Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Eben noch oben, jetzt schon ganz unten

Internatio­nales Tanztheate­rfestival in Erfurt mit Edan Gorlickis Machtspiel „The Players“eröffnet

- VON MICHAEL HELBING

ERFURT. Drei junge Menschen hocken nebeneinan­der auf Pappkarton­s und zeigen Zähne. Sie üben sich in Posen eines eingefrore­nes Lächelns, das zu Grinsegrim­assen erstarrt ist – als sei dies hier ein Fotoshooti­ng für Werbeplaka­te. Links sitzt ein Vierter: Er grinst nicht, noch nicht; er beobachtet die anderen und wundert sich.

Es ist, als gehöre dieser Mann einfach nicht dazu. Und das stimmt ja auch, wie wir erfahren werden. Der spanische Tänzer Aaron Vazquez, in Berlin ausgebilde­t, tritt auf der Studiobühn­e des Theaters Erfurt das erste Mal in der Performanc­e „The Players“auf. Und das letzte Mal auch. Er hat überhaupt keine Ahnung von dieser Choreograf­ie, die Edan Gorlicki vor zwei Jahren schon mit drei Tänzern erarbeitet­e. Der Vierte ist seitdem stets ein anderer, Abend für Abend. Er springt ins kalte Wasser, in ein fremdes System. Hier wird ein Spiel gespielt, dessen Regeln er nicht versteht und nicht beherrscht.

Insofern ist „The Players“sich in Tanztheate­r ausdrücken­de Willkommen­skultur – formal betrachtet und neutral gesprochen. Auf der reinen Abstraktio­nsebene spricht das Stück sozusagen von gelingende­r wie auch scheiternd­er Integratio­n: auch von der eines jungen Tänzers in die profession­elle Szene. Da darf einer mitspielen in einer zwielichti­gen Rolle, angelegt zwischen Neuling, Außenseite­r und Agent Provocateu­r.

„Kulturelle Vielfalt“heißt das Motto, unter welches das Tanztheate­r Erfurt sein sechstes internatio­nales Festival stellt. „The Players“gastierten zur Eröffnung am Samstagabe­nd. Der Israeli Edan Gorlicki, der, von Heidelberg aus, in Baden-Württember­g arbeitet, setzte den Abend ans Ende einer Trilogie zur Macht.

Darin üben sich hier, über drei Runden binnen einer Stunde hinweg, drei Tänzer: Die Kanadierin Michelle Cheung, die Holländeri­n Mayke van Kruchten und der Brasiliane­r Evandro Pedroni begegnen sich (und Aaron Vazquez) in immer unerbittli­cheren Statusspie­len und gewaltsame­n Verdrängun­gswettbewe­rben.

Sie üben Macht, ein allwissend­er Spielmache­r aber übt sie aus, als englischsp­rachige Stimme aus dem Off. Er ist der souveräne Trainer einer Selbstbeha­uptung, in der der Überlegene von eben zum Unterlegen­en

von jetzt wird – und umgekehrt.

Da werden mittels Handfläche­n gleichsam Kraftfelde­r dirigiert und Gegenspiel­er nach unten oder zur Seite gedrückt. Druck aber erzeugt nun einmal Gegendruck. Der Täter findet sich als Opfer wieder, Duette entpuppen sich bald als Duelle.

Die Tänzer gehen sehr zackig und zügig sowie bisweilen auch zappelig ans Werk, mit der Akkuratess­e einer fremdgeste­uerten künstliche­n Intelligen­z, die die natürliche zu unterdrück­en sucht, was ihr nicht gelingt. Der Abend installier­t tänzerisch­e Perfektion – und unterläuft sie auch.

Als einmal ein Stinkefing­er die Szene aufmischt, wird die Schuld ins Auditorium abgeleitet und -geladen. Einer von uns ist der Störenfrie­d, identifizi­ert zunächst als jemand, der jeder sein kann: Er trägt Kleidung, hat Haare, Augen – und er schaut die Tänzer an. Jedenfalls wisse die Person, wer die Person ist, heißt es.

Die Spannung löst sich auf in Erotik, die zum Beatles-Song „I want you“in abenteuerl­iches Gerammel mündet: Beim Blick auf Michelle Cheung und Evandro Pedroni denkt man unweigerli­ch an einen berühmten Spruch, der angeblich von Oscar Wilde stammen soll: „Alles im Leben dreht sich um Sex. Nur nicht der Sex. Der dreht sich um Macht.“

Mayke van Kruchten entzieht sich dem: Sie fühlt es einfach nicht, sagt sie. Cheung und Pedroni hingegen werden sich später im Pas de deux eine Pistole an den Kopf halten: Er im Krebsgang, sie kniet auf ihm.

So entwickelt das Stück „The Players“bedrohlich­e Situatione­n, die sich allerdings in Pointen eines Spiels retten: Humor ist hier das letzte Mittel aller einsam Verzweifel­ten. Das hält den Abend dramaturgi­sch in der Schwebe, zwischen Spannung und Entspannun­g, es lässt ihn aber erträglich und ungefährli­ch bleiben.

Am Ende bedankt sich der Spielmache­r beim Gast, als wäre Aaron Vazquez, der das blutbeflec­kte Opfer schien, sein vornehmste­s Werkzeug gewesen. Zuvor hatte die Stimme diesen Einsatz als „großartige Gelegenhei­t“für einen jungen Tänzer gepriesen, sich in Szene zu setzen.

Bevor ihn Edan Gorlicki für

diesen Abend verpflicht­ete, bekam Vazquez aber zufällig schon ein Engagement beim Tanztheate­r Erfurt: Die künstleris­che Leiterin Ester Ambrosino wählte ihn nach einem Vortanzen für ihre Produktion „face me – sacre“aus, die sie für den Herbst 2019 am Deutschen Nationalth­eater Weimar vorbereite­t (wir berichtete­n), zusammen mit der Staatskape­lle. Ambrosino sieht darin jedoch weniger einen Zufall als vielmehr eine Energie, die sich im Tanz aufbaut und überträgt.

Ein stabiles Energiefel­d haben „The Players“zweifellos erzeugt. Weitere sind für dieses internatio­nale Tanztheate­rfestival, das bis Ende September stattfinde­t, angekündig­t. Ambrosino begreift das Programm mit Beiträgen auch aus Griechenla­nd und Syrien als ein „Zeichen, dass es wirklich möglich ist, zusammenzu­leben.“So sprach sie es am Eröffnungs­abend. Das Festival sei „bunt, sinnlich, mutig; es hat Hoffnung und Konsequenz­en.“

Der Auftakt hat das durchaus bestätigt.

 ??  ?? Zusammen allein: Die Holländeri­n Mayke van Kruchten und der Brasiliane­r Evandro Pedroni begegnen sich in der Tanzperfor­mance „The Players“des Israelis Edan Gorlicki in immer unerbittli­cheren Statusspie­len und gewaltsame­n Verdrängun­gswettbewe­rben. Foto: Bernadette Fink
Zusammen allein: Die Holländeri­n Mayke van Kruchten und der Brasiliane­r Evandro Pedroni begegnen sich in der Tanzperfor­mance „The Players“des Israelis Edan Gorlicki in immer unerbittli­cheren Statusspie­len und gewaltsame­n Verdrängun­gswettbewe­rben. Foto: Bernadette Fink

Newspapers in German

Newspapers from Germany