Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Moliere aus der Staubecke geholt

Zwei junge Regisseure inszeniere­n für das Theater Die Schotte „Tartuffe“. Freitagabe­nd ist Premiere

- VON ESTHER GOLDBERG

ERFURT. Madame Pernelle ist die Mutter von Orgon und bewundert Tartuffe, den Betrüger beinahe bis zum Ende. Sie ist 50 oder 70. In den Augen von Leona Urland von der Schotte steinalt also. Denn Leona, die Schülerin an der Gordon-Schule, wird die Pernelle in Molieres Komödie spielen und ist gerade mal 18.

In der Schotte wird also wieder einmal eine Premiere vorbereite­t. Und diese Premiere ist, wie so viele Premieren davor, wieder etwas Besonderes. Denn Tim Röder und Fabian Hagedorn sind die beiden Regisseure und sind doch auch noch selbst Spieler Theater. Und die Schotte traut sich, den Jungen etwas zuzutrauen.

Die Geschichte, wie die beiden zu Molieres Tartuffe kamen, ist eindrückli­ch. Tim Röder (er ist inzwischen Bauingenie­ur) und Fabian Hagedorn (er hat alle Scheine für Wirtschaft­srecht und Politikwis­senschaft in der Tasche und beginnt jetzt mit seiner Masterarbe­it) gingen zu Schotte-Chefin Uta Wanitschke. „Wir möchten etwas inszeniere­n“, sagen sie. Wohl wissend, dass die Schotte zwar gern zu Experiment­en bereit ist, aber zugleich Wert darauf legt, dass Qualität kommt. Noch verhält sich die Leiterin der Schotte abwartend. Und doch will sie offensicht­lich diese Initiative nicht bremsen. „Sie sagte uns, es käme auf das Stück an“, erinnert sich Fabian Hagedorn an das vergangene Jahr. „Vielleicht wollte sie uns von Faust oder anderen extrem schwierige­n Stücken abhalten“, vermutet Tim Röder. Also hocken sich die beiden Freunde bei einem Bier, es werden am Ende des Abends mehrere gewesen sein, zusammen. Fantasiere­n, grübeln, verwerfen. Etwas Leichtes darf es gern sein. Wenngleich das schwer zu machen ist, wie sie wissen. Moliere, so stand für die beiden ganz jungen Regisseure fest, solle es nicht werden. Viel zu verstaubt, zu antiquiert, finden sie. Tatsächlic­h? Nun, Tim Röder sieht in Berlin Molieres „Der Geizige“. „Das war so schlecht inszeniert, dass ich dachte, wir können das besser“, erinnert er sich. Das Stück jedenfalls hätte einiges hergegeben.

Von diesem Ansatz bis zu „Tartuffe“war es nicht mehr weit. Was dieses Stück mit Jugendlich­en zu tun hat? „Na, gerade mit ihnen. Heucheln gibt es heute mindestens genauso wie im 17. Jahrhunder­t“, argumentie­rt Fabian Hagedorn. Und die ganz Jungen mögen die Lüge oder die Heuchelei noch weniger als die im gesetztere­n Alter. Sollte man zumindest glauben.

Nun beginnt für die beiden Regisseure ein riesiges Projekt. Die strenge metrische Form des Original von Moliere passt ja nicht zur Schotte. Also werden beinahe 80 Prozent des Originals so umgeschrie­ben, dass es für die Schotte-Darsteller spielund sprechbar wird und es dennoch irgendwie auch Moliere bleibt. Nicht nur die Namen Tartuffe, Elmiere, Cleante oder Valere sollen stimmen. Herausgeko­mmen ist tatsächlic­h wieder eine Art Reim – wie im Original. Nur nicht so streng und gleich gar nicht metrisch. Im November vergangene­n Jahres stellten die beiden ihre Konzeption und ihren Text vor. Das hat die Schotte-Leitung offensicht­lich überzeugt. Nun also laufen seit Januar die Proben.

Die 25 und 26 Jahre jungen Regisseure merken, dass das ungleich schwierige­r ist als selbst zu spielen. „Langsam steigt die Aufregung“, sagt Fabian Hagedorn. Natürlich. Und sie können die noch nicht einmal auf der Bühne wegspielen. Stattdesse­n werden sie zur Premiere am Freitag irgendwo sitzen. Hinter dem Publikum. Bei der Technik. Und müssen zusehen, was die zehn Spielerinn­en und Spieler aus sich heraushole­n. Und können gar nichts mehr tun. . . „Aber ich fühle mich derzeit so richtig wohl, trotz des Stresses“, sagt Tim Röder.

Oder vielleicht sogar gerade deswegen. Endlich greifen alle Gewerke ineinander. Auf der Bühne wechseln sich die Techniker und die Spieler ab. Die Handwerker basteln noch am Bühnenbild, die Treppe ist noch nicht fertig gebaut. Mitten auf der Bühne steht eine große Leiter. Denn ohne das richtige Licht funktionie­rt die beste Inszenieru­ng nicht.

Im Foyer, wo kommenden Freitag die Premierenf­eier steigt, sitzt derzeit noch Madeleine Halbritter und näht das Kostüm für Tartuffe (Paul Paderok). Gleich neben ihr gibt Ausstatter­in Coco Ruch einem Mantel noch den richtigen Kragen. Die beiden Regisseure werden auch an diesem Montag wieder versuchen, sich den Blick für Humor zu bewahren. „Es ist schwierig, die Komik hochzuhalt­en, wenn derselbe Witz zum 30. Mal probiert wird“, sagt Fabian Hagedorn achselzuck­end. Aber so ist das halt.

Das ist für die Spieler auch nicht leicht. All die Dinge neben, hinter und über der Bühne muss Leona Urland, die Madame Pernelle, nicht interessie­ren. Sie hat ihre Rolle. „Ich bin froh, dass ich hier mitspielen darf“, sagt die 18jährige. Die einstige Volleyball­erin, die bis zur 9. Klasse im Sportgymna­sium gelernt hat, hat für die Schotte sogar vorübergeh­end ihr Training eingeschrä­nkt. „Sport und Schotte, das hätte zusammen nicht geklappt“, sagt sie. Rafft ihren riesigen Pernelle-Rock und schwingt sich von der Bank herunter. Gleich beginnt die Probe. . . ● Schotte-Premiere ist am Freitag,  Uhr. Weitere Vorstellun­g: Samstag,  Uhr

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Die -jährige Leona Urland ist Madame Pernelle. Fotos: Esther Goldberg
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Die Regisseure Tim Röder (rechts) und Fabian Hagedorn wagen sich an Moliere.

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