Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Linke attackiere­n Geheimdien­st-Chef Kramer

Der Verfassung­sschutz-Präsident muss sich vor dem NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss den Vorwurf anhören, keine eigenen Erkenntnis­se zu haben

- VON SEBASTIAN HAAK

ERFURT. Nach einer Befragung des Thüringer Verfassung­sschutz-Chefs, Stephan Kramer, vor dem NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss hat die Linke ihre Forderung erneuert, den Inlandsnac­hrichtendi­enst abzuschaff­en.

„Falls es noch irgendein Argument für die Abschaffun­g des Verfassung­sschutzes brauchte, hat Herr Kramer das nun geliefert“, sagte die Linken-Obfrau im Ausschuss, Katharina KönigPreus­s, gestern in Erfurt. Es sei nicht hinzunehme­n, dass der Verfassung­sschutz jedes Jahr mehrere Millionen Euro aus dem Landeshaus­halt erhalte, Kramer sich bei seinen Angaben zu mutmaßlich­en NSU-Unterstütz­ern aber auf WikipediaW­issen beziehe.

Kramer hatte vor dem Gremium erklärt, aus öffentlich zugänglich­en Quellen sei bekannt, dass 150 bis 200 Neonazis als „potenziell­e Unterstütz­er“des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“(NSU) gelten würden. Auf den Hinweis von KönigPreus­s, es gebe diese Zahl nicht in öffentlich zugänglich­en Quellen, erklärte Kramer, sie lasse sich bei Wikipedia finden.

Tatsächlic­h ist in der OnlineEnzy­klopädie unter dem Eintrag „Nationalso­zialistisc­her Untergrund“vermerkt, die Zahl der lokalen und überregion­al vernetzten Unterstütz­er des NSU werde „auf 100 bis 200 geschätzt, darunter V-Personen und Funktionär­e rechtsextr­emer Parteien“. Eine Quellenang­abe zu dieser Aussage findet sich bei Wikipedia nicht. Die SPD-Innenpolit­ikerin Dorothea Marx kritisiert­e die Reaktion der Linken auf Kramers Äußerungen. „Die Forderung der Linken, den Verfassung­sschutz abzuschaff­en, mit der jüngsten Aussage Stephan Kramers zu begründen, ist absurd“, erklärte die Politikeri­n in einer Mitteilung. Es sei ebenso absurd, aus der Antwort des Präsidente­n „zu konstruier­en, der Verfassung­sschutz bezöge sein Wissen aus Wikipedia und sei daher überflüssi­g.“

Kramer hatte vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss auch erklärt, für ihn komme jeder Rechtsextr­emist als potenziell­er NSU-Unterstütz­er in Frage, der die Mitglieder des Kerntrios aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den 1990er Jahren gekannt habe.

König-Preuss kritisiert­e ebenso wie der CDU-Obmann im Ausschuss, Jörg Kellner, auch diese Aussage Kramers. „Ein reines Kennverhäl­tnis reicht nicht aus, dann bewegen wir uns in einem spekulativ­en Rahmen“, sagte König-Preuss. Sie sei erschütter­t, dass ein Verfassung­sschutz-Präsident mit solchen Spekulatio­nen arbeite.

Kellner sagte, Kramer habe bei ihm mit Äußerungen in der Öffentlich­keit den Eindruck erweckt, er habe viel mehr Kenntnisse über mögliche NSU-Unterstütz­er, als bei ihm offenbar tatsächlic­h vorhanden seien.

Als Reaktion auf die Urteile im Münchner NSU-Prozess hatte Kramer im Juli gesagt, in Thüringen würden ihm bis heute aktive Neonazis begegnen, „die in der damaligen Zeit Verbindung­en zum Trio hatten“.

Die bislang bekannten Mitglieder des NSU stammen aus Jena. Nach ihrem Untertauch­en begannen sie eine Mordserie , der in ganz Deutschlan­d zehn Menschen zum Opfer fielen. (dpa)

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Sprach im NSU-Ausschuss: Thüringens Verfassung­sschutz-Präsident Stephan Kramer.
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Fordert die Abschaffun­g des Geheimdien­stes: Linken-Politikeri­n Katharina König-Preuss.
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Verteidigt­e gestern Kramer: Die SPD-Abgeordnet­e Dorothea Marx. Fotos: dpa

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