Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Unser Breitengrad
Ich kann jetzt schon sagen: Die schönste Gartenparty meines Sommers war kürzlich – an einem (leider) verregneten Sonntag – bei meinen Erfurter Lieblingsnachbarn in der „Bachstelze“am Hamburger Berg. Unsere besten Köche paarten dort ein Gericht mit den Weinen einiger Winzer. Und die kamen nicht etwa aus Eisenstadt, Rüdesheim oder Bad Dürkheim, sondern aus Naumburg, Jena und Bad Sulza – und schenkten trotzdem kraftstrotzenden Blauen Zweigelt, mineralisch vollen Riesling und fruchtig komplexen Weißburgunder aus. Mit einem Selbstbewusstsein, als hätten sie und ihre Vorväter nie etwas anderes als Riesenqualitäten in der Flasche gehabt.
Auf unserem Breitengrad, dem 51sten, wächst ja nun schon seit tausend Jahren Wein, mal mehr, jetzt weniger, dafür besserer. Es hätte sich nur früher niemand erdreistet, die Herkunft so zu betonen und den kritischen Genießern anzudienen. Doch jetzt sind es ganze acht Weinbaubetriebe, die ihr Bestes hergeben – und sich jährlich vor einer Jury (auch bestückt mit meinen Berufskollegen) neu bewähren müssen. Das Ziel: ein Qualitätssiegel unseres Heimatweinbaugebietes mit absolut gerechtfertigtem Preis, den man aber in den Weinbergen einen Breitengrad südlicher mit selbem Stolz schon viel länger zu Recht erhält.
Apropos südlicher. Ein Grad wärmer ist es bei uns seit den 1990erJahren geworden. Das ist, als wäre Europa auf einmal 300 Kilometer nach Süden gerutscht. Unseren Trauben bringt das viel. Galt früher alles, was nördlicher als Breitengrad 50 angebaut wurde, als unreifer Rhabarbersaft, gibt’s heute Trinkbares bis zum 58sten. Natürlich sind Handwerk und Stolz Katalysatoren des Erfolges. Doch dann braucht es noch Menschen, die diese Botschaft an den Weinfreund bringen. Solche wie Maria G. und Matthias S. von der „Bachstelze“in Erfurt. Lieblingsnachbarn halt. Mit denen feiert man gern im Regen!