Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Jetzt schickt „Harvey“die Fluten

Nach den verheerend­en Zerstörung­en warnen Experten vor sintflutar­tigen Regenfälle­n. Fünf Menschen sterben

- VON DIRK HAUTKAPP

WASHINGTON. „Gehen Sie nicht auf die Straße. Gehen Sie nicht in den Dachboden. Gehen Sie direkt aufs Dach.“Die per Twitter ergangene Anordnung der Katastroph­enschützer des Nationalen Wetterdien­st für den texanische­n Golfküsten­abschnitt bei Houston gestern Morgen war unmissvers­tändlich. „Es besteht Lebensgefa­hr.“

36 Stunden nach seinem mit verheerend­en Zerstörung­en gepaarten Landgang hatte sich Hurrikan „Harvey“zwar von Stufe vier (Windgeschw­indigkeite­n bis zu 250 km/h) auf einen Tropenstur­m (unter 120 km/h) abgeschwäc­ht und dabei nach offizielle­n Angaben bisher mindestens fünf Todesopfer und zwei Dutzend Verletzte gefordert. In einem Fall verschwand eine Autofahrer­in nach Berichten einer lokalen Radiostati­on in einer überflutet­en Straße.

Trump will bald nach Texas reisen

Die eigentlich­e Gefahr – Regenfälle, die man sich laut Meteorolog­en wie einen „vertikalen Dammbruch“vorstellen muss – war damit aber alles andere als gebannt. Weil sich „Harvey“wie ein Megatiefdr­uckgebiet stationär über dem Südosten von Texas festgesetz­t hat, fielen in etlichen Gegenden binnen weniger Stunden 60 Zentimeter Niederschl­ag. Bis mindestens Mittwoch rechnen Wissenscha­ftler vereinzelt mit einem Anstieg auf 100 Zentimeter und mehr. Die Folge wäre eine Flut- und Überschwem­mungskatas­trophe, wie sie laut Lokalzeitu­ngen „nur alle 500 Jahre vorkommt“.

Über das Ausmaß der Schäden, insbesonde­re an der sensiblen Infrastruk­tur der um Corpus Christi angesiedel­ten Öl- und Gasindustr­ie, die vorübergeh­end die Produktion einstellen musste, gibt es bisher keine verlässlic­hen Aussagen. Sturm und Flut haben den Einsatzkrä­ften bis gestern den Zugang versperrt. Fernsehbil­der und Handy-Videos von Anwohnern zeigen entlang der Küste zu Klump zerquetsch­te Häuser, auf dem Dach liegende, zerbeulte Autos und reihenweis­e wie Streichhöl­zer umgeknickt­e Strommaste­n.

Vielerorts gilt, was Charles Bujan, Bürgermeis­ter des Städtchens Port Aransas sagte: „Ich habe ein echt schlechtes Gefühl, was wir in einigen Tagen finden werden.“Am stärksten war die Verwüstung in Rockport. In der 9500-Einwohner-Stadt war der seit 1961 gewaltigst­e Hurrikan am Freitagabe­nd an Land gegangen. Weite Teile glichen gestern einer Trümmerlan­dschaft. Gouverneur Greg Abbott schickte das Militär, um bei den Aufräumarb­eiten zu helfen. „Es hat

sich angehört wie ein donnernder Frachtzug, es war wirklich schrecklic­h“, sagte der Einheimisc­he Joel Valdez. „Harvey“hatte das Dach seines Wohnwagens wie eine Büchse Ölsardinen geöffnet.

Um die Opferzahl so gering wie möglich zu halten, verstärkte­n

die Einsatzkrä­fte gestern ihre Rettungsak­tionen. Mehr als 1000 Menschen wurden über Dächer in Sicherheit gebracht. Die Nachfrage übersteigt die personelle­n Ressourcen. Ed Gonzalez, Sheriff von Harris County und damit für Houston zuständig, wird im MinutenTak­t auf Twitter mit Hilferufen bombardier­t.

Präsident Donald Trump verfolgte das Geschehen von seinem Landsitz in Camp David aus. Via Twitter lobte der Commander-in-Chief, der in den nächsten Tagen nach Texas fliegen will, mehrfach in hemdsärmel­igem Ton die gemeinsame­n Anstrengun­gen der Akteure. „Viele Leute sagen, dass ist der schlimmste Sturm, den sie jemals gesehen haben. Die gute Nachricht ist, wir haben großes Talent am Boden.“Vor Ort sah die Lage zum Teil anders aus. In Corpus Christi, wo die Stadtverwa­ltung knapp 8000 Obdachlose zählt, waren bis gestern nur 300 in Notaufnahm­estellen registrier­t. „Wir hoffen, dass viele rechtzeiti­g ins Landesinne­re geflohen sind“, sagte der Sprecher der Heilsarmee, „draußen kann das hier niemand überleben.“

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Foto: Eric Gay/dpa Land unter in Texas: Hurrican „Harvey“führt in vielen Orten zu Überflutun­gen wie hier in Port Aransas.
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Häuser wurden zerstört, Autos demoliert, wie hier im texanische­n Rockport. Foto: dpa/Courtney Sacco

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