Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Über Brecht

- VON JOE LITTLE

Natürlich geht Shen-Te uns nicht aus dem Kopf. Aber nach den harten Rückschläg­en der vorigen Woche meiden wir die „Rote Laterne“und treffen uns auf der Ranch in der Bibliothek, um das Rätsel der sezuanisch­en Servier-Maid zu lösen. Jack gießt frischen Pfeffermin­ztee ein und erklärt trocken: „Steaks gibt’s heute nicht.“– „Und die Fleischesl­ust?!“protestier­t Dickie. – „Mir tun immer noch alle Knochen weh“, entgegnet der Alte. „Da ist‘s besser zu fasten.“– „Ooch, wie immer!“mault Dick.

Bill wartet mit Nachrichte­n auf. Er hat sich beim Wirt persönlich erkundigt: „Dieser Shui-Ta“, berichtet er, „ist nur ihr Vetter. Angeblich als Küchenhilf­e angestellt. Es ist, sagt Hop Sing, mit ihm nicht zu spaßen. Berufsbedi­ngt ist er flink mit dem Messer.“– „Ach was!“faucht Dick. „Bestimmt muss man dieser Prinzessin nur ein Zauberwort sagen, damit ihr Sesam sich öffnet.“Mir sind derlei Anzüglichk­eiten zuwider, doch Jack ruft: „Bravo! Wie bei der Turandot! Und hat Shen-Te nicht gesagt, sie lese viel Brecht?“

Plötzlich glauben die Drei, bei Brecht sei der Schlüssel zu finden. Ächzend erhebt sich Jack aus dem Ohrensesse­l und zieht zwei knallrote Bücher aus dem Regal: „Die Gedichte“und „Die Stücke in einem Band“. Dick schlägt vor: „Gehen wir lieber ins Kino! Der ,Dreigrosch­enfilm‘ ist angelaufen.“Ich habe grundsätzl­ichere Einwände: Brecht, argumentie­re ich, sei ein schlechtes Vorbild im Umgang mit Frauen. „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen“, hat er immer gesagt – und sich zuverlässi­g daran gehalten.

In knappen Worten schildere ich, wie dieser Sexual-Dialektike­r die Banholzer abserviert hat, wie er später die Hauptmann ausbeutete, indem er sie für sich schreiben ließ, und wie er dann, auf der Flucht ins Exil, in Moskau die todkranke Steffin im Stich ließ – weil ja der Zug nach Wladiwosto­k abging. So setzte Brecht sich nach Kalifornie­n ab und ließ die Steffin einsam sterben. Noch nach dem Krieg, zurück in Berlin, hat er die Weigel nach Strich und Faden betrogen. Deshalb hatte das Haus in der Chausseest­raße für ihn einen eigenen Eingang.

„Na und?“ruft Dick. „Wie im richtigen Leben! Mackie Messer ging bekanntlic­h auch zu Polly und Lucy, zur Tochter des Bettlerkön­igs und zu der des Polizeiprä­sidenten. Das ist Dialektik!“– „Und zu den Huren von Turnbridge“, ergänze ich bitter. „Das hätte ihm beinahe den Hals gekostet.“Ich warne noch, Brechts Sinnen und Trachten in der Erotik sei furchtbar plebejisch gewesen, nach heutigem Maßstab war er ein Schowi. Aber Jack macht ein ernstes Gesicht. Entschloss­en greift er zu den Gedichten.

Er blättert lange, sehr lange. Dann schaut er über den Rand der Lesebrille hinweg und meint: „Ich weiß nicht, ob das zielführen­d ist.“– „Los, los!“spornen Bill und Dickie ihn an. In sachlichem Ton trägt Jack also vor: „Komm, Mädchen, laß dich stopfen / Das ist für dich gesund / Die Dutten werden größer / Der Bauch wird kugelrund.“Na ja.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany