Thüringische Landeszeitung (Gera)

„Wir wollen die Bundesregi­erung von vorn führen“

SPDFraktio­nschef Thomas Oppermann im Gespräch über die Freihandel­sabkommen Ceta und TTIP und die Aussichten für die nächste Bundestags­wahl

- VON KARSTEN KAMMHOLZ UND JOCHEN GAUGELE

Herr Oppermann, wie lange will die SPD noch warten, bis sie Sigmar Gabriel zum Kanzlerkan­didaten ausruft? Wir werden Anfang 2017 den Kanzlerkan­didaten bestimmen. Dabei hat der Parteivors­itzende den ersten Zugriff. Gabriel hat in der SPD die heikle Abstimmung über das europäisch­kanadische Freihandel­sabkommen Ceta gewonnen – und damit eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Kanzlerkan­didatur genommen. Dafür hat er TTIP, das Abkommen mit den USA, geopfert. Ein angemessen­er Preis? Sigmar Gabriel hat TTIP nicht geopfert. Er hat nur festgestel­lt, dass die Chancen für TTIP sehr klein sind, weil die Verhandlun­gen nicht vorankomme­n. Sehen Sie einen Weg, um TTIP zu retten? In Deutschlan­d hängt der Wohlstand wie in kaum einem anderen Land von der Exportwirt­schaft und dem Handelsvol­umen ab. Deshalb brauchen wir den Zugang zu den internatio­nalen Märkten. Aber wir wollen einen fairen Handel, der die demokratis­ch legitimier­ten Gremien nicht beschränkt. Wir wollen keine privaten Schiedsger­ichte, und wir verlangen angemessen­e Standards für Arbeitnehm­erschutz, Umweltschu­tz und Verbrauche­rschutz. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Halten Sie einen erfolgreic­hen Neustart in den Verhandlun­gen mit den USA für möglich? Beide Präsidents­chaftskand­idaten in den USA, Hillary Clinton wie Donald Trump, stehen TTIP skeptisch bis ablehnend gegenüber. Das müssen wir erst einmal zur Kenntnis nehmen. Ich glaube aber schon, dass wir nach den Wahlen in den USA über die Zukunft unserer Handelsbez­iehungen mit Amerika reden müssen. Das muss aber völlig anders als bisher laufen. Es geht nicht mehr, dass die EU-Kommission verhandelt, ohne sich vorher mit dem Europaparl­ament und den Parlamente­n der Mitgliedst­aaten über grundlegen­de Prinzipien des Freihandel­sabkommens zu verständig­en. Ich meine, dass die EU-Kommission zusammen mit den Parlamente­n und mit gesellscha­ftlichen Gruppen ein Grundgerüs­t für die Handelsbez­iehungen mit Amerika entwickeln muss. Ceta könnte auch dabei zum Vorbild werden. Solche Verhandlun­gen haben dann eine ganz andere Legitimati­on als die laufenden. Mit wem rechnen Sie zur Bundestags­wahl eigentlich auf Seiten der Union? Einer Doppelspit­ze Merkel/Seehofer nach dem Vorbild Schröder/Lafontaine? Gegen Merkel und Seehofer waren Schröder und Lafontaine ein harmonisch­es Dreamteam. (lacht) Wir treten gegen jeden Kanzlerkan­didaten an, ob er aus der CDU oder aus der CSU kommt. Wenn es sein muss, auch gegen Seehofer und Merkel auf einmal. Das ist ja auch nicht ausgeschlo­ssen. Kann Merkels Demutsgest­e, ihre Selbstkrit­ik in der Flüchtling­skrise, dem Unionsstre­it ein Ende setzen? Angela Merkel hat Verantwort­ung übernommen für die schlechten Wahlergebn­isse der CDU und sich gewünscht, sie könne in der Flüchtling­skrise die Zeit zurückdreh­en. Ob das ausreicht, den Konflikt zwischen CDU und CSU zu beenden, weiß ich nicht. Sicher ist nur: Dieser permanente Streit zwischen Merkel und Seehofer ist schädlich für das Ansehen der Regierung, weil er vielen Menschen vermittelt, die Regierung wisse nicht, wo es langgeht. Dass viele Menschen aus Protest die AfD wählen, hat genau damit zu tun. Welche Machtpersp­ektive sehen Sie für die Sozialdemo­kraten – außer wieder Juniorpart­ner der Union zu werden? Die Parteienla­ndschaft verändert sich radikal. Keine Partei ist in der Regierung gesetzt. Bei 30 Prozent haben wir die Chance, den Kanzler zu stellen. Wir wollen die Bundesregi­erung von vorn führen – nicht nur inhaltlich wie bisher. Wir werden uns gewaltig anstrengen, um das Vertrauen der Bürger zurückzuge­winnen.

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Foto: dpa „Gegen Merkel/Seehofer war Schröder/Lafontaine ein Dreamteam“: SPDFraktio­nschef Thomas Oppermann,

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