Thüringische Landeszeitung (Gera)
Über Merkel
Wir sitzen schon eine Weile gemütlich beim Pfefferminztee auf der Terrasse unseres Saloons, haben bei Milli „wie immer“bestellt und warten eigentlich nur noch auf unseren Dickie, da – kommt unser Feuerkopf atemlos angerannt und ruft: „Umsturz! Revolution! Die Merkel muss weg!“
Als er schnaufend und schwitzend vor uns steht, schiebt Jack ihm erst mal einen Stuhl untern Hintern und ein Glas Tee übern Tisch. Dann erklärt Dick, immer noch atemlos: „Irgend so eine PolitAnalystin hat eben auf Föhnix behauptet, dass die Berlinwahl der Tropfen sei, der die Maß zum Überschäumen gebracht hat, und dass die Kanzlerin am Montag dem von München aus betriebenen Umsturz nur noch durch ihren Rücktritt zuvorkommen könne.“
„Yeah!“ruft Bill da. „München, die Stadt der Bewegung! Die schaffen das!“Ein tadelnder Blick Jacks bringt Bill augenblicklich zum Schweigen. Dann sagt Jack: „Dabei hat sie doch bisher keinen schlechten Job gemacht. Sie jetzt als Sündenbock für die Flüchtlingskrise in die Wüste zu schicken, wäre fatal.“Gern hätte ich als GenderApostel erst mal diskutiert, ob Frauen denn Böcke sein können und ob man deshalb nicht „Sündenziege“sagen müsse, aber das führt vom Thema weg.
Jack räsoniert, dass die Kanzlerin in all den Jahren auf Sicht, aber mit ruhiger Hand gesteuert habe. „Deswegen haben wir doch eine parlamentarische Demokratie und keine Plebiszite auf Bundesebene: weil unsere Volksvertreter potenziell besonnener handeln, als eine kochende Volksseele es könnte“, doziert er. Und klagt dann: „Ach, wir Deutschen neigen doch immer zum Überschwang.“
Jack seziert jetzt die Flüchtlingskrise: dass uns allen doch hätte klar sein müssen, dass die meisten Ankömmlinge von Krieg und Flucht traumatisiert sind, dass sie unsere Sprache nicht sprechen, dass sie sich nur sehr langsam – wenn überhaupt! – an unsere Sitten und unsere Kultur anpassen können und wollen und dass es beileibe eben nicht die syrischen Ingenieure und Ärzte seien, die herkommen. „Sie würden für den Wiederaufbau nach dem Krieg zuhause dringender gebraucht als bei uns“, argumentiert Jack. „Wer unter dem Deckmantel der Humanität ein solches Nützlichkeitsdenken angestellt hat, sollte sich schämen.“
Klar sei, so Jack, dass jede KostenNutzenRechnung immer gegen eine planlose, also moralisch edle Aufnahme von Flüchtlingen spreche. „Mir scheint, wir alle waren vor einem Jahr total besoffen von unserer Gutmenschlichkeit.“– „Quatsch!“ruft Dick dazwischen. „Wir waren nur besoffen vom BushfireWhiskey.“– „Das stimmt“, so Jack. „Aber wir haben die Schnauze gehalten.“Andererseits habe uns Deutsche seit je diese alte Hybris infiziert, dieser Glaube, besser zu sein als die anderen Europäer. „Am deutschen Wesen ..., haha!“lacht Jack. „Wie zu Kaisers Zeiten!“ Aber alle, alle hätten die Flüchtlinge haben wollen, betont Jack nochmals. Bloß wolle es heute keiner mehr gewesen sein. Da sei der Kanzlerin folglich nichts anderes übrig geblieben, als gleich am Montag – mit „trotziger Demut“, wie die Enzettzett schrieb – Selbstkritik zu üben. „Tja, gelernt ist gelernt!“kommentiert Bill spitz. Dennoch insistiert Dick kalt wie ein Scharfrichter: „Solche Ausreden kann ich nicht akzeptieren. Sie hat sich opportunistisch verhalten, das hat sie eigentlich immer.“
Man kann Jack ansehen, wie es in ihm arbeitet. Dann erhebt sich unser Alter feierlich, richtet seinen Blick visionär ins Abendrot und rezitiert die alten Verse Martin Morlocks: „Wer sich steif hält, wird gebrochen, / Kaltgestellt und ausgestochen. / Die, die ihre Wirbelknochen / Biegen können, wie die Rochen, / Kommen heil durch die Epochen – / Hierzulande wird gekrochen, /Auf den Leim und auf dem Bauch.“
Wenn nichts mehr hilft, hilft ein Gedicht