Thüringische Landeszeitung (Gera)
„Ich schaue ein Stündchen zurück“
Der Liedermacher und Clown Hermann van Veen legt die versprochenene Fortsetzung seiner Autobiografie vor
Erinnerungen helfen uns, den Mut zu haben, das Undenkbare zu tun. In der Geschichte haben wir meist nur das Denkbare getan. So sagte es Herman van Veen schon vor Jahren in einem Interview. Längst begleiten diese Erinnerungen auch Weg des inzwischen über 70-Jährigen über die Bühnen dieser Welt. Wenn er nicht singt, dann liest er aus einem seiner inzwischen zahlreichen Bücher.
Sechs Jahre ist es her, dass das künstlerische Multitalent mit „Bevor ich es vergesse“eine erste Autobiografie vorlegte. Schon damals erzählte der im holländischen Utrecht Geborene von Kindheit und Schule, seinen Schwärmereien für die Beatles, die Stones, Frank Zappa und Bob Dylan.
Wie er Mitte der 60er-Jahre mit dem „Cabaret Chantant Harlekijn“eine erste Bühnenkarriere zu starten versuchte und scheiterte. Und schließlich mit der Langspielplatte „Ich hab‘ ein zärtliches Gefühl“doch noch den Durchbruch schaffte. Auch waren dort bereits viele Erlebnisse und Begegnungen auf den vielen Tourneen sowie die Beweggründe für sein UnicefEngagements nachzulesen. All das endete schließlich mit den Worten „Fortsetzung folgt“.
Diese Fortsetzung liegt jetzt vor. Van Veen hat nichts vergessen. Im Gegenteil. Ihm ist wohl eher noch vieles eingefallen. Das neue Buch sei der Teil 2 seiner Autobiografie, dem weitere Teile folgen sollen, erklärte er jüngst dem Erfurter Publikum. „Ich bin noch lange nicht fertig“, so der 71-Jährige.
Im neuen Buch liest sich dieses unabgeschlossene Leben nun weniger philosophisch. Einmal mehr wird der prominenteste niederländische Künstler der Gegenwart zum heiteren Schnurrenerzähler seiner selbst. Es gibt keine Chronologie. Auch, weil nun mal kein Leben auf schnurgerader Linie von A nach B verlaufe.
Dieses zweite Buchleben ist eher ein Mosaik aus Anekdoten und Erinnerungsfetzen. Da ist das Konzert in Weimar. Anfang der 1980er ist an den Mauerfall noch nicht zu denken. Es sei eines seiner schönsten gewesen, so der Sänger schon früher in Interviews.
Weil es so ein Abend wird, wie man ihn nur einmal im Leben erlebt. In der Weimarhalle ist es brechend voll, vor der Tür warten noch Hunderte. Die beginnen irgendwann van Veens Lieder zu singen. Also lässt er irgendwann Fenster und Türen öffnen, damit alle mithören, alle mitsingen können.
Schon immer ist der Poet van Veen ein politischer Mensch. Auch und vor allem gilt das im Umgang mit der DDR. In den 70ern entdeckte ihn Alfred Biolek zunächst für das (west-)deutsche Publikum. Seine LP „Ich habe ein zärtliches Gefühl“macht ihn weithin bekannt.
Danach habe er auch Einladungen in den Osten erhalten. In den 1980ern erscheinen zwei Langspielplatten in der DDR, als sogenannte Lizenzplatten sind sie echte Bückware.
Zum Freund der Bonzen macht ihn das nie, erinnert sich der Sänger in Erfurt. Die Mauer sei eine Bankrotterklärung gewesen, sie musste fallen. Bei der Pressekonferenz zum Festival des politischen Liedes im Palast der Republik erklärt er, er wolle mit seinem Auftritt einen Stein aus der Mauer singen.
Bei anderer Gelegenheit habe er dem Publikum in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle versprochen, dass man sich demnächst in Paris wiedersieht. Danach sollte er seine Texte vorab der Zensur vorlegen – und fiel erst einmal wieder in Ungnade, weil er das ablehnte.
Herman van Veen wäre aber nicht Herman van Veen, wenn auch solche Geschichte inzwischen nicht eine Pointe hätte. Gleich nach dem Mauerfall sei nämlich ein Mann aus Leipzig mit dem Fahrrad zu ihm nach Utrecht gekommen – Auf dem Gepäckträger einen Stein. So habe der Leipziger sich bei ihm bedankt. Als er dann nach 1990 im Osten Deutschlands sang, war es wie im Westen – die Säle schön voll, keiner mehr, keiner weniger.
Es ist nicht alles neu, was van Veen gedruckt oder auf der Bühne zum Besten gibt. Das Publikum verzeiht es ihm gern, denn da ist noch immer dieser lakonisch-clowneske Mutterwitz, für den der holländischem Dialekt erfunden zu sein scheint. Seine Mutter, schreibt van Veen, hätte gut und gerne Olympia-Siegerin im Knöpfe-Annähen, Stricken oder Groschen-Umdrehen werden können. Als er sie an ihrem 80. Geburtstag fragte, „Mama, was glaubst du, was kommt nach dem Tod?“, habe sie ihm geantwortet: „Nach dem Tod? Die Rechnung.“
So ganz geht das Alter aber auch am scheinbar ewig jungenhaften Harlekin van Veen nicht vorüber. Zwar sind die Bühnen noch immer sein zweites Zuhause, auf Dresden folgt Erfurt, auf Erfurt Hamburg.
Inzwischen schätzt der Barde aber auch die ruhigen Tage in heimatlichen Utrecht. Da genieße er dann schon mal die Routine eines allmorgentlichen Frühstücks. In Erfurt gesteht er zudem seine Vorliebe für sanfte Massagen am Vormittag und ätherische Öle.
Und dann ist da auch noch „de Paltz“, ein Dreiseiten-Hof in der Nähe von Utrecht, wo van Veen und seine künstlerische Begleiterin Edith Leerkes das „Hermann van Veen Art Center“eingerichtet haben. Das Kunstzentrum ist offen für jedermann. Menschen reden hier über Gott – von dem van Veen sagt, er begleite ihn ein Leben lang, ohne dabei zu wissen, ob er wirklich an ihn glaubt – und die Welt. Vor allem aber sollen junge Künstler auf ihrem kreativen Weg ermutigt werden.
Alles gesagt ist also noch lange nicht. Diesmal lautet der letzte Satz im Buch „Ich schaue ein Stündchen zurück.“Bei Herman van Veen ist das allemal ein ganzes Leben.
Herman van Veen: Erinnerte Tage. Knaur Verlag, München, 320 S., 19.99 Euro