeversicherung von 2,55 Prozent (Kinderlose 2,8 Prozent), zusammen also mindestens 18,25 Prozent. Von 366 Euro monatlicher Rente gehen 66,80 Euro an die Krankenkasse. Bei einer einmaligen Kapitalauszahlung wird die Summe auf 120 Monate umgelegt. Bei einer Auszahlung von 120 000 Euro aus einer Direktversicherung wird unterstellt, dass der Versicherte zehn Jahre lang jeden Monat 1000 Euro bekommt. Für diesen Zeitraum müssen monatlich 182,50 Euro an die Krankenkasse gezahlt werden. Doch das ist nur eine Momentaufnahme, denn die Beitragssätze werden in den nächsten Jahren steigen, erwarten Experten.
Welche gesetzliche Grundlage gibt es für die Zahlungen?
Seit 1. Januar 2004 müssen alle gesetzlich krankenversicherten Bezieher von Betriebsrenten und anderen Versorgungsbezügen, wozu auch die Direktversicherung gezählt wird, den allgemeinen und nicht mehr den ermäßigten Beitragssatz entrichten. „Damit haben sich die Krankenversicherungsbeiträge der Rentner verdoppelt, denn sie müssen den Arbeitnehmer- wie den Arbeitgeberanteil übernehmen“, sagt Ursula Wens von der Verbraucherzentale Hamburg. Betroffen sind auch einmalige Kapitalauszahlungen. Das ist die Folge der Gesundheitsreform von 2004, die von der rotgrünen Regierungskoalition verabschiedet wurde. Zuvor wurde nur der halbe Beitragssatz fällig, und das auch nur auf Rentenzahlungen. Einmalauszahlungen unterlagen nicht den Krankenkassenbeiträgen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Reform zulässig war.
Wer muss keine Beiträge entrichten?
Privatversicherte sind von der Regelung nicht betroffen. Gesetzlich Versicherte zahlen in jedem Fall. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie als Rentner pflichtversichert oder freiwillig versichert sind. Pflichtversichert sind alle Rentner, die während der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens zu mehr als 90 Prozent in einer gesetzlichen Krankenkasse waren. Alle anderen sind freiwillig versichert. Doch es gibt eine Ausnahme: Pflichtversicherte Rentner müssen auf Auszahlungen, die auf arbeitnehmerfinanzierten Beiträgen beruhen, keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen, wenn sie selbst als Versicherungsnehmer in der Police stehen. Das kann der Fall sein, wenn sie die Versicherung bei einem Jobwechsel vom Arbeitgeber abgelöst haben. Grundlage der Ausnahme ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. September 2010 (Az.: 1 BvR 1660/08).
Was folgt aus diesem Urteil?
Wer die Beiträge selbst entrichtet, sollte sich schnellstens als Versicherungsnehmer in die Police eintragen lassen. Wer dies getan hat und schon Krankenkassenbeiträge auf selbst entrichtete Beiträge gezahlt hat, kann diese zurückfordern. Das gilt auch dann, wenn die Beitragsbescheide der Krankenkasse inzwischen schon bestandskräftig sind. Um die anteiligen Krankenkassenbeiträge zu berechnen, müssen sich Verbraucher vom Direktversicherer bescheinigen lassen, wann sie die Versicherung selbst bezahlt haben und wann ihr Arbeitgeber daran beteiligt war, erklärt „Finanztip“. Die Versicherungen hätten diese Daten gespeichert. Die Versicherung müsse – zur Not auf Nachfrage – diese Aufschlüsselung bieten.
Was können Verbraucher tun, die noch in eine Direktversicherung einzahlen?
Wenn er die Versicherung ohne Leistungen des Arbeitgebers abgeschlossen hat, ist der Versicherte völlig frei in seinen Verfügungen. Er kann die Police beitragsfrei stellen oder auch kündigen. Ist der Arbeitgeber Versicherungsnehmer, ist eine schlichte Kündigung laut „Finanztip“nicht möglich. Wer seine Beiträge nicht weiterbezahlen wolle, müsse dann den Arbeitgeber bitten, den Versicherer zu veranlassen, den Vertrag ruhend zu stellen. Experten empfehlen hier eine individuelle Beratung.