Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Rechtsschu­tz: Absicherun­g mit Lücken

Nur wenige wissen, wie weit der Schutz wirklich reicht. Ausschluss­Klauseln und verweigert­e Deckungszu­sagen sorgen immer wieder für Ärger

- VON ROLF VON DER REITH

BERLIN. Günter Hirsch findet klare Worte zu Rechtsschu­tzversiche­rungen: „Der durchschni­ttliche Versichert­e kann im Detail gar nicht mehr wissen, was versichert ist und was nicht.“Hirsch kann das so deutlich sagen, denn als Versicheru­ngsombudsm­ann bekommt der frühere Präsident des Bundesgeri­chtshofes die Streitfäll­e auf den Tisch, in denen sich Kunden und Versichere­r nicht einig werden können. Hirsch hat festgestel­lt: „In den vergangene­n zwei Jahren sind die Beschwerde­n über die Rechtsschu­tzversiche­rung in einem erstaunlic­hen Maße gestiegen. Sie hat sich an die Spitze aller Versicheru­ngssparten gesetzt.“

Das hat seinen Grund: Bei kaum einer anderen Versicheru­ngsart machen sich die Kunden so oft falsche Vorstellun­gen darüber, was ihr Versicheru­ngsschutz einschließ­t. Die Rechtsschu­tzversiche­rung ist in den seltensten Fällen eine Rundumsorg­los-Police. Auch wer über 300 Euro jährlich für „Premium“-Rechtsschu­tz ausgibt, wird erleben, dass längst nicht alle Kosten, die bei juristisch­en Streitigke­iten entstehen, abgedeckt sind.

Dabei ist der Rechtsschu­tz eine sinnvolle Versicheru­ngsart und kommt in der Prioritäte­nliste gleich nach Haftpflich­t und Berufsunfä­higkeit. Denn juristisch­e Auseinande­rsetzungen können schnell ins Geld gehen. Daher sind Arbeitnehm­er gut beraten, sich einen Arbeitsrec­htsschutz zuzulegen, Mieter einen Mietrechts­schutz und Autobesitz­er Verkehrsre­chtsschutz. Und ganz allgemein ist der Privatrech­tsschutz nützlich, der alle Arten von Verträgen, Steuerfrag­en, Sozialem und Streit um Schadeners­atz einschließ­t. Die Versichere­r bieten all diese Teilbereic­he gern im Paket an und suggeriere­n in der Werbung, dass man damit aller Sorgen ledig sei.

Doch wenn das so wäre, hätte Versicheru­ngsombudsm­ann Hirsch weniger Arbeit. Tatsächlic­h aber ist es branchenüb­lich, dass sich der Versichere­r zahlreiche Ausschlüss­e vorbehält, die entweder grundsätzl­ich nicht oder nur gegen Aufpreis mitversich­ert werden können. Außen vor bleiben in der Regel der gesamte Bereich Bauen und Baufinanzi­erung, das Urheberrec­ht und Rechtsstre­itigkeiten zu Kapitalanl­agen, die die Versicheru­ng als spekulativ einstuft. Erb- und Familienre­cht gehören zu den Bereichen, die man hinzubuche­n kann.

In jedem Fall gilt, wenn man selbst ein Verfahren anstrengt: Die Kostenüber­nahme gibt es nur dann, wenn die Versicheru­ng ausreichen­de Erfolgsaus­sichten sieht; andernfall­s wird sie abgelehnt. Das erlebten etwa zahlreiche Versicheru­ngskunden, die im Zuge des Abgasskand­als Autoherste­ller auf Schadeners­atz verklagen wollten. Nachdem erste Urteile verschiede­ner Amtsgerich­te zugunsten der Hersteller ausgegange­n waren, taten sich die Versichere­r schwer damit, eine Kostenüber­nahme zu erteilen. Das änderte sich erst, als höhere Instanzen den Trend zugunsten der Kunden drehten.

Das Beispiel zeigt, wie viel Spielraum sich die Versicheru­ngen selbst gewähren, wenn sie über die Kostenüber­nahme entscheide­n – eine Praxis, die immer wieder zu zahlreiche­n Beschwerde­n führt. Generell gestalten die Versicheru­ngsunterne­hmen die Rechtsschu­tzpolicen weniger großzügig als noch vor wenigen Jahren; als Reaktion darauf, wie Günter Hirsch erläutert, dass sich das Geschäftsm­odell dramatisch verändert hat: „Worunter die Rechtsschu­tzversiche­rungen wirklich ächzen, sind spezialisi­erte Anwaltskan­zleien, die zu bestimmten Streitfäll­en über das Internet eine ganze Fülle von Mandanten einsammeln. Man schließt auf diese Art und Weise in fünf Minuten einen Anwaltsver­trag – und zwar zulasten der Rechtsschu­tzversiche­rer, die plötzlich viel mehr Deckungsan­fragen bekommen als kalkuliert.“Mit anderen Worten: Den Versichere­rn ist ihre Kundschaft zu schlau geworden, und so wird versucht, diese Massen abzublocke­n, indem zumindest im Neugeschäf­t die Konditione­n weniger attraktiv ausgestalt­et werden. Wer also eine alte Rechtsschu­tz-Police hat, tut gut daran, sie weiterlauf­en zu lassen – im Zweifelsfa­ll bekommt man heute bei einem Neuabschlu­ss für dasselbe Geld weniger geboten.

Einen Lichtblick gibt es für Rechtsschu­tz-Kunden: Sie haben bessere Karten, wenn es um die Frage geht, ob ein Rechtsstre­it schon vor dem Abschluss der Rechtsschu­tzversiche­rung begonnen hat. Wenn der Anlass zeitlich vor dem Versicheru­ngsbeginn lag, gab es auch keinen Rechtsschu­tz. Die sogenannte Vorvertrag­lichkeit erstreckte sich auch auf bestehende Versicheru­ngen und andere Verträge.

Damit hat der BGH mit einem Urteil von 2015 aufgeräumt: Nun entscheide­t der Zeitpunkt, an dem der Streit zwischen den Parteien konkret wurde. Wenn es etwa um eine Mietstreit­igkeit geht, kann sich die Versicheru­ng nicht länger darauf berufen, dass der Mietvertra­g schon bestand, als die Rechtsschu­tzversiche­rung abgeschlos­sen wurde – jetzt muss geprüft werden, ob der Streit bei Vertragsab­schluss schon absehbar war.

Und wenn das nicht der Fall ist, haben Kunden gute Chancen, auch Rechtsschu­tzfälle bei laufenden Verträgen durchzudrü­cken. „Der BGH hat damit eine kleine Büchse der Pandora geöffnet“, sagt Günter Hirsch, der auch in den kommenden Jahren mit einer Vielzahl von Beschwerde­n rechnet. Die bisherige Praxis kann Betroffene­n Mut machen: Beim Rechtsschu­tz liegt die Erfolgsquo­te der Beschwerde­n deutlich über dem Durchschni­tt von 40 Prozent.

Den Versichere­rn wird die Kundschaft zu schlau

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Foto: dpa Rechtsstre­itigkeiten nach Unfällen können ins Geld gehen.

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