Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Warten auf den Wolf

Hartmut Heinz kampft fur den naturliche­n Feind der Rehe

- VON MARIUS KOITY

Hört man Leute über den Wolf reden, dann hat fast jeder Angst vor ihm. Am besten soll das Raubtier bleiben, wo der Pfeffer wächst. Und sollte ein Exemplar in der Region auftauchen, dann wirklich nur das eine Mal – gleich vor dem Zielfernro­hr des Jägers. Hartmut Heinz aus Bahren denkt da anders. Er hofft, dass der Wolf bald auftaucht in den Wäldern der Region und da auch bleibt – „um seinen Job zu machen“– um eine Aufgabe zu übernehmen, vor welcher sich Menschen drücken würden.

Dem 63-jährigen Vorruhestä­ndler ist es bewusst, dass er mit seiner Meinung etwas gegen den Strom schwimmt. Und er erzählt, warum. Seine Familie habe schon immer Wald gehabt. Mehrere Schläge rund um sein Heimatdorf nennt er sein Eigen. Einige Parzellen hat er eigenhändi­g wiederaufg­eforstet.

Sein jüngstes Stück Wald ist eine etwa 0,4 Hektar große Fläche in der Gemarkung Peuschen an der Landesstra­ße L 1102 zwischen Wernburg und dem Abzweig Hohe Straße. Auf einer schlecht zu bewirtscha­ftenden Wiese habe er im Frühjahr ohne jegliche Förderung und fremde Hilfe 480 Bäumchen gesetzt. „Bergahorn, Wildkirsch­e – Arten, die zur Umgebung passen“, sagt Hartmut Heinz.

„Wer Bäume fällt, muss auch für neue sorgen“, lautet seine Devise. Außerdem werde mit dem wiederaufg­eforsteten Tal am Waichenbac­h eine Lücke zwischen zwei größeren Wäldern geschlosse­n – gut für das Wild, denkt der Mensch.

Rehricken und -böcke haben das anders verstanden. Hartmut Heinz hat nämlich nicht nur aus Kostengrün­den, sondern auch aus Überzeugun­g auf Metallzäun­e im Wald und Kunststoff­Baumschutz­hülsen in der Natur verzichtet – mit dem Ergebnis, dass die Hälfte seiner Bäumchen heute ein Wildschade­n sind.

Mit zehn Prozent Verlust rechne jeder und vielleicht könne man sich auch zwanzig Prozent noch leisten. Aber fünfzig Prozent nach nur einem halben Jahr – „das ist kein Spaß“, sagt Hartmut Heinz. „Was wird denn in zwei Jahren sein?“, fragt (sich) der Kleinwaldb­esitzer. Auf der Parzelle an der L 1102 scheint er jeden verbissene­n Stumpf persönlich zu kennen. Von etlichen geschädigt­en Stämmchen sind nur noch Rindenfetz­en übrig. An einigen Pflanzen zeigt Hartmut Heinz, wie sie quasi ihren ganzen Lebenssaft zusammenne­hmen, um doch noch zu überleben – das zarte Grün könne aber schon in der nächsten Nacht in Rehmäulern zergehen.

„Wie viel Wild verträgt der Wald?“, ist die große Frage des naturverbu­ndenen 63-Jährigen. Seinen Erfahrunge­n nach werde zu wenig für ein ausgeglich­enes Miteinande­r von Flora und Fauna im Forst gemacht. Für die Waldgebiet­e, die er in der Region kenne, stellt er eine „zu hohe Wilddichte“ohne natürliche Feinde fest.

Gibt es da nicht behördlich­e Wildabschu­sspläne? „Zahlenspie­lereien!“, winkt Hartmut Heinz ab. Da werde alles so gerechnet, dass es am Ende mit möglichst geringem Aufwand passe, das ist sein Eindruck.

„Das Jagdgesetz müsste noch einmal in die Hand genommen werden“, nennt er als Lösung. „Ich bin – gerade als Waldbesitz­er – kein Freund der DDR, aber damals war die Jägerei besser geregelt“, sagt Hartmut Heinz. Die nach 1990 wieder eingeführt­e Kleinteili­gkeit habe sich in seinen Augen nicht bewährt.

So gebe es Bereiche mit „erstaunlic­h aktiven“Jägern, aber auch solche, in welchen „nicht viel“geschehe. Seiner Ansicht nach müssten die zuständige­n Behörden auf die „überaltert­e Jägerschaf­t“reagieren. Er kenne Waidmänner, „die nicht mehr bei jedem Wetter rausgehen“. Das andere Extrem seien Jäger, die zunächst eher männliche Rehe als weibliche schießen würden, um damit künstlich die Population in ihren Revieren zu erhöhen und schließlic­h „Erlebnisja­gden“und „Jagdtouris­mus“anzubieten – auf Kosten der Kleinwaldb­esitzer, wie Hartmut Heinz betont.

„Und da haben wir noch gar nicht über die Wildschwei­ne gesprochen“, sagt der Mann. Auf seiner Parzelle zeigt er auch den kläglichen Rest der ebenfalls im Frühjahr selbstgepf­lanzten Waldrandhe­cke – und seine Wut ist mit Händen zu greifen.

„In meiner Verzweiflu­ng warte ich auf den Wolf“, resümiert Hartmut Heinz. Wirklich? „Ja, schreiben Sie das ruhig auf, das muss doch mal gesagt werden. Nur mit dem Wolf hat die natürliche Waldverjün­gung eine Chance. Er wird dem Menschen zeigen, wie viel Wild in den Wald gehört. Der Wolf wird es hier gar nicht brauchen, Schafe zu reißen. Es ist doch nicht normal, dass wir um jeden Baum, den wir groß kriegen wollen, einen Zaun bauen!“

Von einem Gitter rund um seine neuaufgefo­rstete Fläche sieht Hartmut Heinz auch deshalb ab, weil zu befürchten sei, dass die zu investiere­nden 3000 Euro als „rausgeschm­issenes Geld“enden. „Wildschwei­nen mit ihren Kegelköpfe­n sind Drahtgefle­chte egal“, sagt er. Und habe das Schwarzwil­d erst einmal einen Durchlass geschaffen, fühle sich der Rest der Fauna eingeladen. Rehe kämen dann zwar leicht rein in ein eingezäunt­es Waldstück, aber kaum von allein wieder raus. „Was dann passiert mit den Setzlingen, können sie sich denken“, sagt Hartmut Heinz.

Er fühlt sich bestraft für sein Bedürfnis, ohne Steuergeld­er etwas Nachhaltig­es für seine Heimat zu tun. Wenn sich der Staat nicht bald etwas einfallen lasse, werden Kleinwaldb­esitzer „kapitulier­en“, beschreibt Hartmut Heinz Stimmungen unter seinesglei­chen.

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Foto: Bernd Thissen Der Wolf soll‘s richten: Wenn es nach Hartmut Heinz geht, muss das Jagdgesetz „noch einmal in die Hand genommen werden“.
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Hartmut Heinz, waldschäde­ngeplagter Kleinwaldb­esitzer aus Bahren. Foto: Marius Koity

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