Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Uns alle verbindet dieselbe Faszination“
Der BestsellerAutor Frank Schätzing über Science Fiction und Wissenschaft, über die Grenzen der Prognostik und die Kraft der Fantasie
Herr Schätzing, was kann ein Schriftsteller Wissenschaftlern, Erfindern und Ingenieuren über die Zukunft verraten? Nichts. Keiner kennt die Zukunft. Aber ich kann Szenarien entwickeln und Wissenschaftler auf Ideen bringen, die der akademische Alltag eher nicht hervorbringt. Dafür versorgen Wissenschaftler mich mit Fakten, um meine Visionen plausibel zu untermauern. Wir sind gewissermaßen Symbionten, die einander fortgesetzt beflügeln. Meine wissenschaftliche Vorbildung reicht aus, dass diese Symbiose ordentlich Blüten treibt. Im Grunde verbindet uns dieselbe Faszination. Der Unterschied ist, dass ich immer auch gleich ein paar Menschen umbringe.
Damit spielen Sie auf die Fiktion an, denn in Wirklichkeit würden Sie es nicht tun. Natürlich nicht. Ich bin der friedlichste Mensch der Welt, weil ich alle meine Aggressionen am Laptop auslebe. Von mir geht keine Gefahr aus.
Interessant ist, dass Sie in Ihrem Vortrag von „Zukunftsgerüchten“sprechen. Das klingt unverbindlich. Haben Sie Angst, Prognosen zu erstellen? Nicht Angst. Skepsis, und zu recht. „Zukunftsgerüchte“spielt auf die Unmöglichkeit mittel- bis langfristiger Prognostik an. Wir glauben allzu gern, Zukunftsforscher würden die Zukunft kennen. Das hat wohl auch damit zu tun, dass wir gerade in Angstzeiten leben, in denen Populisten Stimmung machen. Wir wollen, dass uns jemand ein Zertifikat hinlegt und sagt, wenn du das und das tust, kann nix schief gehen. Funktioniert aber nicht. Allenfalls für sehr überschaubare Zeiträume, und auch nur, wenn sich nicht urplötzlich radikal etwas an unseren Umweltbedingungen ändert, also ein Meteorit auf Weimar kracht oder Kim Jong Un den roten Knopf drückt. Mittelfristig – darüber spreche ich in meinem Vortrag –, sind Prognosen äußerst problematisch. Langfristig können wir überhaupt keine treffen. Aber wir können Szenarien entwickeln, wie wir es gerne hätten! Und darauf hinarbeiten, dass sie in Erfüllung gehen.
Das heißt, Futurologen… Gibt’s die überhaupt noch? Jeder, der über die Zukunft nachdenkt, ist ein Futurologe.
Dann sind Zukunftsforscher wohl, überspitzt ausgedrückt, der Astrologie näher als der Wirklichkeit? Nein, die lesen ja nicht im Kaffeesatz. Visionäre wie Isaac Asimov, Stanley Kubrick oder Christopher Nolan sind der Wissenschaft schon sehr nahe. Etliche Technologien hat die Science Fiction vorweggenommen. Was Asimov über Roboter und künstliche Intelligenz schrieb, wird gerade wahr. Manch belächelter Roman der 1950er- und 1960er-Jahre hat kommende Entwicklungen präzise skizziert. Oder wenn man noch weiter zurück blickt …
… fällt einem sofort Jules Verne ein. Jules Verne, natürlich. Aber auch Mark Twain. Der hat 1898 ein globales Kommunikationssystem beschrieben, das verblüffend ans Internet erinnert. Das hatte nichts mit Sternguckerei zu tun. Andererseits, erinnern Sie sich an die erste Staffel von „Star Trek“, da flog man mit Warp-Antrieb durchs dritte Jahrtausend, hatte aber keinen einzigen Touchscreen an Bord. Wir können uns vieles einfach nicht vorstellen. Bis es plötzlich jemand erfindet und damit unser Leben umkrempelt.
Wir sind beide Jahrgang 1957 und in einer stark technikund fortschrittsgläubigen Zeit großgeworden: 1961 flog der erste Mensch ins All, und acht Jahre später landete man schon auf dem Mond. Und was ist seitdem passiert? Die eigentliche Revolution hat sich nicht mehr in der Raumfahrt, sondern auf dem Gebiet der Kommunikationstechnik vollzogen. Eigentlich wollten wir doch schon in den 1980er
Jahren auf dem Mars landen – oder nicht? Die Science Fiction hat jedenfalls immens viel versprochen.
Die Nasa ist nicht ScienceFiction, die hatten schon ausgearbeitete Pläne … Bevor es sie gab, war auch die Nasa Science Fiction. Die Mondlandung wurde literarisch vorweggenommen. Interessanterweise hat Jules Verne in seinem Roman „Von der Erde zum Mond“den Startplatz des Projektils nach Florida gelegt, also genau dorthin, von wo später auch die Saturn-Raketen starteten. Und er hatte wissenschaftliche Gründe dafür – die Nähe zum Äquator. In den Jahren der Mondflüge war ich tatsächlich überzeugt, es ist nur noch ein kurzer Sprung bis zur Besiedelung des Weltraums; dass also, was man so gelesen hatte, demnächst eintreten würde. Der Gedanke der galaktischen Föderation, den Star Trek propagierte, dass alle Völker – auch außerirdische – gemeinsam an einem
Strang ziehen, war die schönste aller Hippie-Visionen. Da muss man konstatieren, es ist erstaunlich wenig passiert. In jene Welten, die nie zuvor ein Mensch betreten hat, wie es bei Star Trek so schön heißt, sind wir stattdessen mit Kommunikationstechnologien und Digitalisierung vorgestoßen, wie Sie richtig sagen. Was wieder mal zeigt: Vorsicht mit Prognosen!
Sie haben ja auch etwas vorweggenommen: In „Limit“beschreiben Sie einen Weltraumlift, der von der Erde in den Orbit führt. Der Roman spielt 2025 – ich fürchte, die technische Entwicklung kann Ihnen da nicht ganz folgen. Daten sind in der Science Fiction nicht so entscheidend. Entscheidend ist die Frage, was generell machbar ist. Und die Erfahrung zeigt: Wenn es machbar ist, wird es auch gemacht. Man sollte also nicht zögern, radikal neue Wege zu gehen. Zum Guten, bevor es andere zum Bösen tun, denn die machen’s ganz bestimmt.
Die kriminelle Energie ist oft die größere, oft mit Geld im Rücken, das lehrt uns jeder James Bond-Schurke. Was den Weltraumfahrstuhl betrifft, bin ich sicher, der wird kommen, einfach weil er mechanisch machbar ist. Ob in 50 oder 100 Jahren, spielt nicht so die Rolle.
Als ScienceFictionAutor müssen Sie sich wohl festlegen? Nein. Gerade nicht.
Warum tun Sie es in „Limit“? Weil ich die Ereignisse in einem Buch ja nun mal irgendwann stattfinden lassen muss. Ich habe ja auch darüber geschrieben, was die Leute 2025 für Musik hören …
Da fällt mir die Fernsehserie „Raumpatrouille“ein, wo die Crew nicht nur als futuristisch empfundene Freizeitkleidung trägt, sondern sich auch bei Zukunftstänzen vergnügt. Großartig, kann ich da nur sagen.
Was mich an Büchern von Frank Schätzing fasziniert, ist neben der Fantasie auch der ungeheure technische Detailreichtum. Da wird einem beim Lesen richtig Arbeit abverlangt. Und man könnte leicht den Eindruck gewinnen, dass Sie da ein ganzes Beraterteam beschäftigen, Leute, die für Sie recherchieren. Nein. Ich recherchiere alles selbst. Ich habe keine Rechercheure. Warum? Natürlich könnte ich jemanden losschicken und sagen, ich muss über diesen und jenen Komplex etwas wissen. Und dann kommt der zurück, hat jemanden gefragt und liefert mir die Antwort. Aber erst im persönlichen Gespräch wird’s spannend. Da bringt einen die Antwort spontan auf neue Ideen, da entwickelt sich eine kreative Dynamik, die bloßes Abfragen nie erzeugt. Das kann kein anderer Rechercheur für mich leisten, also tingele ich selber los und interviewe jeden Experten persönlich. Auch, weil’s einen Riesenspaß macht. So gesehen habe ich am Ende dann tatsächlich ein Beraterteam zusammen. Deshalb stehen in meinen Büchern auch so lange Danksagungen.
Und auf Ihrem Schreibtisch, habe ich gelesen, stapeln sich die Fachbücher. War das auch bei der Arbeit an dem IsraelRoman so? Aber ja. Das war die umfangreichste Recherche, die ich je betrieben habe.
Weil es um historische Fakten und um ein politisch sehr komplexes Thema ging? Es ist unglaublich komplex. Mein Buch „Der Schwarm“beispielsweise erforderte eine komplexe Recherche über das Ökosystem Erde. Aber Israel und der Nahe Osten sind für uns eine völlig fremde Welt. Diese Fremdartigkeit hat nicht nur mit dem Status quo zu tun. Viel unbekannter ist die Vergangenheit. Wie kam es überhaupt zu dem Konflikt? Ruckzuck landet man im Alten Testament. Diesen Geschichtsfilz zu entwirren – sie wissen es ja selbst kaum noch da unten –, das war bei weitem umfangreicher als bei „Limit“und „Der Schwarm“zusammen.
Was sagen Sie zu den Gesellschaftsutopien? Scheinen sich heute nicht viel eher die Antiutopien zu bewahrheiten, die eine düstere Zukunft zeigen, als die Heilserwartungen der frühen ScienceFictionRomane? Meiner Erfahrung nach kennzeichnet Utopien und Dystopien, dass sie immer das Extrem beschreiben. In den Utopien ist meist alles harmonisch und paletti, während in den Dystopien die ganze Welt den Bach runter geht, im Würgegriff von Big Brother. Beides, sehen wir, ist so nicht eingetreten. Wir leben in einem Universum der Zwischentöne. Man müsste schauen, welche Elemente aus Utopien und Dystopien eingeflossen sind, mein Eindruck ist, dass sie sich die Waage halten.
Höre ich da heraus, dass Sie für die Zukunft unseres Planeten Hoffnung haben? Unbedingt.
Worauf gründet sich Ihre Hoffnung? Auf die Überlebensgeschichte der Menschheit bis heute. Der Pessimismus ist der Schatten, den der Optimist werfen muss, um ernstgenommen zu werden, sicher, sonst ist er ein Träumer. Aber nie dürfen wir die positive Grundhaltung aufgeben. Dann packen wir auch Krisen.
Was liegen gegenwärtig für Bücher auf Ihrem Schreibtisch? Wenn ich Bücher schreibe, immer das Komplettwerk von Carl Barks. Seine Donald Duck-Geschichten. Die wahre Welt ist sowieso Entenhausen. Ein Ort nie versiegender Philosophie. Wir sind nur der platonische Schatten, den Barks’ Enten werfen.
Sie wollen sagen, dass Sie Humor haben. Das hoffe ich doch.
Den Sie auch brauchen. Humor brauchen wir alle in diesen Tagen.