Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Eben noch oben, jetzt schon ganz unten
Internationales Tanztheaterfestival in Erfurt mit Edan Gorlickis Machtspiel „The Players“eröffnet
ERFURT. Drei junge Menschen hocken nebeneinander auf Pappkartons und zeigen Zähne. Sie üben sich in Posen eines eingefrorenes Lächelns, das zu Grinsegrimassen erstarrt ist – als sei dies hier ein Fotoshooting für Werbeplakate. Links sitzt ein Vierter: Er grinst nicht, noch nicht; er beobachtet die anderen und wundert sich.
Es ist, als gehöre dieser Mann einfach nicht dazu. Und das stimmt ja auch, wie wir erfahren werden. Der spanische Tänzer Aaron Vazquez, in Berlin ausgebildet, tritt auf der Studiobühne des Theaters Erfurt das erste Mal in der Performance „The Players“auf. Und das letzte Mal auch. Er hat überhaupt keine Ahnung von dieser Choreografie, die Edan Gorlicki vor zwei Jahren schon mit drei Tänzern erarbeitete. Der Vierte ist seitdem stets ein anderer, Abend für Abend. Er springt ins kalte Wasser, in ein fremdes System. Hier wird ein Spiel gespielt, dessen Regeln er nicht versteht und nicht beherrscht.
Insofern ist „The Players“sich in Tanztheater ausdrückende Willkommenskultur – formal betrachtet und neutral gesprochen. Auf der reinen Abstraktionsebene spricht das Stück sozusagen von gelingender wie auch scheiternder Integration: auch von der eines jungen Tänzers in die professionelle Szene. Da darf einer mitspielen in einer zwielichtigen Rolle, angelegt zwischen Neuling, Außenseiter und Agent Provocateur.
„Kulturelle Vielfalt“heißt das Motto, unter welches das Tanztheater Erfurt sein sechstes internationales Festival stellt. „The Players“gastierten zur Eröffnung am Samstagabend. Der Israeli Edan Gorlicki, der, von Heidelberg aus, in Baden-Württemberg arbeitet, setzte den Abend ans Ende einer Trilogie zur Macht.
Darin üben sich hier, über drei Runden binnen einer Stunde hinweg, drei Tänzer: Die Kanadierin Michelle Cheung, die Holländerin Mayke van Kruchten und der Brasilianer Evandro Pedroni begegnen sich (und Aaron Vazquez) in immer unerbittlicheren Statusspielen und gewaltsamen Verdrängungswettbewerben.
Sie üben Macht, ein allwissender Spielmacher aber übt sie aus, als englischsprachige Stimme aus dem Off. Er ist der souveräne Trainer einer Selbstbehauptung, in der der Überlegene von eben zum Unterlegenen
von jetzt wird – und umgekehrt.
Da werden mittels Handflächen gleichsam Kraftfelder dirigiert und Gegenspieler nach unten oder zur Seite gedrückt. Druck aber erzeugt nun einmal Gegendruck. Der Täter findet sich als Opfer wieder, Duette entpuppen sich bald als Duelle.
Die Tänzer gehen sehr zackig und zügig sowie bisweilen auch zappelig ans Werk, mit der Akkuratesse einer fremdgesteuerten künstlichen Intelligenz, die die natürliche zu unterdrücken sucht, was ihr nicht gelingt. Der Abend installiert tänzerische Perfektion – und unterläuft sie auch.
Als einmal ein Stinkefinger die Szene aufmischt, wird die Schuld ins Auditorium abgeleitet und -geladen. Einer von uns ist der Störenfried, identifiziert zunächst als jemand, der jeder sein kann: Er trägt Kleidung, hat Haare, Augen – und er schaut die Tänzer an. Jedenfalls wisse die Person, wer die Person ist, heißt es.
Die Spannung löst sich auf in Erotik, die zum Beatles-Song „I want you“in abenteuerliches Gerammel mündet: Beim Blick auf Michelle Cheung und Evandro Pedroni denkt man unweigerlich an einen berühmten Spruch, der angeblich von Oscar Wilde stammen soll: „Alles im Leben dreht sich um Sex. Nur nicht der Sex. Der dreht sich um Macht.“
Mayke van Kruchten entzieht sich dem: Sie fühlt es einfach nicht, sagt sie. Cheung und Pedroni hingegen werden sich später im Pas de deux eine Pistole an den Kopf halten: Er im Krebsgang, sie kniet auf ihm.
So entwickelt das Stück „The Players“bedrohliche Situationen, die sich allerdings in Pointen eines Spiels retten: Humor ist hier das letzte Mittel aller einsam Verzweifelten. Das hält den Abend dramaturgisch in der Schwebe, zwischen Spannung und Entspannung, es lässt ihn aber erträglich und ungefährlich bleiben.
Am Ende bedankt sich der Spielmacher beim Gast, als wäre Aaron Vazquez, der das blutbefleckte Opfer schien, sein vornehmstes Werkzeug gewesen. Zuvor hatte die Stimme diesen Einsatz als „großartige Gelegenheit“für einen jungen Tänzer gepriesen, sich in Szene zu setzen.
Bevor ihn Edan Gorlicki für
diesen Abend verpflichtete, bekam Vazquez aber zufällig schon ein Engagement beim Tanztheater Erfurt: Die künstlerische Leiterin Ester Ambrosino wählte ihn nach einem Vortanzen für ihre Produktion „face me – sacre“aus, die sie für den Herbst 2019 am Deutschen Nationaltheater Weimar vorbereitet (wir berichteten), zusammen mit der Staatskapelle. Ambrosino sieht darin jedoch weniger einen Zufall als vielmehr eine Energie, die sich im Tanz aufbaut und überträgt.
Ein stabiles Energiefeld haben „The Players“zweifellos erzeugt. Weitere sind für dieses internationale Tanztheaterfestival, das bis Ende September stattfindet, angekündigt. Ambrosino begreift das Programm mit Beiträgen auch aus Griechenland und Syrien als ein „Zeichen, dass es wirklich möglich ist, zusammenzuleben.“So sprach sie es am Eröffnungsabend. Das Festival sei „bunt, sinnlich, mutig; es hat Hoffnung und Konsequenzen.“
Der Auftakt hat das durchaus bestätigt.