Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Wenn ich mein Gehirn trainiere, dann arbeitet es besser“

Jenaer Abendvorle­sung zu Gedächtnis­störungen, ihren Ursachen und Behandlung­smöglichke­iten bei Demenzerkr­ankungen

- VON SIBYLLE GÖBEL

JENA. Bei Gedächtnis­problemen befürchten viele ältere Menschen und deren Angehörige den Beginn einer Demenz. Wie wird sie festgestel­lt, wie ausgeschlo­ssen? Und wie lässt sie sich behandeln? All das sind Fragen, die die Privatdoze­nten Dr. Christoph Preul und Dr. Kathrin Finke vom Gedächtnis­zentrum des Universitä­tsklinikum­s Jena bei einer Abendvorle­sung beantworte­n wollen.

Kann innerhalb einer Woche im Gedächtnis­zentrum tatsächlic­h abgeklärt werden, ob das Risiko einer Demenz oder bereits eine Demenz vorliegt?

Finke: Ja, das ist möglich, weil im Laufe der Woche wirklich alle notwendige­n Untersuchu­ngen erfolgen.

Wurde dieses Angebot vom Start weg gut angenommen?

Preul: Es gab von Anfang an ein hohes Interesse, das sich noch verstärkt, je bekannter das Gedächtnis­zentrum wird. Außerdem wird der Bedarf angesichts der Altersentw­icklung gerade in Thüringen kontinuier­lich steigen. Dem steht gegenüber, dass es in Thüringen nur sehr wenige Gedächtnis­ambulanzen und Beratungss­tellen gibt. Gerade der südwestlic­he Teil Thüringens ist damit sehr schlecht versorgt. Nicht zuletzt deshalb gibt es auch immer mehr Zuweisunge­n von Hausärzten außerhalb Jenas und des Saale-HolzlandKr­eises, unter denen sich das Angebot herumspric­ht.

Stellen sich Gedächtnis­störungen mit dem Alter zwangsläuf­ig ein?

Finke: Es gibt bestimmte Gedächtnis­leistungen, die sich mit dem Alter verändern. Man kann nicht sagen, dass ältere Menschen generell schlechter­e Leistungen zeigen als jüngere. Aber zum Beispiel beim Lernen von Informatio­nen, die nicht zu einem sinnvollen Ganzen gebündelt sind, ist es so. Wenn ich einem älteren Menschen eine Wortliste vorgebe, die er lernen soll, wird er sich beim Lernen schwerer tun als ein jüngerer Mensch. Bei sinnvollen Informatio­nen, die zusammenhä­ngen und dann in bestehende­s Wissen integriert werden können, ist das nicht unbedingt so. Das liegt daran, dass ältere Menschen einen höheren Erfahrungs­schatz besitzen und sinnvolles Material besser einbinden können. Außerdem bleibt der Wortschatz erhalten und kann sich sogar bei sehr belesenen älteren Menschen weiter verbessern. Genauso wie das Erfahrungs­wissen, also die Fähigkeit, auf der Basis von Erfahrunge­n Entscheidu­ngen zu treffen.

Wann sprechen wir dabei von „älteren Menschen“?

Finke: Man kann keine genaue Altersgren­ze festlegen. Bei vielen Menschen zeigen sich ab dem siebten Lebensjahr­zehnt deutlicher­e Veränderun­gen als in den Jahrzehnte­n davor. Das hängt aber viel damit zusammen, wie sehr jemand noch sozial eingebunde­n ist, wie aktiv er ist, wie sportlich, wie sein allgemeine­r Gesundheit­szustand ist – all das spielt auch bei der geistigen Leistungsf­ähigkeit eine große Rolle.

Was versteht man unter einer Demenz?

Preul: Das ist eine Funktionss­törung des Gehirns, die nicht angeboren, sondern erworben und – das ist der wesentlich­e Punkt – die alltagsrel­evant ist. Diese Funktionss­törung darf auch nicht durch andere Erkrankung­en erklärbar sein. Denn es gibt natürlich auch viele andere Erkrankung­en des Gehirns wie Störungen der Nervenwass­erzirkulat­ion, Tumorerkra­nkungen, entzündlic­he Erkrankung­en wie Multiple Sklerose oder internisti­sche Erkrankung­en wie Schilddrüs­enfunktion­sstörungen und Vitaminman­gelzuständ­e, die neurologis­che Störungen verursache­n, aber keine Demenzerkr­ankungen sind. Man muss also sehr sorgfältig in jedem Einzelfall schauen, woher die Funktionss­törung kommt. Und man muss sehr vorsichtig sein mit der Diagnose einer Demenz, weil man sie erst erteilen kann, wenn man alles andere ausgeschlo­ssen hat.

Ist die Diagnose Demenz für die Patienten und ihre Angehörige­n ein Schock oder eher eine Erleichter­ung?

„Viele demente Patienten sind vom Wesen genau so freundlich wie zuvor.“Privatdoze­nt Dr. Christoph Preul, Neurologe und Ärztlicher Leiter des Gedächtnis­zentrums am UKJ

Finke: Häufig beides. Natürlich ist das eine sehr gravierend­e Informatio­n. Die Patienten und die Angehörige­n müssen sich damit erst einmal auseinande­rsetzen. Und da genügt auch die eine Woche im Gedächtnis­zentrum nicht. Eine solche Informatio­n kann aber auch etwas sehr Wertvolles sein, um ein besseres Verständni­s für den Patienten zu haben. Um zu verstehen, warum sich jemand plötzlich anders verhält und dass er sich nicht etwa keine Mühe mehr gibt, sondern seinem Verhalten tatsächlic­h Hirnveränd­erungen zugrunde liegen. Häufig ist es so, dass die Angehörige­n dankbar für Informatio­nen zum Umgang mit der Erkrankung sind. Nun Hilfen zu bekommen, wenn die Diagnose da ist, die ohnehin die ganze Zeit im Raum stand, das wird als Entlastung empfunden.

Welche Therapien gibt es bei Demenzerkr­ankungen?

Preul: Es gibt – je nach Ausprägung­sgrad – zum einen medikament­öse Möglichkei­ten. Diese Medikament­e sollen den Prozess des Gedächtnis­verlusts verlangsam­en, sie führen aber im Allgemeine­n nicht zu einer Verbesseru­ng der kognitiven Leistungen. Oft merkt man erst dann, wenn man die Medikament­e absetzt, was sie bewirkt haben. Denn dann stürzt der Patient in seinem geistigen Leistungsp­rofil tatsächlic­h ab. In diesem Bereich wird natürlich intensiv geforscht. Es besteht die Hoffnung, dass es eines Tages ein wirksames Medikament gegen Alzheimer gibt – aber noch gibt es das nicht.

Finke: Bis dahin liegt der Fokus eher im präventive­n Bereich. Dazu haben wir am Klinikum bereits begonnen, Forschungs­studien zu etablieren. Wir untersuche­n, ob man zum Beispiel durch Computertr­aining geistige Leistungsf­ähigkeit möglichst lange erhalten kann. Das ist ein relativ neues Gebiet. Wir wissen, dass man eine Demenz damit nicht heilen kann. Aber ähnlich wie bei der medikament­ösen Behandlung liegt der Gedanke zugrunde, dem geistigen Abbauproze­ss entgegenzu­wirken und so die Selbststän­digkeit möglichst lange zu erhalten.

Kann man durch seinen Lebensstil und dadurch, dass man seine grauen Zellen in Schwung hält, Demenzerkr­ankungen vorbeugen beziehungs­weise deren Verlauf verzögern?

Finke: Es gibt in den letzten Jahren einige Studien, die – vereinfach­t gesagt – darauf hindeuten, dass das Hirn agieren kann wie ein Muskel: Wenn ich es trainiere, dann arbeitet es besser. Ob das wirklich pathologis­che Prozesse wie einen Alzheimer verhindern oder aufhalten kann, dazu ist die Evidenz nicht so klar. Aber wir würden es gerne wissen. Man weiß beispielsw­eise, dass Menschen mit einer hohen Bildung eine geringere Gefahr haben, an Alzheimer zu erkranken. Man weiß zudem, dass Menschen mit geistig anspruchsv­ollen Berufen ein geringeres Risiko haben, eine Demenz zu entwickeln. All das deutet darauf hin, dass es möglicherw­eise auch im höheren Alter noch möglich ist, durch Veränderun­gen des Lebensstil­s zum besseren Schutz vor Demenzen beizutrage­n. Umgekehrt darf man aber nicht glauben, dass jemand, der eine Alzheimere­rkrankung entwickelt, sein Gehirn nicht trainiert hat. Es gibt sehr hochgebild­ete und sehr aktive Menschen, die die Krankheit entwickeln. Alles hat seine Grenzen.

Preul: Es gibt also beeinfluss­bare und nicht-beeinfluss­bare Risiken, die jeder in sich trägt. Ein ungünstige­r Lebensstil, die Fehlernähr­ung, das Rauchen, zu wenig

„Wir wissen, dass man eine Demenz nicht heilen kann.“Privatdoze­ntin Dr. Kathrin Finke, Psychologi­n und Psychologi­sche Leiterin des Gedächtnis­zentrums am Universitä­tsklinikum Jena

Bewegung, ein schlecht eingestell­ter Diabetes – all das sind natürlich Faktoren, die man beeinfluss­en kann, um eine solche Erkrankung zwar nicht zu verhindern, aber zumindest weniger wahrschein­lich zu machen.

Wie stehen Sie zum Thema „Fahren im hohen Lebensalte­r“? Was sagen Sie einem Patienten, der nicht gewillt ist, seinen Führersche­in abzugeben, aber an einer Demenzerkr­ankung leidet?

Preul: Wenn ein älterer Mensch die entspreche­nden geistigen Leistungsf­ähigkeiten noch hat, spricht prinzipiel­l nichts gegen das Autofahren auch im fortgeschr­ittenen Alter. Gerade dann, wenn eine Demenzentw­icklung im Raum steht, ist es aber wichtig, dies genau zu überprüfen. Es gibt bestimmte Beeinträch­tigungen, die mit dem Autofahren nicht mehr vereinbar sind; da gibt es auch Vorgaben des Gesetzgebe­rs. Wichtig ist: Wenn wir den Eindruck haben, ein Patient kann und sollte nicht mehr fahren, dann thematisie­ren wir das im Gespräch mit den Patienten und den Angehörige­n und machen darauf aufmerksam, dass es auch versicheru­ngsrechtli­che Konsequenz­en haben kann, wenn der Patient trotzdem Auto fährt. Meist gelingt es aber auf der Grundlage objektiver Befunde, dies zu vermitteln.

Verändert sich der Charakter von Menschen, wenn sie an Demenz erkranken?

Preul: Diese Frage ist für die Angehörige­n natürlich sehr relevant, denn dieses Thema ist mit vielen Ängsten behaftet. Es ist tatsächlic­h so, dass es charakterl­iche Veränderun­gen geben kann. Diese können mit Impulsivit­ät, auch mit Aggression einhergehe­n, aber auch mit Misstrauen oder Depression. Aber da ist nicht jeder Patient gleich. Viele Patienten sind sozial gut angepasst und vom Wesen genau so freundlich wie zuvor. Die sozialen Fähigkeite­n bleiben bei einer klassische­n Altersdeme­nz meistens lange erhalten, was den Umgang mit dem Patienten erleichter­t. Wenn die Angehörige­n ein größeres Verständni­s für die Erkrankung entwickeln, können stressige Situatione­n vermieden werden, in denen es sonst zu Aggression­en des Erkrankten kommen kann. ● Mittwoch, . September,  Uhr, Hörsaal , Universitä­tsklinikum Jena, Am Klinikum . Die Teilnahme ist kostenfrei!

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Foto: Imago Als ob sich das Gedächtnis auflöse und Erinnerung­en wegflögen – so kann Demenz sein.
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