Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Prost, Henriette!“
Besuch in der „Echter Nordhäuser Traditionsbrennerei“– Ein Museum, das sogar Theaterstücke in Auftrag gibt
„Möchten Sie etwas trinken?“fragt Jochen Einenckel und reicht mir ein Glas Wasser. Um ehrlich zu sein, das enttäuscht mich schon ein bisschen. Denn eigentlich hätte ich in der „Echter Nordhäuser Traditionsbrennerei“mit einer anderen klaren Flüssigkeit gerechnet. Den guten Korn, für den die Brennerei bekannt ist, gebe es immer nur auf Nachfrage, bekomme ich von Einenckel zu hören.
Der Museumsmann hat es sich an einem rauchdunklen Holztresen bequem gemacht, umgeben von hellen und dunklen, im Licht verheißungsvoll schillernden Organgen-, Honig-, Zimt- und Kaffeelikören. Er muss meine Enttäuschung bemerkt haben, denn nun fingert er eine kubusartige Flasche mit bernsteinfarbenem Innenleben aus der Wand. „Damit kann man eigentlich nichts falsch machen“, lacht er und reicht mir den Kakao-Nuss-Likör, der so charmant nach einer bekannten Schokoladencreme duftet, dass ich einfach probieren muss. Süß und samtig, mit nicht zu viel Alkohol.
Eine gute Grundlage für einen Rundgang in der bezaubernden alten Brennerei, die mit ihren schmalen neogotischen Fenstern, den Schieferdächern und dem niedersächsischen Fachwerk mehr wie eine romantische Filmkulisse als eine ehemalige Schnapsfabrik wirkt. Dabei wird vor Ort kaum noch produziert. Das Erinnern an die Nordhäuser Spirituosentradition steht nun im Vordergrund; die zum Teil interaktive Ausstellung brachte dem bereits zu DDRZeiten eingerichteten Haus vor ein paar Jahren sogar das Thüringer Museumssiegel ein. Keine Selbstverständlichkeit, wie ich von Jochen Einenckel erfahre, denn 1945 wurde die Stadt Nordhausen zu etwa 80 Prozent zerstört.
Unter den Kriegsverlusten fanden sich auch zahlreiche der Brennereien, sodass lediglich neun dieser Betriebe übrig blieben. Der größte davon wurde 1948 verstaatlicht – die Firma die Seydelsche Brennerei geradezu labyrinthartig durchzieht, wurde schließlich 2007 – zum 500. Nordhäuser Kornbrennjubiläum – gegründet. Nun warten neben glänzenden kupfernen Brennblasen und einer riesigen eisernen Dampfmaschine, die einst die kleine Fabrik betrieb, auch Etiketten, Werbeschilder und Flaschen aus über 100 Jahren Nordhäuser Industriegeschichte auf ihre Entdeckung.
Doch Einenckel und sein Team sind sich auch ihrer Bedeutung für die Region bewusst. Kooperationen mit dem hiesigen Theater gelten in der Stadt ist schließlich nicht irgendwer. Besagte, ein weit überlebensgroßes braun-goldenes Hühnchen, wacht seit Jahren im Innenhof der Traditionsbrennerei über Recht und Ordnung. Und wurde von den Nordhäusern selbst per Zeitungsaufruf getauft. Als denkbar hoch darf deshalb die Identifikation der Städter mit „ihrem“Huhn gelten.
Dabei, erklärt Einenckel, ist das Maskottchen nicht historisch gewachsen, sondern einer Marketingmaßnahme zu verdanken gewesen. Und, was beinahe noch wichtiger sei: „Zur Herstellung unseres beliebtesten Produktes, des Nordhäuser Doppelkorns, braucht man Roggen. Den fressen Hühner aber gar nicht.“
Einenckel schmunzelt, hergeben möchte er die Henne aber nicht mehr. Immerhin sei das Federvieh längst zum beliebtesten Fotomotiv im Museum avanciert. An Beliebtheit könne nur noch die hauseigene Doppelkorn-, Korn- und Gin-Verkostung Henriette übertreffen. „Dafür geht es nun in den Keller.“
Mich schaudert’s ein wenig. Das liegt an den steilen Stufen, die durch einen schummerigen Gang in die kühle Lagerstätte hinunterführen. Hier, wo unsere Schritte in dem Gewölbe widerhallen, liegt eine rauchig-blumige Holznote in der Luft.
Verantwortlich dafür sind die großen, teils mehr als 300 Liter fassenden Eichenholzfässer, in denen traditionell der Echte Nordhäuser Doppelkorn gelagert wird, und die teilweise schon seit 50 Jahren in Gebrauch sind. Aber was hat es eigentlich mit dem Fässerinhalt, dem edlen Nordhäuser Doppelkorn, auf sich? Der Name Korn sei bereits im deutschen Reinheitsgebot festgeschrieben, erfahre ich. 1909 hatte man diese Spirituose für den deutschen Raum geschützt, Doppelkorn darf sie sich aber nur nennen, wenn sie aus verschiedenen Getreidearten gebrannt wurde, die in der Kornkammer der Region, der sogenannten „goldenen Aue“, einst angebaut wurden: Hafer, Roggen, Gerste, Weizen und Buchweizen gehören unabdingbar zur Herstellung des mindestens 38-prozentigen Doppelkorns hinzu, ebenso eine Lagerdauer von mindestens drei Jahren.
Dabei darf er weder mit Farb-, noch mit Aromastoffen versetzt werden. Und so bekommt der Klare mit der Zeit sein typisches Holz-Bouquet, seine „Harmonie“, wie es unter Brennern heißt. Gerne werde er mit Whiskey verglichen, der ebenfalls mehr als drei Jahre im Fass lagern muss, heißt es.
Auch, wenn der Doppelkorn noch nicht denselben Status erreicht habe. Und nun, in dieser wohligen Duftnote des Kellergewölbes, kann ich endlich das Premium-Produkt des Hauses probieren – holzig und kräftig präsentiert sich die Feinschmecker-Spirituose. Und plötzlich ist mir hier unten gar nicht mehr kalt.