Thüringische Landeszeitung (Gera)
Wenn Menschen verschwinden
Jenaer Historiker veröffentlicht ein Buch über das „Recht auf Wahrheit. Zur Genese eines neuen Menschenrechts“
JENA. Diese Bilder gehen um die Welt: Mütter, die Fotos ihrer verschwundenen Söhne, Töchter oder Männer in die Höhe halten, vereint im Protest gegen ein brutales Regime.
Obwohl kaum Hoffnung besteht, die Verschwundenen lebend wiederzusehen, verlangen die Mütter Auskunft, fordern ihr Recht auf Wahrheit ein.
Das Verschwindenlassen von Menschen sei „ein Teil der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts“, konstatiert José Brunner, der Ideengeschichte und Wissenschaftsphilosophie an der Universität Tel Aviv in Israel lehrt. Eine Gewaltgeschichte, die sich bis in die Gegenwart nahtlos fortsetze.
Brunner hat gemeinsam mit dem Jenaer Historiker Daniel Stahl das Buch „Recht auf Wahrheit. Zur Genese eines neuen Menschenrechts“im Verlag Wallstein herausgegeben. Darin sind zwölf Aufsätze von Wissenschaftlern versammelt, die nachzeichnen, wie sich das Recht auf Wahrheit als Menschenrecht etabliert hat.
Es ist zugleich Band 1 der Schriftenreihe „Menschenrechte im 20. Jahrhundert“, die vom gleichnamigen Arbeitskreis herausgegeben wird. Dessen Leiter Norbert Frei von der Universität Jena erforschte die „Wahrheit in Nürnberg“.
„Von einem Recht auf Wahrheit spricht erstmals die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte in ihrem Jahresbericht 1986, wobei sie zugleich den kollektiven Charakter des Rechts auf Wahrheit betonte“, sagt Stahl.
Das sei ebenso ein Meilenstein bei der Etablierung dieses Rechts gewesen wie die Einrichtung eines UN-Arbeitskreises.