Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Rechtsschutz: Absicherung mit Lücken
Nur wenige wissen, wie weit der Schutz wirklich reicht. AusschlussKlauseln und verweigerte Deckungszusagen sorgen immer wieder für Ärger
BERLIN. Günter Hirsch findet klare Worte zu Rechtsschutzversicherungen: „Der durchschnittliche Versicherte kann im Detail gar nicht mehr wissen, was versichert ist und was nicht.“Hirsch kann das so deutlich sagen, denn als Versicherungsombudsmann bekommt der frühere Präsident des Bundesgerichtshofes die Streitfälle auf den Tisch, in denen sich Kunden und Versicherer nicht einig werden können. Hirsch hat festgestellt: „In den vergangenen zwei Jahren sind die Beschwerden über die Rechtsschutzversicherung in einem erstaunlichen Maße gestiegen. Sie hat sich an die Spitze aller Versicherungssparten gesetzt.“
Das hat seinen Grund: Bei kaum einer anderen Versicherungsart machen sich die Kunden so oft falsche Vorstellungen darüber, was ihr Versicherungsschutz einschließt. Die Rechtsschutzversicherung ist in den seltensten Fällen eine Rundumsorglos-Police. Auch wer über 300 Euro jährlich für „Premium“-Rechtsschutz ausgibt, wird erleben, dass längst nicht alle Kosten, die bei juristischen Streitigkeiten entstehen, abgedeckt sind.
Dabei ist der Rechtsschutz eine sinnvolle Versicherungsart und kommt in der Prioritätenliste gleich nach Haftpflicht und Berufsunfähigkeit. Denn juristische Auseinandersetzungen können schnell ins Geld gehen. Daher sind Arbeitnehmer gut beraten, sich einen Arbeitsrechtsschutz zuzulegen, Mieter einen Mietrechtsschutz und Autobesitzer Verkehrsrechtsschutz. Und ganz allgemein ist der Privatrechtsschutz nützlich, der alle Arten von Verträgen, Steuerfragen, Sozialem und Streit um Schadenersatz einschließt. Die Versicherer bieten all diese Teilbereiche gern im Paket an und suggerieren in der Werbung, dass man damit aller Sorgen ledig sei.
Doch wenn das so wäre, hätte Versicherungsombudsmann Hirsch weniger Arbeit. Tatsächlich aber ist es branchenüblich, dass sich der Versicherer zahlreiche Ausschlüsse vorbehält, die entweder grundsätzlich nicht oder nur gegen Aufpreis mitversichert werden können. Außen vor bleiben in der Regel der gesamte Bereich Bauen und Baufinanzierung, das Urheberrecht und Rechtsstreitigkeiten zu Kapitalanlagen, die die Versicherung als spekulativ einstuft. Erb- und Familienrecht gehören zu den Bereichen, die man hinzubuchen kann.
In jedem Fall gilt, wenn man selbst ein Verfahren anstrengt: Die Kostenübernahme gibt es nur dann, wenn die Versicherung ausreichende Erfolgsaussichten sieht; andernfalls wird sie abgelehnt. Das erlebten etwa zahlreiche Versicherungskunden, die im Zuge des Abgasskandals Autohersteller auf Schadenersatz verklagen wollten. Nachdem erste Urteile verschiedener Amtsgerichte zugunsten der Hersteller ausgegangen waren, taten sich die Versicherer schwer damit, eine Kostenübernahme zu erteilen. Das änderte sich erst, als höhere Instanzen den Trend zugunsten der Kunden drehten.
Das Beispiel zeigt, wie viel Spielraum sich die Versicherungen selbst gewähren, wenn sie über die Kostenübernahme entscheiden – eine Praxis, die immer wieder zu zahlreichen Beschwerden führt. Generell gestalten die Versicherungsunternehmen die Rechtsschutzpolicen weniger großzügig als noch vor wenigen Jahren; als Reaktion darauf, wie Günter Hirsch erläutert, dass sich das Geschäftsmodell dramatisch verändert hat: „Worunter die Rechtsschutzversicherungen wirklich ächzen, sind spezialisierte Anwaltskanzleien, die zu bestimmten Streitfällen über das Internet eine ganze Fülle von Mandanten einsammeln. Man schließt auf diese Art und Weise in fünf Minuten einen Anwaltsvertrag – und zwar zulasten der Rechtsschutzversicherer, die plötzlich viel mehr Deckungsanfragen bekommen als kalkuliert.“Mit anderen Worten: Den Versicherern ist ihre Kundschaft zu schlau geworden, und so wird versucht, diese Massen abzublocken, indem zumindest im Neugeschäft die Konditionen weniger attraktiv ausgestaltet werden. Wer also eine alte Rechtsschutz-Police hat, tut gut daran, sie weiterlaufen zu lassen – im Zweifelsfall bekommt man heute bei einem Neuabschluss für dasselbe Geld weniger geboten.
Einen Lichtblick gibt es für Rechtsschutz-Kunden: Sie haben bessere Karten, wenn es um die Frage geht, ob ein Rechtsstreit schon vor dem Abschluss der Rechtsschutzversicherung begonnen hat. Wenn der Anlass zeitlich vor dem Versicherungsbeginn lag, gab es auch keinen Rechtsschutz. Die sogenannte Vorvertraglichkeit erstreckte sich auch auf bestehende Versicherungen und andere Verträge.
Damit hat der BGH mit einem Urteil von 2015 aufgeräumt: Nun entscheidet der Zeitpunkt, an dem der Streit zwischen den Parteien konkret wurde. Wenn es etwa um eine Mietstreitigkeit geht, kann sich die Versicherung nicht länger darauf berufen, dass der Mietvertrag schon bestand, als die Rechtsschutzversicherung abgeschlossen wurde – jetzt muss geprüft werden, ob der Streit bei Vertragsabschluss schon absehbar war.
Und wenn das nicht der Fall ist, haben Kunden gute Chancen, auch Rechtsschutzfälle bei laufenden Verträgen durchzudrücken. „Der BGH hat damit eine kleine Büchse der Pandora geöffnet“, sagt Günter Hirsch, der auch in den kommenden Jahren mit einer Vielzahl von Beschwerden rechnet. Die bisherige Praxis kann Betroffenen Mut machen: Beim Rechtsschutz liegt die Erfolgsquote der Beschwerden deutlich über dem Durchschnitt von 40 Prozent.
Den Versicherern wird die Kundschaft zu schlau