Thüringische Landeszeitung (Gera)
Thüringen ist noch frei von „Terror“
Schirachs Justizdrama ist das Erfolgstück dieser Zeit – Weimars Intendant inszenierte die Uraufführung – in Berlin
WEIMAR. „Sie werden ihn“, sagt der Verteidiger über den Mandanten zu den Schöffen, „freisprechen, obwohl er 164 Menschen getötet hat.“Und so kommt es, in den meisten Fällen.
Kampfpilot Lars Koch musste sich bislang, das ist der aktuelle Stand, in 450 Verhandlungen verantworten, in 31 wurde er schuldig gesprochen. Von derzeit fast 140 000 Schöffen insgesamt hielten ihn 60 Prozent für unschuldig. Nur, dass es hier eigentlich nicht um Gerichtsverhandlungen geht, sondern um Theateraufführungen, um Zuschauer, nicht um Schöffen.
Allerdings, sagt der Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach, sei „im Grunde jedes Strafverfahren einem Bühnenstück ähnlich.“Schirach schrieb das Justizdrama „Terror“. Darin wird Major Koch angeklagt, ein Flugzeug mit 164 Passagieren abgeschossen zu haben. Das tat er, um 70 000 Menschen zu retten: Zuschauer eines FußballLänderspiels in der Allianz-Arena, in die hinein das Flugzeug fliegen sollte; ein Terrorist brachte es dafür in seine Gewalt.
Das wird verhandelt im Gerichtssaal auf der Theaterbühne: das kleinere Übel gegen die Würde jedes einzelnen Menschen, Moral gegen Grundgesetz. Zuschauer stimmen am Ende ab.
„Wenn sich alle mit dem Grundgesetz auskennen würden, würde das Stück nicht funktionieren“, hat Hasko Weber in Berlin gesagt. Dort, im Deutschen Theater, inszenierte der Weimarer Intendant im vergangenen Oktober die Uraufführung; eine zweite fand parallel in Frankfurt am Main statt.
Das Stück aber funktioniert, im einzelnen Theater wie in der ganzen Theaterlandschaft. Man kommt auf 40 Inszenierungen, die bislang allein in Deutschland Premiere hatten oder in dieser Spielzeit haben werden. Hinzu kommen Aufführungen in Österreich, der Schweiz, Ungarn, Slowenien, Dänemark, Israel, Japan und Venezuela.
„Terror“ist ein Erfolgsstück. Ausgerechnet Thüringen aber ist noch völlig frei von „Terror“. Ansgar Haag, Intendant in Meiningen und Eisenach, versucht eine vorläufige Erklärung: „Hasko Weber hat das so bahnbrechend uraufgeführt, dass die Thüringer Kollegen vielleicht Angst hatten davor.“Weber ahmte, anders als Frankfurt und alle folgenden Inszenierungen, keine Gerichtsverhandlung nach, er brach die Form auf.
„Vielleicht haben wir uns vertan“, meint Ansgar Haag. Meiningen habe „Terror“für die Kammerspiele diskutiert, doch gehöre das Stück auf die große Bühne. Dafür wiederum glaubte man nicht genügend Zuschauer interessieren zu können. Eisenachs Theater wäre als Ort ideal, doch fehlten dort die richtigen Schauspieler dafür. „Jetzt, nachdem das Stück so einschlug, diskutieren wir es vielleicht doch für Meiningen“, so Haag.
Intensiv diskutiert wird bereits für Gera/Altenburg, berichtet Schauspieldirektor Bernhard Stengele. Schirach sei ja populär, Publikumsbeteiligung im Theater sowieso spannend.
Dass man das Stück bislang zurückstellte, hat einen anderen Grund: Nachdem man sich jahrelang um die Rechte bemühte, kann die Sparte Puppentheater im nächsten Mai „Verbrechen“uraufführen, ein Stück nach Schirachs Kurzgeschichten.
Mehr Distanz zu „Terror“gibt es in Rudolstadt: „Es wird an vielen Bühnen gespielt“, so Chefdramaturg Michael Kliefert, „warum sollen wir das auch noch machen?“Er findet das Stück „theatralisch etwas unergiebig“. Hinzu kommt: Man bereitet für Januar die Deutschsprachige Erstaufführung „Die Bibel“vor, ein Stück des Schweden Niklas Rådström. Es befasse sich subtiler und vielschichtiger mit Terror, Ausgrenzung und dergleichen, so Kliefert.
Und Hasko Weber? Wollte seine Berliner Inszenierung als Gastspiel ans eigene Haus einladen. „Der Vorsatz ist immer noch da“, sagt der DNT-Chef. Man kam nur terminlich nie zueinander, was auch an Bauarbeiten im Nationaltheater nebst Ausweichquartier lag, die sich auf die Spielpläne auswirkten.
Schirach, sagt Weber, habe ein wirkliches Zeitstück geschrieben, das sich als solches absolut durchgesetzt habe. „Über dessen literarische Qualitäten kann man streiten, über dessen Relevanz aber nicht.“
Weber freute sich über die Einladung als Regisseur der Uraufführung. Ohnehin darf er, das sieht sein Intendantenvertrag vor, eine Inszenierung pro Spielzeit außerhalb Weimars realisieren. „Als Künstler finde ich das auch wichtig für die eigene Balance.“In dieser Saison führt er in Bochum Regie.
Sein „Terror“in Berlin läuft an diesem Sonntag zum 25. Mal. Hasko Weber wird dabei sein. Danach findet ein Publikumsgespräch mit Wolfgang Schäuble statt, wie es auch schon solche gab mit Thomas de Maizière und mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung.
Letzteren zitiert das Stück: Jung hätte, so sagte er 2006, im Zweifelsfall den Abschuss des Flugzeuges befohlen, obwohl das Bundesverfassungsgericht den entsprechenden Paragrafen im Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig erklärt hatte.
Ganz frei von „Terror“bleibt Thüringen doch nicht. Die ARD zeigt die Fernsehfassung am 17. Oktober, mit Publikumsabstimmung und Talk. Drei Tage zuvor läuft der Film in Kinos von Cinestar, auch in Erfurt und Jena.